Schlagwort: gesellschaftskritik

„Wir sollten an einer Gesellschaft arbeiten, die aus der Schwäche anderer nicht das Recht ableitet, diese auszunutzen” – ein Interview mit Gudrun Lerchbaum

Ein nur scheinbar aufgeklärter Mord, eine Frau ohne Erinnerung, ein Dorf, das sich Varianten der Wahrheit  zuraunt, und die Frage: Kann ein Opfer zugleich Täterin sein? Gudrun Lerchbaums Roman „Niemand hat es kommen sehen“ erzählt nur auf den ersten Blick die Geschichte eines ungelösten Verbrechens. Denn das Schicksal der Hauptfigur Maria nimmt uns mit auf eine rasante Reise entlang der Schicksale jener Frauen, die ungesehen bleiben: Da ist die pflegende Angehörige schwerkranker Eltern, da ist die Kellnerin in Schwarzarbeit, die ausgebeutet und erpresst wird, da ist die Ehefrau, die sich vor ihrem prügelnden Mann ins Frauenhaus rettet, und die 24-Stunden-Pflegekraft, von der viel mehr als nur Pflege erwartet wird. Wie durchlässig unsere sozialen Netze im Ernstfall sein können, wie unbeständig und flüchtig auch nur das zufällige Privileg sein kann, als Person, als gleichberechtigtes Gegenüber wahrgenommen zu werden, das lässt sich bei der Lektüre der Romane Gudrun Lerchbaums erahnen.

Wir haben mit ihr über Solidarität, Hoffnung und die Bedingungen gesprochen, aus der Kriminalität entsteht:

»Sei Teig, sei Wachs, sei Was­ser!«

Weiterlächeln, schweigen, undurchdringbar bleiben – Maria – die Protagonistin deines Romans „Niemand hat es kommen sehen“ bleibt beharrlich stumm und lässt dadurch das Gerede um sie immer maßloser werden. Das Rätsel um sie, ihre Vergangenheit, ihre vermuteten Taten übt eine unwiderstehliche Faszination auf ihre Umgebung aus. Welche Kraft liegt für dich in dieser ambivalenten Figur, die sich (nur scheinbar) passiv durch ihr Leben manövriert?

Ja, man könnte meinen, das Schweigen wäre Marias Strategie, um ein geheimnisvolles Image aufzubauen, und so wird es von jenen, die ihr nicht wohlgesonnen sind, wohl auch aufgefasst. Für sie selbst hat ihr Schweigen aber eher die Funktion einer Rüstung. Es ist der einzige Schutzschild, der sich für sie bewährt hat. Von Kindheit an hat man sich über ihre oft vergeblichen Versuche lustig gemacht, die richtigen Worte zu finden. Diese Suche nach den richtigen Worten beschäftigt sie. Daher auch ihre Begeisterung für Leitsprüche.

Maria fehlt die Erfahrung, dass andere ihr und ihren Worten Bedeutung zumessen. Sie ist nicht die Hellste, nichts Besonderes. Das hat sie zu oft gehört, um noch unbefangen auszuplaudern, was ihr in den Sinn kommt. Wenn sie also nichts zu sagen hat, was in ihren Augen einen Unterschied macht, dann schweigt sie. Wenn sie keine Chance sieht, sich durchzusetzen – schweigt sie. Das erspart ihr, sich für ihre vermeintliche Dummheit verteidigen zu müssen. Nur mit Menschen wie Rafi oder Max oder auch dem Journalisten Lando, von denen sie sich gesehen fühlt, blitzen ihr Witz und ihre Tiefe auch in ihren Worten auf.

Marias Kraft, wenn man es so nennen möchte, liegt also zunächst darin, dass sie viel aushalten kann, eine traditionell bei Frauen und Untertanen erwünschte Tugend, die auf dem Weg zu einem selbstbestimmten, gelungenen Leben nicht allzu erfolgversprechend ist. Aber genau deshalb habe ich Maria ausgesucht: Weil sie eben nicht stark, weil sie keine Heldin ist. Es sind nun einmal nicht alle stark. Die wenigsten sind es. Wir sollten an einer Gesellschaft arbeiten, die aus der Schwäche anderer nicht das Recht ableitet, diese auszunutzen. Und zwar bevor sich ihnen Gewalt als einziger Ausweg aus einer verzweifelten Situation aufdrängt.

Anders als in vielen klassischen Whodunnits, ist anstatt der eigentlichen Verbrechen vielmehr Marias irritierende Verweigerung treibende Kraft der Handlung und offenbart uns viel über gesellschaftliche und mediale Dynamiken. Wolltest du das von Beginn an zeigen, oder hast du dir beim Schreibprozess selbst ein bisschen Marias Maxime zu Herzen genommen: Teig, Wachs, Wasser zu sein?

