Schlagwort: Optimismus

Schon mal eine Wortarbeiterin kennengelernt? Today is the day! – Take-over & Buchempfehlungen von Stefanie Jaksch

Liebe*r Leser*in,

ich dürfe schreiben, worüber ich wolle, hieß es, und ich nutze den Raum, um mit dir über das Schreiben nachzudenken. Warum? Weil ich schreibe, seit ich es in der Schule gelernt habe. Weil ich mein Leben beruflich wie privat wohl auch deswegen so optimistisch meistere, weil ich dieses Werkzeug im wahrsten Sinne des Wortes „zur Hand“ habe. Vieles macht für mich erst Sinn, wenn ich Fragen oder Gedanken niedergeschrieben habe.

Wie schreibst du am liebsten? Bei einer Tasse Tee oder Kaffee, ganz analog in ein Notizbuch? Wo du gehst und stehst, deinem Smartphone etwas diktierend? Konzentriert am Schreibtisch, in die Tasten deines Computers hackend, eine Deadline jagend? Zeichenzahl-begrenzte Nachrichten in die kleinen Fenster von Social-Media-Plattformen oder Messenger-Dienste tippend? Es interessiert mich wirklich.
 
Wir entkommen dem Schreiben nicht, wir alle schreiben, und egal, wie wir es drehen, es ist eine Art, wie wir uns die Welt erklären. Etwas aufzuschreiben, aufzuzeichnen, der Nachwelt zu hinterlassen, ist neben der Oral History einer der ältesten Wege der Wissensvermittlung, die wir haben. Und führt man sich vor Augen, dass die ältesten Höhlenmalereien zigtausende Jahre alt sind und erste Keilschriften vor ca. 5.000 Jahren entstanden, komme ich mir mit meinem Schreiben seltsamerweise wie eine Anfängerin vor.  
 
Ich bezeichne mich als „Wortarbeiterin“, ein Begriff, der oft Stirnrunzeln hervorruft. Was daran Arbeit ist, dass ich Texte schreibe, redigiere, über sie rede, werde ich ab und an gefragt. Ich verdiene mein Geld mit Worten, ist inzwischen meine Antwort darauf. Dass das so ist, empfinde ich als ein großes Geschenk, aber es ist dennoch Arbeit; Arbeit, die mir manchmal den Atem raubt, die mich ab und an verzweifeln lässt, aber mich auch beflügelt, mir Welten eröffnet, mich fordert und fördert.
 
Über das Helle“ zu schreiben, war schwieriger als gedacht. Ich habe jede Menge Texte hinter mir, unter mir, in mir, und ich dachte wirklich, ich könne alles, was sich in mir gesammelt hat, leicht hintupfen, entspannt niederschreiben. Natürlich kam es anders: Mich dem Hellen, dem Optimismus, der Zukunft anzunähern, führte mich in mehr Niederungen, als ich voraussehen hätte können. Das Dunkle will eben doch immer und überall nach uns greifen.
 
Darüber hinaus ist es eine ständige Selbstbefragung geworden: Selten begegnet man sich selbst so schonungslos und mit so vielen Fragezeichen wie beim Schreiben; denn auch wenn viele Menschen an einem Text und seiner Buchwerdung beteiligt sind, es bleibt ein sehr einsamer Prozess. Wahrscheinlich ist mir deshalb die Form des Essays so wichtig und so nah: Dem Französischen entlehnt, ist diese Form ein Versuch. Ein Versuch, mir selbst, den Menschen um mich und der Welt auf die Schliche zu kommen.
 
Ich freue mich darauf, wenn du diesen Versuch mit mir gemeinsam wagst.
 
Auf ein Kennenlernen.
 
Mit herzlichen Grüßen
Stefanie Jaksch

Stefanie Jaksch
© Haymon Verlag / Fotowerk Aichner
Über das Helle

Stefanie Jaksch, geboren im fränkischen Erlangen, glaubt seit ihrer Kindheit, dass Bücher Nahrungsmittel sind. Sie war als Dramaturgin, Buchhändlerin und Verlagsleiterin für Kremayr & Scheriau tätig. Seit 2024 ist Jaksch als freischaffende Moderatorin, Kuratorin und Autorin unterwegs und hat das Büro für Literatur- und Kulturarbeit „In Worten“ gegründet. „Über das Helle“ ist ihr erstes Buch.

Die Renaissance des Optimismus beginnt jetzt!
Wir alle brauchen positive Zugänge zu großen Herausforderungen. Stefanie Jaksch begibt sich auf die Suche danach. Was sie dabei findet: Menschen, die, wie sie selbst, das Dunkle nicht gewinnen lassen wollen und: Hoffnung. „Über das Helle“ ist ein Buch, das den Widerstand in uns erweckt.


