„Für mich ist es ein großes Geschenk, Eindrücke unmittelbar umsetzen zu können.“ Interview mit Thomas Raab

Bevor er seine Liebe zum Schreiben entdeckte, arbeitete Thomas Raab als Lehrer, Liedermacher, im Musical- und Musiktheaterbereich und als Singer-Songwriter. Und jetzt? Acht Romane um den Restaurator Willibald Adrian Metzger und „Still – Chronik eines Mörders“ später lässt er mittlerweile auch die betagte Frau Huber ermitteln, zuletzt in „Helga räumt auf“. Linda Müller hat mit dem Autor über seine Beziehung zum Metzger und der Huberin gesprochen, über Tipps für das frühere Ich und darüber, was ihn gerade ärgert.

Es begleiten dich seit einiger Zeit literarisch sowohl Willibald Adrian Metzger als auch „die Huber“ – man ahnt gleich, dass es zwei sehr verschiedene Figuren sind. Wie würdest du dein Verhältnis zu den beiden beschreiben?

Mein Willibald ist in mir, die Hanni eher um mich herum. Den Metzger schreib ich sehr aus mir heraus, die alte Huber eher wie ein schüchterner Bub, der ihr heimlich über die Schulter schaut. Niemals würde sie mir das Du-Wort anbieten, und selbst wenn, hätte ich vor lauter Respekt Hemmungen, sie anders als Frau HUBER oder die Huberin zu nennen.

Bei Haymon Krimi erscheint im Taschenbuch die Kriminalgeschichte „Der Metzger fällt nicht weit vom Stamm“. Der Metzger trifft auf einen kleinen Buben, der ihn sehr an seine eigene Kindheit erinnert. Was war der Metzger denn so für einer – als Kind?

Ich vermute, da würde ich ihn sehr zu mir selbst machen, sein Wesen betreffend. Zu früh eingeschult, immer kleinlaut, verlegen, gemobbt, pummelig, verträumt. Hat noch Playmobil gespielt, da sind andere längst über dem Bravo-Heftl gehangen und haben verstanden, worüber der Doktor Sommer da eigentlich schreibt. Und logisch waren es (wie bei mir) gebrauchte Playmobil-Figuren, die er von seinem Taschengeld einem Mitschüler abgekauft hat, der als Scheidungskind von seinem Vater mit Spielzeug überhäuft wurde und nicht mehr wusste, wohin damit …

Foto: © Fotowerk Aichner

 

Du sagst in Interviews immer wieder, dass schreiben für dich etwas Angstbesetztes war. Wenn du dem kleinen Thomas von damals einen Rat geben könntest, welcher wäre das?

Rückblickend ist es total ok, so wie es war. Mach es genauso wieder. Hab solange Angst, bis aus der Angst die Haltung wird: Es ist völlig blunzen, was Du verzapfst, daraus wird sicher nie etwas! Und genau deshalb fängst Du völlig stressfrei nur für Dich damit an, ohne Erwartungshaltung, nur weil es Dir Freud macht. Am schlimmsten, denk ich, sind jene dran, die immer spitze in Deutsch waren, dann unbedingt Schriftsteller werden wollen, und es klappt nicht. Bei mir war es als Musiker so. Ich wollte es unbedingt, hab enorm viel investiert, irgendwann nur noch zwanghaft probiert, einen Hit zusammenzubringen, um im Radio gespielt zu werden, und am Ende war das alles nur noch selbstentfremdet. Obendrein in ungünstigen Zeiten. Andi Knoll hat mich damals 2002 bei einem Konzert am Heldenplatz (Lange Nacht der Musik) gefragt, warum ich deutsche Texte schreib. Ö3 war zugepflastert mit rein englischsprachiger Popmusik. Eine Schande eigentlich. Heut ist das zum Glück anders …

Deine Romane bestechen neben spannenden Plots durch spitze und treffende Beschreibungen von Milieus, Umgebungen, Lebenswelten. Wie wählst du aus? Und aus welchem Vollen schöpfst du?

Danke für das Kompliment. Des einen Freud, des anderen Leid. Wer plotgetriebene Bücher sucht, ist bei mir nämlich falsch. Für mich ist es ein großes Geschenk, Eindrücke unmittelbar umsetzen zu können. Mein Playmobilspiel nun auf Papier fortzusetzen, Welten zu errichten. Ich hab Nächte damit verbracht, meine Maxeln zu kostümieren, hab ihnen aus Stoff Kleider gebastelt, aus Decken Landschaften …

Immer wieder beschäftigst du dich in deinen Büchern mit aktuellen Themen, die dich gerade sehr ärgern. Das macht natürlich neugierig: Was ärgert dich gerade sehr?

Unser Bildungssystem. Schule generell. Wie verantwortungslos Politik mit einer Pflicht umgeht, die jeder zu erfüllen hat. Schulpflicht. Dem muss nicht nur aus moralischen Gründen unseren Kindern, unserer Gesellschaft und unserer Zukunft gegenüber oberste Priorität eingeräumt werden. Und gerade Corona hat gezeigt, wie alleingelassen die Welt der Kindergärten, der Primar- und Sekundarstufe 1 wird. Seit Jahrzehnten. Und immer noch. Wer will da noch in Kindergärten oder Schulen arbeiten, bei diesem Einstiegsgehalt, der völlig fehlenden Wertschätzung, den Arbeitsbedingungen. Und der Unterrichtsminister erklärt, die Pensionierungswelle und der Lehrer*innenmangel wären nicht vorhersehbar gewesen … Es ist erbärmlich.

Nach einer für Autor*innen sehr entbehrungsreichen Zeit ist es endlich wieder möglich, Bücher direkt zum Publikum zu bringen – hast du das vermisst?

Alles daran hab ich vermisst. Die Möglichkeiten über FaceTime, Skype und Zoom haben zwar Platz in meinem Alltag gefunden, ein ganzer Tag Fliegerei hin und her nur für eine Besprechung, einen Geschäftstermin, das ist dankbarerweise Geschichte. Von diesem Zwang, sich über soziale Medien in Szene zu setzen, irgendetwas vorzugaukeln, das Unechte als Wahrhaftigkeit zu bewerben, nur um Bücher zu verkaufen, davon halte ich aber immer weniger. Wenn Schriftstellersein bedeutet, in einer Scheinwelt den Kasperl machen zu müssen, herumzuprotzen mit Selbstüberhöhung, und dabei keinen Buchhändler*innen, keinen Leser*innen mehr begegnen zu dürfen, echten Menschen, die meinem Schreiben erst Bedeutung geben – lass ich es besser bleiben.

Viele Menschen haben für jede Lebenssituation das passende Buch im Regal – was liest du gerade? Und warum liest du es gerade jetzt?

Ich lese gerade ein Sachbuch: Die Lagunen von Venedig bis Grado von Heinrich Breidenbach. Faszinierend, der historische Wasserweg „Litoranea Veneta”. Ich les es gerade jetzt (im Urlaub), weil es mir immer mehr am Herzen liegt, mich mit meiner unmittelbaren Umgebung näher zu befassen. Das schenkt mir mehr Wertschätzung und lässt mich anders auf die Dinge schauen, die ständig um mich herum sind … Mittlerweile genier ich mich dafür, die Unkräuter und Wildpflanzen in unserem Garten nicht namentlich zu kennen. Jedes Radl Wurst hat richtigerweise mittlerweile seinen Absender, aber über den Boden, auf dem ich steh, weiß ich Depp so gut wie nichts … Da ist also viel Luft nach oben.