Drei Fragen an Klaus Merz

Zum 80. Geburtstag von Klaus Merz erscheint die vollständige neunteilige Werkausgabe, herausgegeben von Markus Bundi – ein literarisches Ereignis, das das eindrucksvolle Lebenswerk eines der bedeutendsten Schriftsteller der Schweizer Gegenwartsliteratur würdigt. Im Kurzinterview gibt Merz Einblick in seine aktuelle Lektüre, erzählt von seiner frühen Begegnung mit Literatur und erklärt, was für ihn ein gutes Gedicht ausmacht.

Der Haymon Verlag vollendet mit dem letzten Band ein Gesamtwerk, das in seiner stillen Kraft, poetischen Präzision und Tiefe einzigartig ist.

Zahlreiche Wegbegleiter haben die Fertigstellung der Werkausgabe zum Anlass genommen, um ihre persönlichen Merz-Lektüren festzuhalten. Die der Werkausgabe beiliegende Broschüre „Klaus Merz lesen“ ist hier auch als PDF-Download zugänglich.

 

Wie kam die Literatur in dein Leben?

Ich habe im Lehrseminar mit 15, 16 einen ganz tollen Deutschlehrer gehabt. Und der hat uns moderne Literatur zuerst unterlegt, nicht die Klassiker. Und auch natürlich Gedichte, aber auch Prosa, nach dem Krieg, 15 Jahre nach dem Krieg. Und da habe ich eigentlich gemerkt, dass für mich Literatur, dann auch selber schreiben, eine Möglichkeit ist, die Fremdheit zwischen mir und der Welt irgendwie etwas sagbarer zu machen. Also, es ist ja so, wenn ich deinen Namen weiß, dann bist du mir auch weniger fremd. Schreiben heißt im Grunde genommen, „benamsen“ würden wir Schweizer sagen, Namen geben. Sich der Befremdlichkeit, die ja im Grunde genommen immer auch etwas Furchterregendes ist, zu stellen, damit man die Furcht vor der Welt, die Furcht voreinander, abbauen kann. Ich glaube, das ist etwas Wichtiges gewesen.

Welches Leseerlebnis hat dich zuletzt so richtig überrascht?

Also, ich stecke seit Wochen eigentlich in einem Buch von Claire Keegan. Das sind die gesammelten Erzählungen von ihr, „Liebe im hohen Gras” heißt diese Sammlung. Das sind ganz dichte, unheimlich luzide und sinnliche Geschichten. Sie ist eine großartige Erzählerin, kompakt, dicht und sie schneidet mir immer wieder den Atem ab.

Schreiben, wie man eine Trockenmauer baut: Stein um Stein ohne Füllmaterial. Wie macht man das?

Ja, also das Entscheidende ist bei der Trockenmauer, dass der Pfludi, der Zement, weggelassen wird, dass die Mauer in sich ruhen muss und auch luftdurchlässig bleibt eigentlich. Und so soll auch ein Gedicht atmen können, finde ich. Und es soll reduziert sein auf das nötigste Material. Wenig genug, das zeichnet eigentlich, finde ich, ein Gedicht aus.


© Foto: David Zehnder

Klaus Merz, geboren 1945 in Aarau, lebt in Unterkulm/Schweiz. Zahlreiche Auszeichnungen, u.a. Hermann-Hesse-Literaturpreis 1997, Gottfried-Keller-Preis 2004, Aargauer Kulturpreis 2005, Werkpreis der schweizerischen Schillerstiftung 2005, Basler Lyrikpreis und Friedrich-Hölderlin-Preis (beide 2012), Rainer-Malkowski-Preis (2016) sowie zuletzt Christine-Lavant-Preis (2018) und Schweizer Grand Prix Literatur (2024). Bei Haymon: Am Fuß des KamelsGeschichten & Zwischengeschichten (1994, bei HAYMONtb 2010), Kurze DurchsageGedichte & Prosa (1995), Jakob schläftEigentlich ein Roman (1997, 6. Auflage, HAYMONtb 2013), Kommen Sie mit mir ans Meer, FräuleinRoman (1998), GarnProsa & Gedichte (2000), Adams KostümDrei Erzählungen (2001), Das Turnier der BleistiftritterAchtzehn Begegnungen (2003), Löwen LöwenVenezianische Spiegelungen (2004), LOSErzählung (2005, HAYMONtb 2012), Priskas MiniaturenErzählungen 1978–1988 (2005), Der gestillte BlickSehstücke (2007), Der ArgentinierNovelle (2009, HAYMONTB 2016), Aus dem StaubGedichte (2010), Unerwarteter VerlaufGedichte (2013), Helios TransportGedichte (2016), zusammen mit Nora Gomringer, Marco Gosse, Annette Hagemann und Ulrich Koch Flüsterndes LichtEin Kettengedicht (2017) und der Prosa- und Lyrikband firma. Seit Herbst 2011 erscheint bei Haymon die Werkausgabe Klaus Merz in mehreren Bänden. 2020 ist mit der Erzählung Im Schläfengebiet ein Sonderdruck in bibliophilem Gewand und mit einem Begleitwort von Beatrice von Matt erschienen. 2023 erweiterte er seine Publikationen um Noch Licht im Haus. Gedichte & Kurze Geschichten.