Bücher, die Halt, Hoffnung oder die Idee einer Zukunft geben – die Leseempfehlungen von Stefanie Jaksch: 

 

Ein Essay, der die Dämmerung unserer Zeit durchbricht: Leseprobe aus „Über das Helle“ von Stefanie Jaksch

Krisen, Kriege, Klimawandel – sie haben die Welt fest im Griff, das wird uns Tag für Tag vor Augen gehalten. Beim Scrollen durch Social-Media-Feeds, in den Abendnachrichten, im Podcast, der uns eigentlich Zerstreuung versprach. Wenn wir ehrlich sind, faszinieren und beschäftigen uns Katastrophenmeldungen mehr als die guten Neuigkeiten – so funktioniert die Aufmerksamkeitsökonomie. Und wir haben uns in gewisser Weise an das apokalyptische Dauerfeuer und die alltäglichen Untergangsfantasien gewöhnt. So sehr, dass wir auf das Helle in unserem Leben vergessen. Tatsächlich ist unsere Gegenwart nicht dazu angetan, uns Mut zu machen und den Optimismus nicht zu verlieren. Doch die Autorin Stefanie Jaksch begibt sich auf die Suche: nach dem Licht in dunklen Zeiten.

Mit dieser Leseprobe bekommst du einen Einblick in Stefanie Jakschs „Über das Helle“,  ein Buch, das uns Hoffnung gibt und den Widerstand in uns erweckt.

Notizen aus dem Dunkeln

Out of the dark
And into the light
I give up and you
Waste your tears
To the night
Falco

Nur ein bisschen noch. Fünf Minuten. Drei Minuten. Eine vielleicht? Vorbei, seufze ich in die Kissen und kneife meine Augenlider noch einmal trotzig wie ein Kind zusammen, bevor ich aufgebe. Ich starre in die Nacht, in den lichtlosen Raum über mir, nichts ist zu hören außer dem leisen Luftholen und unrhythmischen Schnarchen des Wolfs, mit dem ich seit einigen Jahren zusammenlebe. In unserem Schlafzimmer gibt es keine Uhr, aber mein Körper braucht auch keine, um zu wissen, dass es eigentlich zu früh ist, um aufzustehen. Was ich ebenfalls weiß: Dass ich, einmal wach, nicht mehr in den Schlaf finden werde, dass mein Gehirn nun anspringt, dass es mich geweckt hat, weil seit gestern Abend zu viele unterschiedliche Baustellen in mir arbeiten. Weil ich wieder einmal nicht dafür gesorgt habe, vor dem zu Bett gehen ein bisschen Ruhe einzuplanen, zu lange noch erst auf meinen Laptop gestarrt habe, dann doch noch schnell einen Blick aufs Smartphone gewagt habe – und natürlich prompt hängengeblieben bin an einigen Desaster-News, die sich etwas unscharf in meine Träume geschlichen haben. Schemenhaft erinnere ich mich daran, dass ich durch eine wirre Abfolge von Actionszenen gejagt wurde und ich dabei penibel darauf achten musste, eine neon-orange Aktentasche nicht zu verlieren und mir das sogar gelang, nur um am Ende auf den billigsten Taschenspielertrick hereinzufallen, mich kurz von einer Frage ablenken ließ und mir das kostbare Gut entwendet wurde, als ich mich zu der Person umdrehte, die die Frage an mich gerichtet hatte. Der Stich in der Magengrube, als mir mein Fehler bewusst wurde, und der leere Fleck, an dem die Tasche gestanden hatte, den ich nun anstarrte, sind mir im Aufwachen realer als der Rest der Welt, der nur unscharf und in Graustufen an mich heranschwappt. Keinen Schlaf finden zu können, verdunkelt alles, besonders aber das Gemüt und ist, hält der Zustand länger als ein paar Tage an, mit einer eigenartigen Versagensangst verbunden. Warum ich? Warum fällt mir das vermeintlich Einfachste zurzeit nicht leichter? Wut gesellt sich dazu, Ungerechtigkeit, eine der dunkelsten Empfindungen, auch und vor allem dem Wolf an meiner Seite gegenüber. Was erlaubt er sich eigentlich, so ohne Probleme in den Schlaf zu finden, einen eigenen Rhythmus zu haben, der ihm erlaubt, sich hinzulegen und sofort in tiefen Schlummer zu finden? Als wäre Schlaf ein Hochleistungssport.