Nicht in Bezug auf die Grundidee. Von Beginn an hat mich bei diesem Buch der Wunsch getrieben, Maria in der Außensicht noch einmal neu erstehen zu lassen, da sich Zwischen euch verschwinden ja ausschließlich auf ihre eigene, nicht ganz zuverlässige Perspektive konzentriert. Kurz hatte ich sogar einen klassischen Krimi aus Ermittlersicht im Sinn, doch dieser Ansatz war zu dünn, um das umfassende Panorama der sozialen Ursachen und Auswirkungen erstehen zu lassen, das ich im Sinn hatte.

Beim Schreiben selbst zeigt sich in meiner Arbeitsweise wohl immer schon eine gewisse Verwandtschaft zu Marias Maxime. Ein gerichtetes Treiben auf dem Fluss der Gedanken, Gefühle und Handlungen meiner Charaktere – so könnte man es schon beschreiben.

Mit Maria hast du eine Figur geschaffen, die aufzeigt, wie eine einzige Lebensentscheidung ein Leben aus den Fugen geraten lässt und wie schnell man sich in einer Abwärtsspirale der Abhängigkeiten wiederfindet. Aber es gibt bei aller Aussichtslosigkeit auch Hoffnungsschimmer, oder?

Ja, Hoffnung muss es geben, sonst wäre alles sinnlos.

Zwar konstruiere ich mir vor oder während der Arbeit keinen theoretischen Überbau für meine Figuren, aber aus heutiger Perspektive würde ich sagen, dass Marias Probleme die Wurzel alle in ihrer Scheu haben, sich mit anderen auszutauschen, weil sie deren abschätziges Urteil fürchtet. Sich Hilfe in Krisen zu suchen, bleibt ihr damit verwehrt. Doch sie hat Glück. Immer wieder trifft sie nicht nur auf soziale Kälte, Ausbeutung oder Sensationslust, sondern auch auf Menschen, die sich mit ihr solidarisieren und von sich aus helfen. Die einen, weil sie an sie glauben, sie lieben oder schätzen oder einfach Mitgefühl haben. Andere, weil sie sich als Frau oder auch auf einer abstrakteren Ebene mit Maria und ihren Problemen identifizieren. Bei aller Kritik an (sozialen) Medien wird hier auch das Potential sichtbar, das ihnen innewohnt. Der solidarische Teil der Öffentlichkeit übernimmt quasi für Maria die Kommunikation, gleicht ihr Defizit aus und verleiht so ihren vermeintlich persönlichen Problemen gesellschaftliche Bedeutung. So wird sie doch noch zur Heldin. 🙂

In deinen Romanen rückt das auslösende Verbrechen, das große Skandalon, in den Hintergrund. Die Aufklärung bietet nicht unbedingt die erwünschte Erlösung, was bleibt, ist allerdings ein ungeschönter panoramischer Blick auf Lebensrealitäten, die im Diskurs oft verdrängt, zugeschüttet, zum Verstummen gebracht werden. Ist es der angstlust-volle Blick auf die isolierte Tat und ihre Urheber*innen, der uns oft den (politischen) Blick auf die gesellschaftliche Bedingtheit von Verbrechen, Sucht, Armut versperrt?

Genau. Im lustvollen Schwelgen in den abscheulichen Grausamkeiten psychisch kranker Serienkiller beispielsweise kann man zwar möglicherweise eigene Aggressionen abbauen und sich von alltäglichem Ärger ablenken, aber man grenzt sich naturgemäß zu Recht von den Taten selber ab und sie haben auch keinen gesellschaftlichen Kontext. Ein Glück, dass uns so etwas aller Wahrscheinlichkeit nach nie treffen wird. Alles ist gut, wenn der Bösewicht im Kerker sitzt. Wir müssen nichts weiter unternehmen, alles bleibt, wie es ist, im Guten wie im Schlechten.

Demgegenüber interessiert mich sowohl beim Lesen als auch beim Schreiben ein Ansatz, der den Blick, immer ausgehend vom persönlichen Schicksal, von unten auf die gesellschaftlichen Strukturen richtet. Allerdings mag ich keine Chronistin des Elends sein, sondern ermutige meine Charaktere sozusagen zum Widerstand und spinne weiter, was sein könnte.

