Kitsch, Kommerz, kulturpolitische Waffe: Wem gehört die Tracht?

Man schmückt sich mit ihr auf Volksfesten, Hochzeiten und Empfängen. Patriotische Modelabels haben sie für sich entdeckt. Trachtenvereine pflegen sie in ihren regionalen Ausformungen, die Designer der Haute Couture bringen sie neu interpretiert auf die Laufstege der Welt. Politiker*innen verschiedenster Lager tragen sie, andere verweigern sich ihr. Die einen hassen, die anderen lieben sie: die Tracht. Egal, in welchen Farben und in welchem Kontext sie getragen wird – eines ist sie immer: ein Statement. Aber wofür? Ist sie für dich ein farbenfrohes Zeichen regionaler Tradition und Zugehörigkeit? Oder nationalistische Gesinnungskleidung? Symbol einer „Leitkultur“? Oder doch einfach nur ein schönes Stück Stoff?

Elsbeth Wallnöfer macht sich in „TRACHT MACHT POLITIK” auf die Spur eines heiß umfehdet, wild umstrittenen Kleidungsstücks. Einen Vorgeschmack dazu gibt es in unserer Leseprobe: 

Illustrationen von Marie Vermont geben Einblick in die Geschichte der Tracht

Eben weil Tracht und Dirndl derart diffus ahistorisch überfrachtet sind, weil sie entlang eines kulturellen Wertegesetzes rauf- und runterdekliniert wurden und werden, kommt es neuerdings zu so was wie Urheberrechtsdebatten. Die Exegeten aller Genres bringen sich in Stellung, weil sie die Idee der schöpferischen Urheberschaft des Volkes in diesem Kleidungstück verdichtet sehen. Derlei Absurditäten fanden jüngst Ausdruck in der Auseinandersetzung zwischen einer rumänischen Region und dem Haus Dior in Paris. Gegenstand des Anwurfes war ein besticktes Schaffell-Gilet. Als Dior Anleihe bei einer nordrumänischen Felljacke nahm, war der Aufschrei groß, man sah die kulturelle Identität auf dem Jahrmarkt veräußert. Von Diebstahl an der Kultur anderer war die Rede. Gar eine Initiative wurde gegründet, die sich bemühte, sich als die Hüterin originärer Kultur darzustellen. Die darin gebündelten Kräfte riefen dazu auf, die von Dior angepriesenen Stücke wären bei den Frauen in Rumänien günstiger zu bekommen und darüber hinaus noch in einer besseren Qualität und überhaupt hätte das Haus Dior nicht einen Cent an die Frauen gespendet. Nun, vielleicht mag es stimmen, dass die Qualität der bestickten Schaffelljacke bei den Rumäninnen besser ist. Dennoch könnte sie auch schlechter sein. Zudem muss man wissen, dass sich bis zum Zeitpunkt dieser Erregung kein Mensch auch nur annähernd für derlei Exotismen außerhalb dieser Gebiete interessierte. Die zusätzliche Schwierigkeit, welcher Kultur in welchem Gebiet Dior nun Geld löhnen sollte, ist ohnehin nicht zu klären, denn die Entlehnung berührt die nordrumänische und bukowinische (heute Ukraine) Kultur gleichermaßen.

Eine Urheberrechtsdebatte erübrigt sich aufgrund historischer Bedingungen, denn folgten die Identitätsprediger ihren eigenen Spuren, würden sie entdecken, dass so genannte Volkskunst keinem personal gestalteten Kollektiv entspringt, ein alleiniger kollektiv geformter Urheber unmöglich ausfindig gemacht werden kann. Dem Prinzip der Mode entsprechend versuchte auch hier ein Mensch oder mehrere, aus den zur Verfügung stehenden Rohstoffen (was man halt so hatte) sich zu behübschen. Begehrlichkeiten führten dazu, dass sich die Nachbarinnen untereinander kopierten. Tracht, Dirndl u. ä. fielen, wären sie identitätsstiftender Bestandteil eines Kollektivs, bei Verletzung desselben unter das Völkerrecht. Was dies verhieße, mag man sich gar nicht ausmalen.

Die bisherige Maßregelung der Gesinnungsfolkloristen, Volkskunst, Tracht und Dirndl seien Wesensmerkmale einer in sich verbundenen Gemeinschaft und sollten unverändert an die folgenden Generationen weitergegeben werden, sollte als das deklariert werden, was es ist: eine Erzählung, die von einigen Wenigen in Umlauf gebracht wurde und die ein politisches Ziel verfolgt. Nämlich Kultur und Wesenszüge zum Zwecke eines idealisierten Gestaltungswillens einer Nation ursächlich miteinander zu verbinden.

