Autor: Anna Spaemann

„Inklusion muss überall gelebt werden“ – ein Interview mit Gunnar Mertz und Lina Maisel

Mehr als 10 % der österreichischen Bevölkerung müssen in Leichter Sprache lesen. Dennoch gab es bis jetzt keine inklusive, barrierearme Aufarbeitung des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs in Österreich. Geschichte muss verständlich und zugänglich sein, damit die Erinnerungskultur funktioniert. Und mit der Mitverantwortung Österreichs am Holocaust und am Zweiten Weltkrieg geht die Verantwortung einher, Bildungs- und Forschungsarbeit zu leisten. Diese Bildung darf und soll von allen Menschen erfahren werden, unabhängig von (An-)Alphabetismus, Lernfähigkeit oder Sprachverständnis. Deshalb ist es umso wichtiger, vielschichtige, sensible und komplexe Themen verständlich und begreifbar zu machen.

Gunnar Mertz und Lina Maisel leisten mit ihrem Buch „National-Sozialismus in Österreich in Leichter Sprache“ einen wichtigen Beitrag zur Bildungsarbeit und zur Aufarbeitung des Holocaust und Nationalsozialismus in Österreich – es ist das erste Buch, das diese Themen in Leichter Sprache aufbereitet.

Wir haben mit Gunnar Mertz und Lina Maisel darüber gesprochen.

Euer Buch ist das erste, das sich in Leichter Sprache mit dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg in Österreich befasst. Was ist die Leichte Sprache und weshalb ist es so wichtig, eine barrierefreie und zugängliche Sprache einzusetzen?

Maisel: Leichte Sprache ist eine einfachere Version unserer Alltagssprache. Sie hat viele Regeln: Zum Beispiel müssen die Sätze sehr kurz sein oder es dürfen keine Fremdwörter verwendet werden. Leichte Sprache ist sehr wichtig für viele Menschen. Sie macht Informationen für viele Menschen zugänglich und ermöglicht die Teilhabe. Im Fall unseres Buches: die Teilhabe an unserer Geschichte und der Erinnerung daran.

Mertz: Aus der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen kann für Menschen mit Behinderungen ein Anspruch auf verständliche Informationen abgeleitet werden. Diesem Anspruch wird im öffentlichen Raum zu wenig entsprochen. Auch in der Erinnerungskultur zum Nationalsozialismus mussten in Österreich sehr viele Barrieren überwunden werden. Die Republik Österreich bekannte sich erst Anfang der 1990er Jahre zu ihrer Verantwortung. Mit dem Buch wird nun eine weitere kleine Barriere überwunden. Leichte Sprache ist aber auch für Menschen ohne Behinderungen hilfreich, um dieses schwierige Thema zu erfassen.

Wie und wo wird Leichte Sprache eingesetzt und gibt es unterschiedliche Ausführungen davon?

Maisel: Leichte Sprache kann und sollte überall eingesetzt werden: von Medienberichten über Gesetzestexte bis hin zu Literatur. Es gibt sogar erste Theaterstücke in Leichter Sprache. Inklusion muss überall gelebt werden. Es gibt verschiedene Formen der Leichten Sprache. Man unterscheidet vor allem zwischen Leichter und Einfacher Sprache. Leichte Sprache hat ein klares Regelwerk. Und vor allem muss eine Prüfgruppe von Menschen aus der Zielgruppe den Text lesen und auf Verständlichkeit prüfen. So haben wir es auch bei unserem Buch gemacht. Ein sehr spannender Prozess! Einfache Sprache hat weniger starre Regeln, wird nicht geprüft und ist weniger vereinfacht als die Leichte Sprache.

Wie wird man Übersetzer*in für Leichte Sprache und in welchen Tätigkeitsbereichen wird man eingesetzt?

Maisel: Es gibt eigene Ausbildungen zur zertifizierten Übersetzerin für Leichte Sprache. Die Übersetzer*innen übersetzen alles Mögliche, je nach Auftrag. Im Sinne der Barrierefreiheit gibt es da keine Grenzen.