Die längste Zeit, die ein Mensch offiziell dokumentiert ohne Schlaf verbracht hat, beträgt 264 Stunden, das sind elf Tage, und bis heute hält diesen zweifelhaften Rekord aus dem Jahr 1964 der damals 17-jährige Randy Gardner aus San Diego, USA. Aus einem Grund, der sich mir nicht erschließt, zumindest nicht in meinem leicht angeschlagenen Zustand, hat ein Brite aus Penzance im Jahr 2007 einen weiteren Weltrekordversuch gestartet, den er per Video dokumentierte. Er überbot Gardners Leistung um zwei Stunden, darf sich aber bis heute nicht über die Nennung als Rekordhalter freuen, da die Kategorie „Längste Zeit ohne Schlaf“ schon längst nicht mehr existierte im Guinness Buch der Rekorde: „aus gesundheitlichen Bedenken“.1 Das ist nicht ganz von der Hand zu weisen: In Laborversuchen, bei denen man Mäuse wachhielt und weckte, sobald sie einschliefen, starben die Versuchstiere nach durchschnittlich sieben Tagen. Grund dafür: vermutlich multiples Organversagen.2

Wie ich da so liege, frage ich mich, wie lange ich es wohl aushalten könnte ohne Schlaf, vermutlich keine 48 Stunden, und mir läuft bei dem Gedanken ein Schauer über den Rücken. Ich kenne mich, innerhalb weniger Tage ohne meine normale Dosis Schlaf von sieben bis acht Stunden werde ich zu einem kränklichen, weinerlichen Etwas, bin unkonzentriert, breche schnell in Tränen aus und glaube, dass die Welt dem Untergang nahe ist. Ich finde mich selbst lächerlich, wie ich mir das so überlege, im Warmen, in der Sicherheit meiner Wohnung, in einem insgesamt recht aufgeräumten Leben. Ja, ich habe eine Phase des beruflichen Komplettumbruchs hinter mir, habe mir manche Sicherheiten selbst unter den Füßen weggezogen in einem Mix aus Vertrauen und Wagemut, und sicher, die letzten Jahre mit Pandemie, näher rückenden Kriegen und sich immer mehr radikalisierender Weltpolitik sind nicht spurlos an mir vorbeigegangen, wie auch, wenn erstmals Menschen rund um den Globus gleichzeitig in eine grundlegende Verunsicherung geworfen waren, die man nicht mehr von sich weghalten konnte, sich eben nicht mehr sicher fühlen konnte, sich nicht mehr zurückziehen konnte auf ein „Ach, zu uns kommt das schon nicht“. Es ist alles zu uns gekommen: das Virus, die Krankheit, die Angst, die Einsamkeit, die Verletzlichkeit, der Tod. Und auch die Erkenntnis: Wir Menschen sind nur bedingt solidarisch, ich erinnere an die allwöchentlichen Demonstrationen der „Querdenker:innen“, eine Petrischale für das Anmischen einer reaktionären, von Wut und Hass getriebenen Soße, in der es sich besorgte Bürger:innen nicht nehmen ließen, mit Rechtsradikalen zu marschieren. Ich erinnere mich an meinen Unglauben, an meinen mir ebenfalls gerecht vorkommenden Zorn auf Menschen, die ich nicht mehr verstand und die mich wohl umgekehrt auch nicht verstanden. Und auch der Krieg steht wieder vor unseren Toren. Ich lebe in Wien, das sind gerade einmal 1.000 Kilometer entfernt von Kiew, für jeden Sommerurlaub nehmen wir gern größere Entfernungen in Kauf, und während ich also hier liege und nachdenke, kämpfen Menschen in der Ukraine um ihr Leben. In vielen Teilen der Welt leiden Menschen Hunger, werden ihre Grundrechte mit Füßen getreten, müssen Frauen, queere Personen, Personen mit anderer Hautfarbe oder anderem Glauben sowie viele andere marginalisierte Gruppen um ihre Unversehrtheit fürchten, sitzen Journalist:innen und unliebsame Regimegegner:innen für kritische Berichterstattung in Isolationshaft oder werden dort „weißer Folter“ unterzogen, der Schlafdeprivation, rund um die Uhr dem Licht ausgesetzt.

Ich setze mich auf und bin wütend, auf mich, weil ich mir wieder selbst auf den Leim gegangen bin. Weil ich mein Gedankenkarussell nicht rechtzeitig gestoppt habe, und noch viel mehr, weil ich klein beigegeben habe und mich in die Negativspirale, die wir alle kennen, hineingedreht habe. Ich bin wütend, weil es so viel schwerer scheint, so viel mehr Energie braucht, sich dem Hellen zuzuwenden, als sich von Negativität fressen zu lassen. Es reicht, und ich steige vorsichtig aus dem Bett, der Wolf grummelt undeutlich, bevor er sich umdreht und weiterschläft, während ich auf Zehenspitzen ins Arbeitszimmer schleiche, die dunklen Gedanken abzuschütteln versuche und mich auf das Jetzt zu besinnen.

