„Unerschrocken und heiter”: Wildgans-Preisträger Christoph W. Bauer im Interview

Am 13. September wird Christoph W. Bauer der Anton-Wildgans-Preis verliehen. Die Jury der hochkarätigen Auszeichnung betont in ihrer Begründung die Vielseitigkeit des Schriftstellers, der uns in seiner Prosa durch das Alphabet historischer Häuser und Straßenzüge streifen lässt und mit seiner Lyrik spielerisch zwischen The Clash und griechischer Mythologie auf abenteuerliche Entdeckungsreisen schickt. In unserem Interview sprechen wir mit dem Schriftsteller über die jüngste Auszeichnung, über unmodernes Zaudern und über Punk-Rock und Poesie.

Portrait: © Haymon Verlag / Fotowerk Aichner

Christoph W. Bauer, geboren 1968 in Kärnten, aufgewachsen in Tirol. Verfasst Lyrik, Prosa, Essays, Hörspiele und Übersetzungen. Zahlreiche Veröffentlichungen, mehrere Auszeichnungen, u.a. Reinhard-Priessnitz-Preis (2001), Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (2002), Preis des Kärntner Schriftstellerverbands (2010), Kärntner Lyrikpreis (2014), Outstanding Artist Award und Tiroler Landespreis für Kunst (beide 2015), Preis für künstlerisches Schaffen der Stadt Innsbruck (2021), sowie zuletzt den Anton Wildgans Preis der Österreichischen Industrie 2023.

Was bedeutet dir der Wildgans Preis?

Diese Auszeichnung hat eine lange Tradition – und mit Blick auf die Liste der Autorinnen und Autoren, die mit dem Wildgans-Preis ausgezeichnet wurden, ist das schon etwas Besonderes. Und ich freue mich darüber. Auch über das Preisgeld, klar doch.

Haben Preise einen Einfluss darauf, wie Literatur wahrgenommen wird?

Ich weiß nicht, mag sein. Wenn ja, beschränkt sich dieser Einfluss aber wohl auf recht kurze Zeit. Heute eine Pressemeldung, morgen schon die nächste. Heute eine Auszeichnung hier, morgen ein Preis dort. Wichtig ist die Anerkennung für jene, die sie erhalten, ohne Anerkennung kann kein Mensch leben, egal in welchem Beruf. Anerkennung, das bedeutet, wahrgenommen zu werden – ach, ich weiß es wirklich nicht. Du siehst ja, ich zögere, ich zaudere …

Daran anschließend: Wie steht es um die Produktionsbedingungen in der Literatur, im Feuilleton, in der Kulturvermittlung? Blickst du eher optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft, was das angeht?  

Dazu könnte zweifelsohne ein Verlag mehr sagen, denke ich. Fest steht freilich, dass es mittlerweile verschiedenste Möglichkeiten der Vermittlung gibt, die von den klassischen der vergangenen Jahrzehnte abweichen. Manche eignen sich dafür mehr, manche weniger, aber ohne neue Entwicklungen geht es nicht – ist es auch nie gegangen. Insofern lasse ich mich überraschen, was die Zukunft angeht, meine eigene Arbeit, also mein Schreiben, wird das wohl wenig beeinflussen. Ein Verriss macht ein Buch nicht schlechter, eine Laudatio ein Werk aber auch nicht besser. Ignoranz ist zu ignorieren, einfach weiterschreiben, das ist meine Devise, mein Wahlspruch, das kingt markiger: unerschrocken und heiter.

Ist in einer (digitalen) Öffentlichkeit, die von starken, kategorischen Meinungen geprägt ist und besonders die grellen und polarisierenden Zurufe begünstigt, das Suchen, Abwägen und Unschlüssigsein gewissermaßen in der Krise?

Ich würde nicht gerade sagen „in der Krise“, aber in einer Zeit der Behauptungen und der verbalen Schnellschüsse ist es unmodern geworden, zu zaudern, zu hinterfragen, sich Zuschreibungen zu verweigern. Daraus ziehe ich die Kraft, es dennoch zu tun.

Ist der abwägende Zauderer ein „unsung hero“ oder ein Antagonist unserer Zeit?

Er ist wohl beides.

Zaudern, spielen, augenzwinkern und bitter lachen: Liegt darin ein subversives Moment?

Unbedingt!

Kann Literatur, kann insbesondere Lyrik ein „nachdenklicheres“ Gegengift sein für das Stakkato der Gewissheiten, das uns von Titelseiten und Twitterbeiträgen entgegengeschrien wird?

Ich denke schon, dass Literatur da etwas bewirken kann, vorausgesetzt freilich sie findet Leserinnen und Leser, vorausgesetzt sie findet Verlage, die sich nicht von Twitterbeiträgen in ihrer Programmgestaltung beeinflussen lassen.

Wildgans-Preis Jurybegründung:

„Christoph W. Bauer ist in nahezu allen literarischen Genres zuhause. In seinen Prosa-Arbeiten, die vielfach im Grenzbereich zwischen Historiographie und Fiktion angesiedelt sind, dominieren Geschichten, die er im Alphabet ramponierter oder auch längst verschwundener Häuser ermittelt, sei es in Saint-Denis, sei es in Innsbruck-St. Nikolaus. Und in seinen Gedichten setzt Christoph W. Bauer mit seiner ganz eigenen Stimme souverän alle nur denkbaren lyrischen Formen ein, um in einer schier endlosen Kette von intertextuellen Bezügen, die von Homer und Catull über Dante und Villon und Borges bis zum Punk-Rock reichen, immer von neuem auf ein Spiel mit Möglichkeiten zuzusteuern, das ganz wenig übrig hat für scheinbar unverrückbare Gegebenheiten.“

Was bedeutet es für dich heute, engagierte Kunst zu machen?

Ich weiß nicht, engagierte Kunst, was ist das? Ich weiß nur, ich lebe nun mal in dieser Zeit und diese Zeit färbt auf meine Arbeit ab. Ich kann nicht so tun, als ginge mich das alles nichts an. Was jetzt nicht heißt, dass ich mir sage, du musst über bestimmte Themen schreiben. Die Themen kommen, sie holen mich im besten Wortsinn ein. Wenn dies der Fall ist, geht es mir aber immer darum: Wie schreibe ich das?

Zwischen den Toten Hosen und Ovid, zwischen Street Art und Nibelungenlied: Ist das Balancieren zwischen Hoch- und Populärkultur ein wichtiges Motiv in deinem Werk?

Die Hosen, The Clash, die Ramones – das sind frühe und prägende Einflüsse, die in mein Schreiben eingezogen sind. Und das ist mir sehr recht so. Manch ein Lied von den Hosen hat mich weit mehr beeinflusst als ein von der Kritik in den Literaturhimmel gelobtes Buch. Diese Lieder sind ständige Wegbegleiter, wie die antike Poesie das mitunter eben auch ist. Diese von Rhythmik und Klangfarbe geprägte Sprache, diese Mythen und Figuren – war nicht auch Odysseus ein Zauderer? Ein Saumseliger?