 

Woher kam die Idee, ein Buch in Leichter Sprache über den Nationalsozialismus in Österreich zu schreiben?

Mertz: Durch berufliche Tätigkeit lernte ich die Arbeit der Behindertenanwaltschaft und den Behindertenanwalt Hansjörg Hofer kennen. Die Anwaltschaft ist oftmals die letztmögliche öffentliche Ombudsstelle für Menschen, die aufgrund ihrer Behinderung Diskriminierung erfahren. Durch die Sensibilisierung für barrierearme Informationsvermittlung in der Behindertenanwaltschaft kam dann irgendwann die Projektidee. Mehrere österreichische Bildungseinrichtungen mit Bezug zum Nationalsozialismus boten bereits leicht verständliche Informationen an, wobei der Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim schon im Jahr 2014 Pionierarbeit geleistet hatte. Eine Gesamtdarstellung stand aber noch aus. Hansjörg Hofer unterstützte das Projekt von Anfang an und half den Grundstein zu legen.

 

Wie sah der Entstehungsprozess bei eurem Buch aus; wie liefen die historische Recherche, das Kuratieren der Inhalte, die Übersetzung in Leichte Sprache und die Gestaltung ab?

Mertz: Hansjörg Hofer verstarb im Jahr 2022. Das war ein großer Rückschlag für die Behindertenrechtsbewegung und auch für das Buchprojekt. Mit Lina Maisel habe ich eine Partnerin gefunden, mit der das Projekt doch noch möglich wurde. Die Recherche war relativ einfach. Informationen über den Nationalsozialismus in Österreich sind in schwerer Sprache vielfach verfügbar: im Haus der Geschichte Österreich, in der Dauerausstellung des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes oder in der Jugendsachbuchreihe „Nationalsozialismus in den Bundesländern“ im StudienVerlag. Beim Kuratieren der Inhalte sollte der aktuelle Forschungsstand abgebildet werden.

Maisel: Viele Überlegungen sind in die grafische Gestaltung des Buches eingeflossen. Es gab einen engen Austausch mit dem Haymon Verlag, dem auf Leichte Sprache spezialisierten Grafiker Marc Derwahl und Selbstvertreter:innen der Mensch-Zuerst-Bewegung. Zum Beispiel: Jedes Kapitel hat eine eigene Farbe, um den doch sehr umfangreichen Text besser in kleinen Einheiten lesen zu können. Das sind dann kleine Häppchen mit maximal 20 Seiten. Damit entsprechen wir den Regeln für Leichte Sprache, nach denen Texte nicht zu lang sein sollten. Ein anderes Beispiel: Schwere Wörter sind bei der ersten Verwendung fett markiert und in einem Wörterbuch am Ende des Buches erklärt.

Mertz: Allgemein war es kein „klassischer“ Zugang der Übersetzung eines vorgegebenen Ausgangstextes. Es war ein viel umfassenderer Austauschprozess mit Lina Maisel und ein vielfaches Hin und Her von Formulierungen. Unsere Zusammenarbeit war vielschichtig verwoben. Ich lernte dazu und versuchte, Sätze bereits in Leichter Sprache einzubringen, während Lina Maisel sich mit geschichtswissenschaftlichen Diskussionen auseinandersetzte.

Maisel: Die Übersetzung in Leichte Sprache war ein mehrstufiger Prozess. Es gab viele Überlegungen und Diskussionen zu einzelnen Begriffen. Es war ein ständiges Abwägen: Wie leicht soll die Übersetzung sein? Wie verhindern wir einen Informationsverlust?

 

Zusätzlich zu den bei Büchern normalen Korrekturschleifen wurde euer Buch beispielsweise auch von einer Prüfgruppe für Leichte Sprache sowie einem historischen Fachbeirat überprüft. Was waren Herausforderungen bei eurem Buch, bei der Recherche sowie beim Schreiben?