Ausgeliefertsein im Frauenhaus, in der häuslichen Pflege oder als unsichtbare Hilfskraft in der Gastronomie: Marias Geschichte bringt uns an unzugängliche Orte und führt uns ausbeuterische Strukturen in unserer Mitte vor Augen. Wie recherchiert man diese Dinge, die in unserer unmittelbaren Nachbarschaft passieren und doch so verborgen liegen?

Liegen sie wirklich im Verborgenen oder vermeiden wir nur den Blick darauf, um unser Gewissen nicht zu belasten? Natürlich gibt es Anteile klassischer Recherche bei meiner Arbeit. So habe ich beispielsweise ausführliche Telefonate mit der Leiterin des Frauenhauses Innsbruck geführt, in dem Maria untergekommen ist, oder mich mit einer Organisation für 24-Stunden-Pflegerinnen ausgetauscht. Dabei erfahre ich nicht nur etwas über Tatsachen und Routinen, sondern entwickle auch ein Gespür für die Haltung des Gegenübers. Was nervt, frustriert, beglückt, macht stolz? Das gleiche ich dann ab mit den Erfahrungen von Bekannten in verwandten Berufen und verwebe alles zu einer Figur.

Meine wichtigste Quelle aber ist das Hinsehen. Hinsehen, wenn im Urlaub die Frauen im Hijab das Bett machen oder die Küchenabfälle raustragen. Fragen, woher sie kommen. Zuhören, wenn ein Hotelier woanders über die faulen Angehörigen derselben Nation schimpft. Auch mal den Personaleingang nehmen. Lauschen, was bei der hastigen Zigarette zwischendurch geredet wird. Wahrnehmen, wie sich das Leben für 24-Stunden-Pflegerinnen im privaten Umfeld gestaltet. Könnte ich diese Arbeit tun? Wo sind meine Grenzen, wenn ich in einer echten Notlage stecke? Dabei schadet es nicht, sich selbst schon in Notlagen befunden, als Kellnerin schwarz gearbeitet, am Fließband gestanden oder mit letzter Kraft Sorgearbeit geleistet zu haben. Und nicht zu verdrängen, welchen Platz ich als Nutznießerin solcher Dienstleistungen in diesem Gefüge einnehme. Ein Platz der nicht verdient oder unverdient ist, sondern ein mehr oder weniger zufälliges Privileg, das ich, wie alle anderen, jederzeit durch äußere Umstände verlieren kann.

Hinsehen, erzählen, riskieren – das ist übrigens auch das Motto der feministischen Autorinnenvereinigung HERland, der ich angehöre.

 

Wie schnell aus einer unscheinbaren Frau die „Waldviertler Elektra“ werden kann und ob sie es aus dem verhängnisvollen Strudel der Schuldzuweisungen, der Abhängigkeiten und des Ausgeliefertseins schafft, könnt ihr in Gudrun Lerchbaums neuem Roman lesen, der ab sofort überall erhältlich ist:


„Niemand hat es kommen sehen“: Marias Geschichte lässt uns schaudern, aber auch hoffen: auf Gerechtigkeit, Solidarität und Freundschaft.

Nach über einem Jahr kehrt die verschwundene Frau in ihr Heimatdorf zurück  und kann sich nicht daran erinnern, wo sie war. Oder an das, was sie getan hat. Auch als Melanie Ramsauer und Theo Nebel vom Landeskriminalamt vor Marias Tür stehen, bleibt sie stumm.

Was würde eine wie Maria tun, wenn es nötig ist? Und, viel wichtiger: Was hat sie getan? Als immer mehr  Verbindungen zu einem nur scheinbar aufgeklärtem Mordfall auftauchen, wird die Frage laut: Ist Maria Opfer? Täterin? Oder beides?

 

„Solange … bin ich Feminist:in“ – Künstlerin Katharina Cibulka im Gespräch

Ein feministisch besticktes Netz auf einer Baustelle – das ist die markante Bildsprache des Projekts „SOLANGE“ von Katharina Cibulka. Seit 2018 macht die Tiroler Künstlerin damit weltweit auf Genderungleichheit aufmerksam. Im Interview spricht sie über die Entstehung ihrer Arbeiten, deren internationale Entwicklung und was sie antreibt.

© in the headroom

Frau Cibulka, wie ist die Idee zu „SOLANGE“ entstanden?

Katharina Cibulka: Ich bin in Innsbruck in einer Familie mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Für mich war Gleichberechtigung selbstverständlich: Ich konnte studieren, in meinem Kunststudium waren Männer und Frauen gleichermaßen vertreten. Ich war lange der Meinung, Feminismus sei nicht mehr notwendig.

