„Die Bewertungen und Verurteilungen rund ums Thema Stillen müssen endlich aufhören!“ – ein Interview mit Britta Fuchs

Ein individueller Stillweg, der gesellschaftspolitische Ebenen wie gleichberechtigte Elternschaft und körperliche Selbstbestimmung einschließt, muss möglich sein. Dafür braucht es Wissen, Sichtbarkeit und das Erkennen, dass Stillen nicht nur Gebärende etwas angeht. Britta Fuchs hat darüber ein Buch geschrieben: „Unstillbar“ – das erste deutschsprachige feministische Sachbuch rund ums Stillen. Wir haben mit ihr über die Idee zum Buch gesprochen, und was sich in unserer Gesellschaft noch ändern muss, sodass ein individueller Stillweg für alle möglich ist.

Das Thema Stillen begegnet spätestens in der Schwangerschaft allen Frauen und Personen, die ein Kind gebären können. Sie spüren den Druck, stillen zu müssen, noch bevor das Baby das erste Mal an den Brustwarzen saugen soll. Sie sind nach der Geburt häufig allein mit dem Schmerz, wenn die Nippel wund sind oder die Milchproduktion zu niedrig ist, werden beschimpft, wenn sie „zu lange“ stillen oder dem Baby das Fläschchen geben, werden sexualisiert, wenn sie in der Öffentlichkeit stillen. Dabei führt diese gesellschaftliche Erwartungshaltung dazu, dass gebärende Personen häufig nicht einmal bewusst entscheiden, ob sie überhaupt stillen wollen – geschweige denn wie.

Liebe Britta, wie bist du auf die Idee gekommen, ein Buch rund ums Thema Stillen zu schreiben?

Ich bin absoluter Büchermensch und habe schon immer versucht, die Welt mithilfe von Büchern zu verstehen. Als ich mich dann mit Elternschaft auf feministischer Perspektive beschäftigt habe, fiel mir auf, dass das Stillen meistens nur in Nebensätzen auftauchte. Ich habe dann explizit nach Büchern zu dem Thema gesucht und im deutschsprachigen Raum kein einziges gefunden – also habe ich beschlossen, es selbst zu schreiben.

Wurdest du während der Recherche zu deinem Buch von einem Fact selbst überrascht und wenn ja, welcher Umstand in Bezug auf das Thema Stillen hat dich am meisten überrascht/gepackt/verärgert/betroffen gemacht?

Als ich die Idee für „Unstillbar“ hatte, habe ich mir schon gedacht, dass das Stillen ein Thema ist, das eine größere Bedeutung hat, als wir oft annehmen. Aber auf wie viele Lebensbereiche es wirklich einen deutlichen Einfluss hat – das war mir damals noch nicht klar. Es begegnet uns direkt oder indirekt einfach in so ziemlich allen Bereichen der Elternschaft. Vieles beeinflusst das Stillen und umgekehrt genauso.

Eine Erkenntnis beim Schreiben, die mir bis heute noch nachhängt, ist, dass ich in meiner ersten Stillzeit gar nicht gemerkt habe, wie sehr ich mich eingeschränkt habe, weil ich anfangs nicht in der Öffentlichkeit stillen wollte. Bei meiner Recherche erfuhr ich dann von diesem gewissen Ort, der Stillenden zugewiesen wird, am besten draußen, in einiger Distanz oder zuhause, wo sie andere Menschen nicht mit dem Akt des Stillens irritieren. Es nimmt Stillenden natürlich einen Teil ihrer Teilhabe am sozialen Leben, wenn sie beispielsweise im Café Gefahr laufen, missbilligende Blicke zu ernten oder abfällige Kommentare hören zu müssen.

Was muss sich deiner Meinung nach gesellschaftspolitisch noch am meisten ändern, sodass ein individueller Stillweg für alle möglich ist?

Ich glaube, ganz wichtig ist, dass wir als Gesellschaft, es schaffen, von diesem vermeintlich eindeutigen Bild vom Stillen wegzukommen. Er scheint ja immer so klar zu sein, was Stillen ist, aber am Ende können die Menschen, die es betrifft, gar nichts zu 100 Prozent richtig machen. Sie stillen entweder zu kurz oder zu lang. Oder zu öffentlich. Und wenn sie es gar nicht machen wollen, ist das auch wieder falsch, gesellschaftlich gesehen. Diese Bewertungen und Verurteilungen müssen aufhören.

Das braucht natürlich auch politische Anstrengungen: angemessene Vergütung für alle relevanten Berufsgruppen, wie Hebammen und Laktationsberater*innen, die gesetzliche Verankerung von einem Recht aufs Stillen in der Öffentlichkeit, Geld für Forschung und (Weiter-)Bildung – und langfristig eine ganze Reihe Maßnahmen, die reproduktive Rechte und die Selbstbestimmung von Eltern fördern.


 

Über die vielen Dimensionen des Stillens, ständige Bewertung und echte Selbstbestimmung

Das erste feministische Sachbuch rund ums Stillen – über Tabus, Dauerbewertung und der Weg zur Individualität
Britta Fuchs setzt sich kritisch mit dem Thema Stillen auseinander, bringt dabei neben eigenen Erfahrungen auch wissenschaftliche Daten und historische Entwicklungen und Erkenntnisse ein, beleuchtet die vielen Dimensionen, die darauf einwirken. Dieses Sachbuch ist ein Gegenentwurf zu Brust vs. Flasche: Es soll informieren, Veränderungen anstoßen, enttabuisieren.

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