Mertz: Wir sind das Buchprojekt nach dem Grundsatz der Mensch-Zuerst-Bewegung „Nichts über uns, ohne uns“ angegangen. Das erfordert die Einbeziehung von Menschen mit Behinderungen. Wir haben eine überregionale Prüfgruppe von fünf Selbstvertreter:innen aus ganz Österreich aufgebaut. Gemeinsam mit dieser Gruppe sind wir den gesamten Text in mehrmonatiger Arbeit durchgegangen. Auf der einen Seite haben sie schwere Begriffe gestrichen, zum Beispiel das Wort „Entnazifizierung“. Auf der anderen Seite ermutigte uns die Prüfgruppe, auch komplexere Sachverhalte einzubeziehen. Der Fachbeirat hat weiteres wertvolles inhaltliches Feedback zum Text gegeben. Es wirkten 15 Personen auf den Text und die Grafik ein. Es war spannend, einige unterschiedliche Standpunkte und Wünsche zu vereinen. Fachbeirat und Prüfgruppe haben uns in der Arbeit sehr bestärkt.

Maisel: In einer abschließenden Sitzung der Prüfgruppe mit dem Fachbeirat haben wir gemeinsam an Formulierungen gearbeitet und letzte Begriffe festgelegt. Beispielsweise haben wir uns gemeinsam entschieden, das schwere Wort „Deportation“ nur einmal im Text zu erklären und sonst das einfachere Wort „Verschleppung“ zu verwenden.

 

Eine inklusive Aufbereitung des Themas ist zuvor nicht wirklich passiert. Wie kommt es, dass eigentlich absolute Grundpfeiler unserer Erinnerungskultur und nationalen Identität bislang nicht barrierearm zugänglich waren?

Mertz: Es ist erschreckend, wie wenig Sachbücher es in Leichter Sprache gibt. Menschen mit Behinderungen sind in Österreich in vielerlei Hinsicht diskriminiert. Man kann sagen, dass Menschen mit Lern- und Sprachschwierigkeiten, funktionalem Analphabetismus und eingeschränktem Sprachverständnis auch in der historischen Erinnerung diskriminiert werden. Wir haben im Zuge unserer Arbeit den Eindruck gewonnen, dass viele Institutionen und Einrichtungen den Bedarf an barrierearmer Kommunikation von Geschichte erkannt haben. Wir schätzen, dass die Verwendung von Leichter Sprache in der historischen Bildungsarbeit zunehmen wird.

 

Wie können solche sensiblen, gesellschaftlichen Themen für alle zugänglich aufgearbeitet werden? Was muss diesbezüglich noch geschehen, was muss sich ändern?

Mertz: In verschiedenen Bereichen, insbesondere auf Websites, sind bereits viele leicht verständliche Informationen verfügbar. Das Genre des Sachbuches in Leichter Sprache muss in Österreich erst noch entstehen. Das wünschen wir uns.


Das erste Buch über den Holocaust und Zweiten Weltkrieg in Österreich in Leichter Sprache.

Ein neues Kapitel der Erinnerungskultur bricht an: Warum brauchen wir dieses Buch? Ganz klar: weil es ein Buch ist, das Pionierarbeit leistet. Das in puncto Inklusivität aufholt, ein Vakuum in der politischen Bildung in Österreich füllt. Mit dem vorliegenden Band liefern Maisel und Mertz die Basis für einen inklusiven Wissenstransfer über den Nationalsozialismus in Österreich und damit für mehr Teilhabe, Verständnis und Empathie.

Erhältlich online und überall, wo es Bücher gibt.

„Ihr werdet mich wahrscheinlich hassen für dieses Buch über Liebe“ – ein Interview mit Beatrice Frasl

Kaum etwas wird mehr romantisiert als romantische Liebe … kaum etwas hat diese Romantisierung weniger verdient!