Das änderte sich, als ich Mutter wurde. Die Geburt meines ersten Kindes war ein Aha-Moment – plötzlich sah ich, wie stark Rollenbilder unser Leben bestimmen. Mein Alltag als Mutter und Künstlerin war von Erwartungen und gesellschaftlichen Zuschreibungen geprägt, die Männer in dieser Form nicht erleben. Das war irritierend und hat mich motiviert, feministische Kunst zu machen.

Mit der Zeit entstand die Frage: Wie lange werden wir noch für Gleichberechtigung kämpfen müssen? Daraus entwickelte sich das Konzept von „SOLANGE“. Ich sammelte Antworten aus meinem Umfeld, wie etwa „Solange es keine Päpstin gibt“ oder „Solange ich mein Geschlecht nicht frei leben darf“. Diese Sätze wollte ich aus der feministischen Bubble herausholen und im öffentlichen Raum sichtbar machen – an Orten, die jeder Mensch sieht. Baustellen sind da ideal: Sie sind einerseits eine Männerdomäne und andererseits ein Symbol für Veränderung und Vergänglichkeit.

Warum haben Sie sich für den Kreuzstich entschieden?

Katharina Cibulka: Ich wollte mit einer Technik arbeiten, die – zumindest in unserem Kulturkreis – weiblich konnotiert ist. Der Kreuzstich ist ein traditionelles Handwerk, mit dem Frauen über Jahrhunderte am Stickrahmen im privaten Raum kreativ ruhig gehalten wurden. Indem wir diese Technik riesengroß auf Netze bringen, führen wir sie in die Öffentlichkeit – das ist fast schon ein Befreiungsakt. Das Sticken selbst wird von unserer Stickerin Vivian Simbürger in Murau umgesetzt, während wir die Texte in meinem Team gemeinsam erarbeiten.

 

Installation in der Bienerstraße in Innsburck: „SOLANGE ICH VON KARRIERE REDE UND DU FAMILINEMANAGMENT MEINST, BIN ICH FEMINISTIN“
SOLANGE ICH VON KARRIERE REDE UND DU FAMILIENMANAGEMENT MEINST, BIN ICH FEMINISTIN.
Innsbruck, Februar – Mai 2018

Wie lief die Umsetzung des ersten Netzes?

Katharina Cibulka: Ich habe das Konzept bei „Kunst im öffentlichen Raum Tirol“ eingereicht und eine Förderung für fünf Netze bekommen. Die erste Baustelle fand ich in der Bienerstraße in Innsbruck. Die Zusammenarbeit mit den Gerüstbauern war ein Abenteuer, besonders, weil es in 30 Metern Höhe ganz schön unheimlich ist. Schon am ersten Tag ging das Netz durch die sozialen Medien, und ich habe gemerkt, wie groß das Interesse ist.

 

Ihr Projekt hat inzwischen internationale Aufmerksamkeit erhalten. Wie kam es dazu?

Katharina Cibulka: Die sozialen Medien haben eine entscheidende Rolle gespielt. Anfänglich hatte ich gar keinen eigenen Account – das wurde schnell notwendig, um das Projekt sichtbar zu machen. Heute haben wir über 15.000 Follower:innen auf Instagram und erhalten täglich neue Satzvorschläge aus aller Welt. Diese Vielfalt zeigt, dass Gleichberechtigung ein globales Thema ist.

Wir wurden in verschiedene Städte eingeladen, etwa nach Rabat, Washington und Trondheim in Norwegen. In diesen Städten entwickeln wir die Sätze gemeinsam mit den Menschen vor Ort. Dadurch entstehen sehr lokale und aktuelle Botschaften, etwa zu den Themen Tradition, Gewalt oder kulturelle Normen. Diese partizipative Arbeit ist inzwischen ein zentraler Bestandteil des Projekts.

SOLANGE GOTT EINEN BART HAT, BIN ICH FEMINIST.
Dom zu St. Jakob, Innsbruck, Juli – November 2018

Was waren Ihre größten Erfolge?

Katharina Cibulka: Ein Höhepunkt war das Netz am Innsbrucker Dom. Mit dem ehemaligen Domprobst Florian Huber und der Kunsthistorikerin Elisabeth Larcher konnten wir die Botschaft „Solange Gott einen Bart hat, bin ich Feminist“ umsetzen. Der Satz hat viele Diskussionen aufgeworfen, generationenübergreifend, und genau das ist unser Anliegen: sensibilisieren und zum Dialog anregen. Besonders spannend war dabei die Entscheidung, die männliche Form „Feminist“ zu verwenden. Florian Huber hatte diesen Wunsch geäußert, um als Mann bewusst ein Zeichen zu setzen und zu zeigen, dass auch Männer hinter der feministischen Idee stehen können.

