„Frauen müssen alles genauso lernen wie Männer, die sich durch Dummstellen allzu oft aus der Affäre ziehen.“ – ein Interview mit Nicole Makarewicz

Dieser Krimi geht weit über die Aufklärung eines Todesfalls hinaus. Der Tatort? Der Elternverein – jener Mikrokosmos, in dem Kuchenlisten, endlose Sitzungen und unterschwellige Machtspiele aufeinandertreffen. Hier prallen Doppelstandards und Erwartungen an Mütter mit voller Wucht auf den ganz normalen Wahnsinn zwischen Schule und Familie.

In „Engagier dich oder stirb!“ verbindet Nicole Makarewicz bissigen Humor mit Gesellschaftskritik – und räumt dabei genüsslich mit verstaubten Mama-Klischees auf. Wir sprechen mit der Autorin über Survival-Tipps für den Elternverein, den Wert von Care-Arbeit und darüber, welche Farben ihre Synästhesie ihrem neuen Krimi verliehen hat.

In deinem neuen Krimi „Engagier dich oder stirb!“ geht es – neben einem mysteriösen Todesfall und dessen Aufklärung – auch um den ganz normalen Alltagswahnsinn zwischen Kindererziehung und Elternverein. Was hat dich dazu inspiriert, einen Krimi aus der letzten Bank des Elternvereins zu schreiben?

Meine eigenen Erfahrungen im Elternverein und bei Klassenelternabenden gaben den Anstoß. Teilweise war es wahnwitzig mühsam, zu einem Konsens zu kommen, und auch völlig irrelevante Details bargen das Potenzial zur Eskalation. Ich bewundere alle Lehrkräfte, die sich diese Arbeit antun, denn manche Eltern sind einfach nur präpotent und unangenehm. Aus der Distanz hat dieses Verhalten allerdings auch komödiantische Aspekte, die ich in meinem Krimi aufgegriffen und ein bisschen überspitzt dargestellt habe.

 

Der Teaser für dein Buch lautet „Wenn die Pflicht, fürs Buffet zu backen, das kleinste Übel ist … und du für etwas Ernsteres ein Alibi brauchst, als dafür, immer nur Fertigkuchen abzuliefern.“ Über das große Übel und das dazugehörige Alibi wollen wir an dieser Stelle nicht zu viel verraten, aber: Was sind – abgesehen vom Fertigkuchen für das Buffet – deine Survival-Tipps für den Elternverein und die Schulzeit als Elternteil?

Wer keine Zeit und Energie dafür hat, sollte sich nicht zu einem Amt überreden lassen. Dann wird die Sache nämlich zur Quälerei. Wer sich einbringen möchte und womöglich auch noch gute Ideen hat, sollte sich hingegen unbedingt engagieren. Die Elternvereine ermöglichen an vielen Schulen Projekte, die ansonsten aufgrund von Personal- und/oder Geldmangel nicht umsetzbar wären. Vor allem aber gilt: Eine hohe Frustrationstoleranz, ein gewisses Organisationstalent und Begeisterungsfähigkeit sind gute Voraussetzungen für den Elternvereinsbetrieb.

Mein ganz persönlicher Survival-Tipp, um sich vor der Wahl zum/zur Klassenelternsprecher*in zu drücken: Meiner Erfahrung nach ist, wer sich als Schriftführer*in meldet, automatisch aus dem Rennen.

Deine Protagonistin Finja ist Mutter von Drillingsmädchen und nicht unbedingt das, was einige andere Mütter, die mit ihr im Elternverein sind, als „Vorzeigemutter“ bezeichnen würden. Woher kam die Idee für so eine wunderbar unangepasste Protagonistin?

Meine Figuren entwickeln alle rasch ein Eigenleben, und bei Finja war mir sofort klar, dass sie nach ihren eigenen Regeln spielt. Was ich an ihr besonders mag, ist, dass sie zu ihren Fehlern und Schwächen steht. Sie ist authentisch, ein bisschen chaotisch, loyal und liebevoll. Außerdem weiß sie, dass sie nicht perfekt ist, aber, ganz ehrlich, wer ist das schon?

 

Dein Buch räumt gnadenlos mit Mama-Klischees und gesellschaftlichen Erwartungen auf. Warum ist dir das Thema so wichtig – und was muss sich deiner Meinung nach dringend ändern?

So gut wie alles! Niemand wird als Mutter geboren, hat eine Bedienungsanleitung für Kinder, Waschmaschine und Altenpflege implantiert. Frauen müssen das alles genauso lernen wie Männer, die sich durch Dummstellen allzu oft aus der Affäre ziehen.

Kinder sind keine Frauensache. Dass Väter zu Helden stilisiert werden, wenn sie ihren Nachwuchs in den Kindergarten bringen, Mütter aber verteufelt, wenn ihr Kind im Supermarkt einen Trotzanfall hat, ist nur eines von vielen Beispielen für die unfairen Doppelstandards, mit denen Mütter zu kämpfen haben.