Die Liebe – sie wird seit Jahrhunderten leidenschaftlich in Liedern besungen, in der Literatur wird ihr gelobhudelt, und in Filmen wird sie selbst in ihren toxischsten Ausformungen glorifiziert. Wir haben die romantische Liebe trotz ihrer Volatilität und meist relativ kurzen Dauer zu einem zentralen gesellschaftlichen Organisationsmodell gemacht. Romantische Liebe ist das, was uns pausenlos und von klein auf als unerlässlicher Bestandteil von Lebensglück und Erfüllung ins Hirn gehämmert wird. Dabei ist ihre Realität alles andere als romantisch – und das vor allem für Frauen. Heteroromantische Beziehungen bilden den Rahmen dafür, dass Frauen zwei Drittel der unbezahlten Arbeit übernehmen, weniger verdienen und in Abhängigkeiten rutschen. Unverheiratete Frauen ohne Kinder sind dagegen die glücklichste und gesündeste Bevölkerungsgruppe. Sie haben eine höhere Lebenserwartung als verheiratete, während verheiratete Männer länger leben als unverheiratete. Romantische Beziehungen mit Männern schaden Frauen: gesundheitlich, emotional und wirtschaftlich.

„Ihr werdet mich wahrscheinlich hassen für dieses Buch über Liebe”, sagt die Autorin über ihr neues Buch „Entromantisiert euch!“. Warum wir es trotzdem lesen sollen? Wir haben mit Beatrice Frasl darüber gesprochen.

Liebe Beatrice, wie würdest du selbst dein Buch beschreiben?

„Entromantisiert euch!” ist ein Buch, das sich kritisch mit der romantischen Liebe auseinandersetzt und sich ebenso kritisch ansieht, welche Rolle die romantische Liebe in kapitalistischen, aber vor allem auch in patriarchalen Verhältnissen spielt.

Der Titel deines Buches ist sehr prägnant, eine ganz klare Aufforderung. Warum sollen wir uns alle entromantisieren?

Ich glaube, wir sollten uns alle kritisch mit der eigenen Beziehungspraxis auseinandersetzen und uns vielleicht auch überlegen, inwiefern sie uns schadet. Wir sollten Normen im Bezug auf Liebe hinterfragen und die romantische Liebe als zentralen Ordnungspunkt unseres Lebens vom Thron stoßen. Gleichzeitig sollten wir anderen Formen von Liebe mehr Raum geben und kritisch darüber nachdenken, was uns eigentlich als romantische Liebe verkauft wird. Insbesondere müssen wir auch reflektieren, welche sehr toxischen, schwierigen oder schädlichen Ideen von Liebe uns als romantisch nahegelegt werden, es aber vielleicht gar nicht sind.

Beim Lesen deines Buches wird schnell deutlich: Viele Menschen profitieren nicht von der romantischen Liebe. Wer kann einen Nutzen aus der romantischen Liebe ziehen und warum?

Von der heteroromantischen Liebe profitieren vor allem Männer. Studien belegen, dass Männer, die mit Frauen verheiratet sind, länger leben, glücklicher sind und dass sie auch gesünder sind. Bei Frauen ist es umgekehrt, sie leben circa um ein Jahr kürzer und weniger gesund. Die Lebenserwartung sinkt, wenn sie mit Männern zusammen sind. Sie sind statistisch auch weniger glücklich als Männer, aber auch als Frauen, die keinen Partner haben. Männer profitieren insbesondere von der heteroromantischen Liebe, von der romantischen Liebe an sich profitiert in besonders großem Ausmaß auch der Kapitalismus. Es gibt ganze Wirtschaftszweige, die ohne romantische Liebe nicht funktionieren würden. Damit sind nicht Valentinstagsgeschenke, Candlelight-Dinner oder Wellnessurlaube zu zweit gemeint, sondern auch Dating Apps, Paarcoaches bis hin zu Scheidungsanwält*innen. Auch die Schönheitsindustrie profitiert davon, weil vor allem Frauen von klein auf beigebracht bekommen, dass sie sich auf einen männlichen Blick zurichten müssen und diesen männlichen Blick dann auch sehr internalisieren. Deshalb würde es die Schönheitsindustrie in ihrer derzeitigen Form wahrscheinlich ohne das Ideal der romantischen Liebe und ohne das Romantikprimat nicht geben.

Freund*innen werden oft an zweite Stelle gesetzt, wenn jemand in einer romantischen Paarbeziehung ist, obwohl Freund*innenschaften oft länger halten als eine romantische Paarbeziehung. Warum sind Freund*innenschaften gerade heute so wichtig, warum sollen wir sie pflegen?