 

AS LONG AS FOLLOWING OUR RULES IS MORE IMPORTANT THAN FOLLOWING OUR HEARTS, I WILL BE A FEMINIST.
Rabat, Marokko, September 2019 – Januar 2020

 

Ein weiteres Highlight war Rabat, Marokko. Vor dem Königspalast haben wir 600 Quadratmeter bestickt – mit einem Satz in arabischer Schrift: „As long as following our rules is more important than following our hearts, I will be a feminist.“ Es war eine riesige Herausforderung, in einem patriarchalisch geprägten Umfeld solch eine Botschaft zu platzieren, aber es war ein großer Erfolg.

Welche Herausforderungen gibt es bei Kunst im öffentlichen Raum?

Katharina Cibulka: Die größte Hürde ist, Baustellen zu finden. Bauträger sind sehr skeptisch gegenüber feministischen Botschaften. Mit der Zeit haben wir aber Vertrauen aufgebaut, und viele Unternehmen sehen inzwischen auch den positiven Wert des Projekts. Der öffentliche Raum ist perfekt, weil wir damit Menschen erreichen, die sonst nichts mit Kunst oder Feminismus zu tun haben.

Welche Bedeutung hat Sprache für Ihre Arbeit?

Katharina Cibulka: Sprache ist das Herzstück von „SOLANGE“. Jedes Wort hat Gewicht, und wir, die Kommunikationswissenschaftlerin Tina Themel und ich, legen großen Wert darauf, ohne Vorwürfe und Provokationen zu texten. Das Wort „Feminist:in“ ist oft ein Reizwort, und genau deshalb nutze ich es. Es muss positiv aufgeladen werden, denn Feminismus hat unsere Gesellschaft enorm bereichert.

Mit den Texten versuchen wir, Diskussionen anzustoßen, ohne Gräben zwischen den Geschlechtern zu vertiefen. Humor und Wortspiele sind dabei hilfreich, um Menschen zum Nachdenken zu bringen, ohne sie abzuschrecken.

Gibt es künstlerische Vorbilder, die Sie inspirieren?

Katharina Cibulka: Natürlich. Vor allem viele großartige Frauen, die schon vor Jahrzehnten große Kunst machten, wie zum Beispiel Louise Bourgeois, sind für mich eine große Inspiration – sie hat als Frau und Künstlerin in einer schwierigen Zeit viel bewirkt. Maria Lassnig mit ihren großen Gemälden hat Jahrzehnte lang brillante Kunst produziert und wurde erst im hohen Alter dafür gefeiert. Und dann gibt es auch zeitgenössische Künstlerinnen wie die Brasilianerin Juliana Notari, die mit ihrer Arbeit auf beeindruckende Weise gesellschaftliche Normen hinterfragt. Ihre monumentale Installation einer 33 Meter großen Vulva in einem stillgelegten Park, ausgehoben aus Beton und mit rotem Epoxidharz überzogen, ist ein mutiges, provokantes Statement. Solche Arbeiten fordern uns dazu auf, über die kulturelle Sichtbarkeit von Körpern und Geschlechtern nachzudenken, gerade im Kontrast zu den unzähligen Phallussymbolen, die kaum hinterfragt werden. Das finde ich originell und wichtig.

Auch literarisch lasse ich mich inspirieren: Mareike Fallwickls Die Wut, die bleibt und Franziska Schutzbachs Die Erschöpfung der Frauen haben mich tief berührt.

 

Was steht bei Ihnen aktuell an?

Katharina Cibulka: Neben neuen Netzen arbeite ich neuerdings als Bühnenbildnerin am Landestheater. Es ist spannend, gesellschaftskritische und queere Themen in die darstellende Kunst einzubringen. Theater kann das Publikum auf einzigartige Weise herausfordern, weil es direkt im Moment wirkt.

 

Die Künstlerin Katharina Cibulka steht vor einem ihrer "SOLANGE"-Projekte.
© in the headroom

Über Katharina Cibulka
Katharina Cibulka (* 1975, Innsbruck) studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien und an der New York Film Academy. Mit ihrem Projekt „SOLANGE“ setzt sie sich weltweit für feministische Anliegen ein. Diese waren bislang auf 30 Baustellen in sieben Ländern und sechs verschiedenen Sprachen zu sehen, zuletzt in Österreich im Rahmen der Europäischen Kulturhauptstadt Salzkammergut in Bad Ischl. Ihre Arbeiten wurden unter anderem mit dem Hauptpreis für zeitgenössische Kunst des Landes Tirol ausgezeichnet.