Gesamtgesellschaftlich muss Care-Arbeit eine sehr viel größere Wertschätzung entgegengebracht werden. Das fängt bei einer besseren Entlohnung im Bildungs- und Pflegebereich an, reicht über eine verkürzte Arbeitszeit für alle bis zur gerechten Aufteilung von Hausarbeit und Kindererziehung in Beziehungen. Dass Alleinerziehende regelrecht dafür bestraft werden, die doppelte Bürde zu stemmen, empfinde ich als besonders niederträchtig.

 

Die Protagonistin Finja ist auch Autorin, das Eintauchen in ihre erotischen Geschichten fällt ihr bei all dem Trubel aber nicht immer leicht. Wie sieht die Schreibpraxis der Krimiautorin Nicole Makarewicz aus?

Schreiben ist Arbeit. Es ist anstrengend, mitunter mühsam, aber auch unglaublich befriedigend. Es ist oft schwer, die nötige Disziplin aufzubringen, sich hinzusetzen und anzufangen; der Alltag und natürlich auch der Job pfuschen nur allzu bereitwillig dazwischen. Inzwischen sind meine Töchter 19 und 17 Jahre alt, das macht es leichter. Als sie jünger waren, hatte ich viel mehr für sie und mit ihnen zu erledigen – von Schulbelangen bis zu Besuchen bei diversen Ärzt*innen über die ganz alltägliche Organisations- und Versorgungsarbeit, die zeit- und kräfteraubend ist. Meistens habe ich also in der Nacht geschrieben und das hat sich bisher (noch) nicht wirklich geändert.

 

Auf deiner Website ist zu lesen, dass du Synästhetikerin bist und Zahlen, Buchstaben und Worte für dich Farben haben. Wie beeinflusst das deinen Schreibprozess? Und welche Farbe hat dein neues Buch überwiegend?

Durch die Synästhesie erlebe ich Zahlen und Buchstaben in mehreren, sich überlagernden Ebenen. Ich weiß immer, in welcher Farbe ein Wort tatsächlich geschrieben ist, zusätzlich sehe ich die einzelnen Buchstaben in „ihrer“ Farbe. Daraus ergibt sich, dass manche Worte, Namen und Zahlen sich sympathischer anfühlen als andere, freundlicher, weicher oder fröhlicher. „Engagier dich oder stirb!“ ist ein sehr buntes Buch geworden, was das Cover perfekt widerspiegelt.

 

Du bist nicht nur Schriftstellerin, sondern auch Journalistin. Beeinflusst der Journalismus dein literarisches Schreiben? Oder ist es eher umgekehrt?

Das hält sich die Waage. Ich habe seit jeher viel geschrieben, außerdem gehe ich den Dingen gerne auf den Grund. Der Journalismus war demnach eine logische Wahl. Mit knapp 18 Jahren habe ich erste Artikel veröffentlicht und seither bin ich dem journalistischen Schreiben treu geblieben. Erst Jahre später habe ich mich ans literarische Schreiben gewagt, obwohl ich immer schon am liebsten Geschichten erzählt habe – etwa in Form von Reportagen. Dass ich mich in meine Themen akribisch einarbeite, kommt vom Journalismus. Insofern funktioniert die Beeinflussung wechselseitig.

 

Werden wir Finja noch mal (freiwillig oder unfreiwillig) ermitteln sehen? Oder einen anderen deiner starken Charaktere in einem Spin-off?

Auf jeden Fall! Derzeit schreibe ich an Band zwei, in dem – so viel sei bereits verraten – ein Kunstwerk Henriettes gestohlen wird und Gerti auf mysteriöse Weise verschwindet. Außerdem haben die Drillinge dann den Schulwechsel hinter sich und besuchen drei verschiedene erste Klassen an zwei Schulen. Finja bekommt also einiges zu tun. Auch ein Spin-off mit Henriette kann ich mir sehr gut vorstellen, vielleicht erzähle ich irgendwann einmal ihre Vorgeschichte.


Lust auf mehr?

Wem viel zu lange Diskussionen auf viel zu kleinen Stühlen bekannt vorkommen, hat mit diesem Krimi eine helle Freude … und ein moralisch vertretbares Ventil, um den dabei entstandenen Mordgelüsten Luft zu machen. Nicole Makarewicz, selbst Mutter, hat mit diesem Buch einen grandiosen Reihenauftakt geschaffen. Sie spricht nicht nur Eltern an, die mit ihren Mit-Eltern noch eine Rechnung offen haben, sondern alle modernen selbstbestimmten Frauen und Mütter, die zwar nicht immer Kurs, aber den Kopf über Wasser halten.

Online erhältlich und überall, wo es Bücher gibt.