Immer mehr Menschen leben als sogenannte Singles, vor allem Frauen. Die Scheidungsrate steigt, die Verheiratungsrate sinkt, die heterosexuelle Paarbeziehung und die Paarbeziehung an und für sich verliert gesellschaftlich immer mehr an Stellung oder Bedeutung. In der nächsten Zeit wird es notwendig sein, dass wir uns über die Bedeutung von Familie jenseits der Paarbeziehung und der Kleinfamilie Gedanken machen. Wir müssen versuchen, neue Formen von Familie und von Liebe zu etablieren und möglicherweise auch rechtlich abzusichern.

Oft wird die romantische Paarbeziehung als ein Heilmittel gegen eine Pandemie der Einsamkeit gesehen. Warum geht diese Gleichung nicht auf?

Die romantische Paarbeziehung ist die Beziehung, an die wir denken, wenn wir das Wort „Beziehung“ hören. Die romantische Beziehung hat alles an unserem Sprechen über Liebe vereinnahmt. Wenn wir über Liebe, über Beziehung, über Partnerschaft sprechen, sprechen wir über die romantische Paarbeziehung. Das ist sozusagen der Inbegriff für eine Beziehung überhaupt und wird ganz oft als Gegenteil der Einsamkeit verstanden: „Alle, die single sind, sind einsam, alle, die in einer Beziehung sind, sind nicht einsam.“ Wenn man allerdings einen Blick auf Studien wirft, sieht man, dass gerade Menschen, die nicht in romantischen Paarbeziehungen sind, eigentlich sozial viel besser eingebunden sind. Sie haben ein sehr enges Netzwerk an tragenden Bindungen, ganz oft sehr enge Freund*innen, und sie sind auch in der Gemeinschaft engagierter, indem sie beispielsweise ehrenamtlich arbeiten. Das bringt also allen etwas! Dieses Klischee, dass es gerade die romantische Paarbeziehung ist, die gegen Einsamkeit hilft, stimmt so nicht. Eigentlich ist es so, dass viele Menschen, die in romantischen Paarbeziehungen sind, von einer ganz besonderen Art der Einsamkeit sprechen, weil die romantische Paarbeziehung oft damit einhergeht, dass Menschen sich in kleine Beziehungsinseln zu zweit vereinzeln. Alles außenherum wird dann oft vergessen, vor allem auch andere Beziehungen und Bindungen. In der Freundschaftsforschung sehen wir, dass pro romantischer Paarbeziehung statistisch sogar zwei enge Freund*innen verloren gehen. Das heißt, dass die romantische Paarbeziehung eigentlich eine Beziehung ist, die uns aus anderen wichtigen Beziehungen herausreißt und uns viel einsamer macht, als wie wir es ohne sie wären. Dieser Sog der Isolation, der uns in diese Beziehungsinsel hineinbringt, der uns hineinvereinzelt mit einer anderen Person, wird von außen und von innen oft als etwas Normales betrachtet, weil wir davon ausgehen, dass die romantische Paarbeziehung die wichtigste aller Beziehungen ist, die es auch verdient hat, dass wir uns nur auf sie konzentrieren. Das kann im schlimmsten Fall auch gefährlich werden, etwa wenn man mit jemanden zusammen ist, der beispielsweise gewalttätig ist.

Die romantische „Liebesheirat“ ist ein gut eingeführter Evergreen unserer Kulturgeschichte. Wie kommst du auf die Idee, ein Konzept zu hinterfragen, das viele wohl als „naturgegebenen“ Lauf der Dinge voraussetzen?