Seit ich denken kann, bin ich eine Frühaufsteherin. Meine produktivste Zeit des Tages ist sein Anbruch, wenn (fast) alles noch schläft, vor dem Fenster sich noch keine Auto­lawinen durch die Stadt wälzen, wenn die meisten Woh­nungen noch nicht von Lichterschein erhellt sind, wenn die Nacht noch ihre letzten Ausläufer verteidigt. Ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, im Dunkeln zu sitzen und einfach nur zu schauen, dabei den einen oder ande­ren Gedanken kommen und gehen zu lassen: Gedanken zum sich anbahnenden Tag, Gedanken zu alten und neuen unbeantworteten Fragen, Gedanken, die mich manchmal schrecken und manchmal ermutigen. Für die erste vor­sichtige Phase der Wachheit schalte ich keine Lampe ein, lasse mich von der Dunkelheit umhüllen und empfinde das als erstaunlich tröstlich, imaginiere sie mir als eine Decke, die mich wärmt mit vorläufiger Gleichgültigkeit gegenüber allen Bemühungen, die wir mit einem erfolg­reichen Tag verbinden. Die Abwesenheit von Licht signa­lisiert mir in diesen Stunden: Du musst nichts, nimm dir noch Zeit, bleib noch ein Weilchen, die meisten sind noch nicht wach, das Zeichen, das Tagwerk zu beginnen, ist noch nicht gekommen (oder ich habe es übersehen).

Dieser paradiesische Zustand ändert sich schlagartig, sobald sich – je nach Jahreszeit früher oder später – der erste Silberstreif am Horizont erblicken lässt. Nichts verheißt uns Geschäftigkeit oder ist uns so sehr Gebot, endlich mit dem Tun zu beginnen, den Müßiggang sau­sen zu lassen, wie der Anfang eines neuen Tages. Carpe diem!, schallt es uns, die wir unsere eigenen gelernten Motivationstrainer:innen sind, immer wieder entgegen, sitze nicht auf der faulen Haut, mach etwas aus dem Tag, aus dem Monat, dem Jahr, deinem Leben! Daran lässt sich grundsätzlich nichts ändern, Lebewesen sind so gepolt, Pflanzen recken sich gottergeben dem Licht entgegen. In Ländern, die dem Polarkreis näherliegen, tut man sich im Sommer mitunter schwer, Schlaf zu finden, wenn die Sonne nicht untergeht, und es muss zu fast gewaltsamen Verdunkelungsmethoden gegriffen werden. Am Ende einer durchtanzten Nacht unter Stroboskoplicht erntet meist eine überrascht hochgezogene Augenbraue, wer sich verabschiedet, bevor die Party zu Ende ist und die letzten Scheinwerfer im Club gelöscht sind. Solange Licht ist, gehen wir nicht heim!

„Mehr Licht!“, so will es die Legende, war Goethes letzte Forderung auf dem Sterbebett, und auch wenn ich bezweifle, dass es ausgerechnet diese zwei Worte waren, die dem Dichtergenie entfuhren, bevor er sein Lebens­licht aushauchte, so verstehe ich doch den Zweck ihrer mythischen Überhöhung: Auch wenn wir noch so viel geschafft haben, auch wenn wir noch so erfolgreich sind, es gibt wohl keinen Menschen, der trotz aller Mühsal die Möglichkeit, einen weiteren Tag zu erleben, ausschlagen würde. Mehr Licht, mehr Möglichkeiten, mehr Beweise für die eigene Existenz und ihre Gewichtigkeit, ihre Rele­vanz, ihre Wirkmächtigkeit. Denn die im Dunkeln sieht man nicht; gesehen werden wollen wir aber alle.

Zugegeben, das klingt ein wenig, als sei ich auf der dunklen Seite der Macht zuhause oder zumindest deren Sympathisantin, als verstünde ich einen Text über das Helle als ein Vehikel, um eine Lanze für das Dunkle zu brechen. Mitnichten. Dass ich mich im lichtlosen Raum ab und an sehr wohl fühle, heißt nicht, dass ich dies generell vorzöge oder frei von Geltungsdrang wäre, der das Aus­leuchten der eigenen, sonst verborgen bleibenden Winkel zulässt; wir alle streben letztendlich dem Hellen entge­gen, und ich möchte glauben, das ist gut so.

1 Vgl. https://www.derstandard.at/story/2000082079528/wie-lange-ueberlebt-ein-mensch-ohne-schlaf

2 https://www.spektrum.de/frage/wie-lange-kann-man-wach-bleiben/1321562