Psychologische Krimi-Perfektion: Carla Bukowski ermittelt wieder

Autorin Lena Avazini. Foto: Thomas Schrott

Wenn auf einem Buchcover Lena Avanzini steht, verbirgt sich dahinter in der Regel kein Gesundheitsratgeber: Eine Protagonistin, die sich im Wesentlichen von Zigaretten und dreifachen Espressi ernährt, und durchschnittlich drei bis sieben Leichen pro Fall – das hört sich schon reichlich ungesund an. Auch in ihrem neuen Krimi wird das Ermittlerteam nicht gerade geschont. Aber Carla Bukowski ist zäh. Und Carla Bukowski ist unberechenbar.

Im Gespräch mit Christina Kindl-Eisank (erstmals erschienen im Wagner’sche Magazin N°2) spürt Lena Avanzini dieser Unberechenbarkeit, überhaupt: dieser eigenwilligen Ermittlerpersönlichkeit mit Hang zur Selbstzerstörung nach.

Was wäre schließlich ein Mensch ohne seine Widersprüche? 

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Sie lieben gemütliche Cafés, selbst gebackenen Marillenkuchen – und Krimis mit drei bis sieben Leichen. Wie passt das zusammen?

Gar nicht. Was wäre ein Mensch ohne Widersprüche?

Hilft das Morden am Papier, um Ärgernisse des Alltags abzubauen?

Unbedingt!

In Ihren Krimis ermittelt Carla Bukowski, eine Inspektorin der etwas anderen Art. Sie mag Störche und Musik von Schönberg, kann Operetten nicht ausstehen und hat eine beste Freundin, die Channeling betreibt. Gab es für Carla Bukowski eine Vorlage, oder anders gefragt: Sollte es mehr Carla Bukowskis auf dieser Welt geben?

Eine Bukowski reicht völlig. Vorlage gab es keine. Nur ein Bild, einen Namen, einige Waldspaziergänge und Badewannenaufenthalte. Ergebnis: geschrumpelte Haut und eine spröde, seelisch angeschlagene Ermittlerin. Sie ist aber durchaus liebenswert, wenn man sie näher kennenlernt.

Sie ist ein echtes Original und sie hat es nicht gerade leicht. Sie muss schon einiges mitmachen, das richtig unter die Haut geht. Wissen Sie das schon, bevor Sie mit dem Schreiben eines neuen Buchs beginnen, oder lassen Sie das auf sich und Ihre Figur zukommen?

Vor dem Schreiben kommt das Planen. Ich skizziere einerseits die Figuren der Geschichte, andererseits den Plot und damit all das Furchtbare, das den Armen zustoßen wird. Aber so arm und machtlos sind sie gar nicht.  Manche schlagen zurück, indem sie ein Eigenleben entwickeln und die Pläne der Autorin boykottieren.  Sie gehen ganz einfach in die entgegengesetzte Richtung, was einerseits schön, andererseits arbeitsaufwendig ist. Bukowski ist so eine widerspenstige Figur. Sie ärgert mich in jedem Band. Sie ärgert mich auf ungesunde Art und Weise. Aber wir werden ja sehen, wer am längeren Ast sitzt …

Schicksalsschläge, Anti-Depressiva, ein Hang zu Kurzschlusshandlungen: Das klingt nach einem guten Cocktail für eine tragische Verbrecherkarriere. Ist es purer Zufall, dass Carla auf der Seite der Guten steht?

Menschen aus Fleisch und Blut haben die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden – zumindest mehr oder weniger.  Fiktive Figuren nicht, ihr Weg wird vom Autor, von der Autorin vorgegeben.  Bukowski hat also keine Wahl, sie muss  auf der Seite der Guten …  Oder? Wie war das mit dem Eigenleben und dem Hang zum Boykott? Na bravo. Jetzt haben Sie die Gute auf eine Idee gebracht – herzlichen Dank auch!

Wann überkam Sie der Drang, selbst einen Krimi zu schreiben?

Gar nicht. Ich will immer nur spannende Geschichten schreiben. Aber dann holt mich das Verbrechen ein. Und weil Verlage und Buchhandlungen von ordentlichen Menschen geführt werden und ordentliche Menschen eine Vorliebe für Schubladen haben, steht vorne meistens „Kriminalroman“ drauf.

Gibt es ein Autorenklischee, das Sie erfüllen?

Meinen Sie sowas wie: Autoren saufen, schlagen sich die Nächte um die Ohren, sind asoziale Nerds, warten ihr Leben lang auf die Idee und werden dann reicher als die Queen? Liebe Frau Kindl-Eisank, ich schweige vielsagend.

Haben Sie einen Büchertipp für uns? Es muss kein Krimi sein.

Wie wär’s mit einem Klassiker? Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz. Eine wunderbare Geschichte für junge und alte Kinder, in der es um den Raub und die abenteuerliche Wiederbeschaffung einer besonderen Kaffeemühle geht, und die man also auch in die Krimischublade stecken könnte. Man muss aber nicht!

Zu guter Letzt: Welche Bücher hätte Carla Bukowski auf Ihrem Nachtkästchen liegen, wenn sie Zeit zum Lesen hätte?

Da läge natürlich an oberster Stelle das Buch ihres verstorbenen Mannes Gregor Bukowski: Schönberg und seine geistigen Väter. Außerdem die Duineser Elegien von Rilke. Das hätten Sie ihr nicht zugetraut, was? Leider hat sie viel zu wenig Zeit zum Lesen.

Ach ja, und dann noch E. L. James: Fifty Shades of Grey. Was, echt jetzt? Bukowski auch? Tja, wieder so ein Fall von Ungehorsam gegenüber der eigenen Autorin. Zum Glück hat Bukowski wirklich keine Zeit zum Lesen!

Lena Avanzini liefert einmal mehr einen elektrisierenden Kriminalroman und entlarvt Seite für Seite, wozu eine gekränkte Seele fähig ist. Lernt die spröde Ermittlerin mit der düsteren Vergangenheit kennen und lest jetzt rein:

Nie wieder sollst du lügen
Auf sanften Schwingen kommt der Tod
Am Ende nur ein kalter Hauch