Tatsächlich ist die Liebesehe, wie wir sie heute vielleicht je nach ideologischer Ausrichtung als „naturgegeben“ oder „gottgegeben“ empfinden, ein historisch sehr neues Phänomen, das erst im Laufe des 19. Jahrhunderts dominant wurde. Davor haben Menschen aus anderen Gründen geheiratet: Der Adel hat geheiratet, um Frieden zu sichern oder das Reich zu erweitern, das Bürgertum hat geheiratet, um Besitztümer zu sichern oder zu erweitern. Gundula Windmüller beschreibt das sehr lustig mit „Mein Acker, dein Acker, mehr Acker.“ Die Gründe, weswegen geheiratet wurde, waren sehr pragmatisch und ökonomisch. Sie hatten weniger damit zu tun, dass man die Person, die man heiratete, tatsächlich mehr mochte. Ein weiterer Grund war die Reproduktion, der aber auch nicht unbedingt mit dem Mögen des/der Reproduktionspartner*in verknüpft war. Liebe war nicht im Zentrum der Ehe. Enge, emotionale Bindungen hatte man eher zu anderen Menschen, wie beispielsweise in Freund*innenschaften. Im Laufe des 19. Jahrhunderts, im Zeitalter der Industrialisierung, wurde diese Idee der Liebesehe sehr dominant. Im Zuge der Industrialisierung gab es eine Trennung von privat und öffentlich. Plötzlich haben sich diese Sphären nicht mehr vermischt. Man hat zum Beispiel nicht mehr zuhause den Acker bearbeitet, während die Kinder nebenan waren, man sie versorgt hat und sie vielleicht auch mitgeholfen haben. Viel eher ging man jetzt außer Haus zu seinem Unternehmen, zur Fabrik, um dort Lohnarbeit zu verrichten. Dinge wie Haushalt oder Kinder mussten zuhause versorgt werden. So entstand eine Trennung zwischen privat und öffentlich, wobei die private Sphäre der unbezahlten und unsichtbaren Arbeit stark weiblich und die öffentliche Sphäre der Lohnarbeit stark männlich konnotiert waren. Im Zuge dieser Trennung wurde die Idee von Liebe auch immer relevanter, denn die Liebe war die Ideologie, die dazu geführt hat, dass Frauen dann diese unbezahlte und unsichtbare Arbeit auch gemacht haben. Durch die fehlende Bezahlung und die Existenz im Unsichtbaren zuhause waren sie in einer untergeordneten Position, einer Form der Unterdrückung. Es brauchte einen guten Grund dafür, warum Frauen das alles machen, obwohl sie nicht dafür bezahlt wurden. Der Grund war dann eben Liebe. Es war nicht nur so, dass diese unbezahlte und unsichtbare Arbeit dann als die „natürliche Aufgabe“ von Frauen angesehen wurde, sondern es wurde plötzlich auch erwartet, dass sie es gern und „aus Liebe“ machen, weil sie natürlich nur dann gute Ehefrauen und Mütter sind. So wurde diese Idee von Liebe, die mit der privaten Sphäre verknüpft war, im Zuge der Industrialisierung ganz besonders wichtig. Die Vorstellung der Liebesehe und auch Liebe als Ideologie sind sehr eng mit dem Anspruch an Frauen verknüpft, gratis als Arbeiterinnen im Privaten zur Verfügung zu stehen.

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Eine provokante Wutschrift aus feministischer Perspektive


In diesem großartigen Essay arbeitet Beatrice Frasl diese Ungerechtigkeiten auf und plädiert für ein Umdenken. Denn: Romantische Liebe ist eine patriarchale Indoktrinationskampagne, deren Narrativ sich seit Jahrhunderten durchsetzt. Wie gut, dass wir sie nicht brauchen. Dass wir selbstbestimmt entscheiden können, was Liebe für uns bedeutet.

Online und überall erhältlich, wo es Bücher gibt.