Nicht selten wird in Zusammenhang mit dem Thema auch die Frage nach dem Geschmack gestellt. Steht ein Dirndl jeder? Darf es sexy sein? Wie viel Dekor verträgt ein Dirndl? Wie kurz darf, wie lang muss es sein? Kann man Nagellack dazu tragen, oder eine Uhr? In welchem Verhältnis und Abstand sollen Schürze und Rock zueinander getragen werden und so weiter und so fort. Darauf gibt es keine abschließend richtige Antwort, denn es ist nur ein Kleidungsstück, das allein der eigenen, individuellen Behübschung dienen sollte. Die Demokratisierung ermöglicht uns, frei zu wählen, wie und was wir tragen möchten. Dass das gute Kleidungsstück als Arme-Leute-Gwand, als bäuerliches Gwand, eine steile Karriere als sommerlich modisches Stück genommen hat, es aber auch bei jenen, die keine Wahl hatten, als antimodisches Stück so schnell wie möglich abgelegt werden wollte, beweist einmal mehr, dass es nichts weniger ist als ein Ergebnis menschlicher Kreativität. Jene, die glauben, Tracht und Dirndl seien der Inbegriff deutschkultureller Tradition und hätten somit normativ unabänderlich gleich zu bleiben, denen sei gesagt, alle Kulturen hatten zu irgendeiner Zeit eine für sie typische Kleidung. Wir wissen inzwischen, dass dies mit den Ressourcen und Rangordnungen zu tun hat, genauso wie mit politischen, modischen Strömungen und dem Begehren einzelner Individuen, die sich zu Experten aufgeschwungen haben. Die Vorstellung dessen, was schön ist, verläuft in etwa im Zyklus der Jahreszeiten, man denke an die Haute-Couture-Schauen und deren Frühjahrskollektionen, Herbstkollektionen usf.

Jenen religiösen Eiferern, die glauben, man sei mit einem von den Verbänden regulierten Dirndl oder einer Tracht stets gut angezogen, sei entgegnet, dass auch nicht jede Figur in eine Leggins passt. Selbst eine Jeans steht nicht allen. Rufen wir uns noch mal den Römer Ovid in Erinnerung, der in der Antike bereits Styling-Tipps gab. Warum sollte das hier behandelte Kleidungsstück eine Ausnahme bilden? Gerade, weil Menschen ihre Kleidung in erster Linie nicht erfunden haben, um patriotische Phantasien zu befriedigen, sondern um erstens gekleidet zu sein, und zweitens um sich zu behübschen, nimmt es nicht wunder, wenn wir Tracht, Dirndl oder Lederhose in allerlei Abbildungsformen begegnen.

Elsbeth Wallnöfer, geboren in Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und lebt in Wien. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem. Foto: Haymon Verlag / Fotowerk Aichner

Die barbiehafte Behübschung der Society-Moderatorinnen im deutschen Fernsehen zur Münchner Wiesnzeit, die Fußballerfrauen im Dirndl, der Besuch von berühmten Sternchen wie der Hotelerbin Paris Hilton sind nichts als gespiegelte Realität gängiger Praxis des Schönheitsputzes im Alltag. Gleiches gilt für die lederhosenbewehrten Männer, die, wie ein österreichischer Verhaltensforscher mal meinte, durchaus einer naturgegebenen Konstante von männlichem Imponiergehabe folgen und dies mit dem Imponiergehabe von Primaten verglich. Vielleicht ist der Mensch nichts als ein Aff’ in Trachten-, Dirndl-, und Lederhosenkleidung.
Damit erübrigte sich beinahe, die andere Seite der soziologischen Trachtenwirklichkeit zu erwähnen, den ausgeprägten Distinktionskapitalismus, der in der Tracht steckt und sich bei lokalpatriotischen Bällen geballt zeigt. Im kollektiven Rausch wird ein Lob auf die Tradition ausgerufen, Märsche werden gespielt und selbst bei inoffiziellen Hymnen wird (speziell bei den Tirolern) aufgestanden, mitgesungen, die Hand aufs Herz gelegt und am Ende salutiert.

Frauen in einfachem Ballkleid, die selten genug vorkommen, oder junge Frauen in Dirndln vom Discounter werden auf Trachtenbällen schief angesehen und schmallippig begrüßt. Es kommt schon vor, dass sie von den Ballfotografen, die beim Einlass stehen und sich wie Experten gerieren, erst gar nicht abgelichtet werden. Die Ballsaison birgt die Chance zur rituellen kollektiven Selbstzelebration. Sie dient, auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen oder verharmlosen, der Selbstaufrichtung einer ganz bestimmten kollektiven Identität. So gut wie nie findet man im Landhausstil gekleidete Menschen auf solchen Bällen. Werner Kogler, seit 2020 grüner Vizekanzler und Steirer, wurde dafür kritisiert, dass er bei der Angelobung keine Krawatte trug, auch war er nicht dafür bekannt, Trachtenjanker zu tragen. Das hat man ihm schnell abgewöhnt. Der auf die Ballsaison fallende Regierungsbeginn ließ ihn recht schnell in einem grün-grau-steirischen Trachtenfrack auf dem Steirerball erscheinen, zusammen mit Umweltministerin Leonore Gewessler, die sich in einem von einem Salzburger Trachtendesigner moderat zitierten Outfit zeigte und das auf Erzherzog Johann (1782–1859), einen Habsburger, der seiner Liebe zum Landleben bis hin zu einer morganatischen Verbindung mit einem Landmädchen nachging, verwies.
Die politische Vergangenheit des Trachtenjankers hatte die politische Gegenwart eingeholt.

Und du? Hast du jetzt Lust bekommen, Omas Dirndl aus dem Keller zu holen? Oder doch eher, deines in den Altkleidersack zu packen? So oder so: Dieses Buch wird dich fesseln! Elsbeth Wallnöfer erzählt von Menschen, Moden und Mythen und legt frei, was vom Dirndl übrigbleibt, wenn Landromantik, politisches Korsett und die hartnäckigsten Irrtümer abgetragen sind. Ein hervorragend recherchierter, ebenso pointierter wie leidenschaftlicher Text – und ein beherzter Aufruf, sich das Dirndl zurückzuerobern! Mit zahlreichen farbigen Illustrationen und einem kunstvoll gestalteten Plakat. Hier geht es zum Buch!