Wer sind Fink & Denk? Im neuen Krimi von Ingrid Walther ermitteln eine Vogelkundlerin und eine Philosophin auf Teneriffa

Die Pension auf Teneriffa verbringen – so lautet prinzipiell der Plan von Amalia Fink, Vogelkundlerin, und ihrer besten Freundin Lydia Denk, ihres Zeichens Salzburgs bekannteste Hobbyphilosophin. Amalia will die kanarische Vogelwelt beobachten und ein Buch über sie schreiben, Lydia lenkt sie mit Vergnügen davon ab. Die beiden weilen gerne auf der Kanareninsel und genießen den Urlaub. Bis eine junge Frau namens Katie (laut Amalia ein Rotkehlchen) verschwindet, was Amalia und Lydia nicht ganz geheuer ist. Die beiden Freundinnen beginnen, ihre eigenen Nachforschungen anzustellen, und entwirren dabei ein Gestrüpp an Verstrickungen, das den gewöhnlichen Urlauber*innen verborgen bleibt …

Wir geben dir mit dieser kurzen Leseprobe einen ersten Einblick in das Buch und stellen dir die beiden Protagonistinnen genauer vor – die Autorin Ingrid Walther zeigt in ihren Steckbriefen Eigenheiten, Fähigkeiten und andere Kennzeichen von Amalia und Lydia und erklärt, was die beiden miteinander verbindet.

 

© Fotohofer.at

Ingrid Walther, geboren 1950, hatte als Soziologin, Kommunikationstrainerin und Coach schon immer mit Menschen zu tun. An den Kragen geht sie ihnen seit 2020. Natürlich nur auf schriftstellerischem Wege, denn in diesem Jahr erschien der erste Band ihrer Provence-Krimireihe rund um Florence Beaumarie, die einfach die Pension genießen will, aber so gar nicht dazu kommt. Ganz ähnlich ergeht es den Protagonistinnen in ihrem neuen Kanarenkrimi „Das Schweigen der Kanarienvögel” (HAYMONtb 2025), in dem sie Lavendelfelder gegen Vulkanlandschaft tauscht.

 

Amalia Fink und Lydia Denk …

… sind zwei ganz verschiedene Freundinnen! Die eine Vogelkundlerin mit guter Beobachtungsgabe, die andere Philosophin mit gutem Gedächtnis. Auch optisch sind sich die zwei nicht ähnlich: Amalia ist klein und kleidet sich minimalistisch, Lydia ist groß und trägt am liebsten bunte Kaftans. Und wo beispielsweise Amalia gerne schwimmt und wandert, herrscht bei Lydia eine strikte „no sports!“ Regel. Selbst in ihrem Frühstücksgeschmack unterscheiden sich die beiden …

Aber schau selbst:

 

(Bild gezeichnet von Ingrid Walther)

Amalia ist – irgendwie selbsterklärend – ein Girlitz, also ein Fink.

(Bild gezeichnet von Ingrid Walther)

Lydia ist laut Amalia ein Graureiher.

 

Und was verbindet Amalia Fink und Lydia Denk miteinander? 

Vor allem eine kongeniale Freundschaft seit der gemeinsamen Kindheit. Die beiden kennen sich, seit sie zusammen in der ersten Klasse waren. Außerdem: viel Humor! Amalia und Lydia nehmen sich, auf gut Österreichisch, gerne auf die Schaufel. Aber auch ernsthaft – obwohl sie beide sehr verschieden sind, finden sie viel Akzeptanz , Verbundenheit sowie Vergnügen an genau dieser Diversität. Beide haben Freude an ihrer jeweiligen Arbeit und (mindestens ebenso wichtig!) am Genuss, was wir in ihrem Urlaub oft sehen können. Also: Amalia und Lydia sind zwei ganz unterschiedliche, starke Freundinnen, die vor allem beide auch nichts dagegen haben, wenn sie als Emanzen bezeichnet werden. Lieben wir so sehr wie Amalia Vögel liebt!

 


Lust auf mehr?

Du willst wissen, wie Amalia Fink und Lydia Denk zusammen versuchen, das Verschwinden von Katie aufzuklären? Ingrid Walther nimmt uns mit zu schwarzen Stränden, dschungelartigen Lorbeerwäldern und kargen Vulkanlandschaften und lässt uns nicht nur Vögel beobachten, sondern auch die beiden Freundinnen gern gewinnen und natürlich mitfiebern!

„Das Schweigen der Kanarienvögel” erscheint am 10.04.2025 und ist schon jetzt in deiner Lieblingsbuchhandlung und überall, wo es Bücher gibt, vorbestellbar!