„Ich denke, fast alle Menschen ertappen sich irgendwann einmal bei dem Gedanken, jemanden aus dem Weg räumen zu wollen.“ Interview mit Herbert Dutzler

Herbert Dutzler beschäftigt sich in seinem neuen Roman „In der Schlinge des Hasses“ mit der Frage, wie es kommt, dass viele Menschen ihre negativen Gefühle für realer und bedeutsamer halten als Tatsachen. Zu Beginn ist der Protagonist Leo ein ängstliches Kind, das sich im Laufe des Romans durch Wut und Hass zu einem Menschen entwickelt, der uns das Fürchten lehrt. Wir haben mit dem Preisträger des Österreichischen Krimipreises 2022 über die Recherche zu seinem Buch, den Schreibprozess und seine Erfahrungen als Lehrer mit dem Thema Radikalisierung gesprochen.

In deinem neuen Roman blickst du direkt in den Kopf eines Täters: Du erzählst die Geschichte eines unschuldigen Kindes, das zum rechtsradikalen Mörder wird. Wie kam es dazu, dass du über dieses Thema schreiben wolltest? Und warum hast du diese Erzählperspektive gewählt?

In den beiden Thrillern zuvor – „Die Einsamkeit des Bösen“ und „Am Ende bist du still“ – hatte ich jeweils Frauen als Täterinnenfiguren dargestellt – das entsprach natürlich nicht der Realität der Gewalt in unserer Gesellschaft. Deswegen wollte ich unbedingt auch einmal die Geschichte eines männlichen Täters schreiben. Auf das Thema bin ich gekommen, weil ich leider viele Eltern kennenlernen musste, die nicht gut für ihre Kinder, nicht gut zu ihnen waren – deshalb die Verbindung von Kindheit und Erwachsenem. Man fragt sich als Lehrer oft, was aus Kindern wird, deren Schulprobleme sich auf lieblose und autoritäre Eltern zurückführen lassen. Zwischen Kinder- und Erwachsenenwelt habe ich die Erzählperspektive vom „Ich“ zum „Er“ aus zwei Gründen gewählt: Erstens sind die ineinander verwobenen Erzählstränge auf diese Weise deutlich unterscheidbar, und zweitens wünsche ich mir, dass man zum erwachsenen Protagonisten mehr Distanz aufbauen kann – das geht in der dritten Person besser.

Wie bist du bei der Recherche für das Buch vorgegangen?

Meine Recherche-Taktik ist immer die gleiche: Ich versuche, das Internet zu plündern, soweit die Realität außerhalb meiner Protagonisten von Bedeutung ist. In diesem Fall habe ich mich sehr lang auf den Homepages diverser Studentenverbindungen herumgetrieben, habe vieles gelesen, das über sie und von ihnen geschrieben wird, habe mir Videos von ihren Feierlichkeiten und Ritualen reingezogen, bis ich ein Bild hatte, das mir Eindruck genug gemacht hat, um darüber schreiben zu können – obwohl man natürlich anmerken muss, dass die Aktivitäten einer Burschenschaft nur ein „Hintergrundrauschen“ in meinem Buch sind. Was die Aktivitäten einer weiteren, weit rechts stehenden Gruppierung angeht, habe ich mich auf Medienberichte gestützt, der Rest ist Fantasie – da ja der Großteil der Handlung im Kopf des Täters stattfindet.

Hat sich der Schreibprozess anders angefühlt als bei deinen Gasperlmaier-Krimis? Ist es dir schwerer gefallen, aus der Perspektive eines Mörders zu erzählen?

Nein, ist mir nicht schwergefallen. Ich habe es ja schon zum dritten Mal getan, die beiden ersten Male („Die Einsamkeit des Bösen“ und „Am Ende bist du still“) hatte ich aber viel mehr Verständnis und Sympathie für die Täterinnen, diesmal musste ich schon auch Ängste und Besessenheiten darstellen, die mir persönlich fernliegen. Die Lektüre von Hasskommentaren auf sozialen Netzwerken lässt einen aber ganz schnell und tief in die Psyche solcher Menschen eindringen.

Hast du in deinem Lehrerdasein Schüler*innen getroffen, bei denen du dich gesorgt hast, sie könnten ein Leo werden?

Ja, ich habe mehrere Schüler kennen gelernt, die mir Angst machten – in der Hinsicht, dass sie dazu in der Lage wären, Amok zu laufen und anderen Gewalt anzutun. Es hat auch Schüler gegeben, die gewaltbereit und sogar gewalttätig waren, aber die größte Sorge hat in mir ein stiller, zurückhaltender Schüler geweckt, der sich von allen anderen absonderte und sehr seltsame Aktivitäten entfaltet hat – die aber nichts mit Rechtsradikalismus zu tun hatten, aber zeigten, wie einsam und verloren er war.

Was denkst du, könnte oder sollte getan werden, damit sich Kinder wie Leo im Buch nicht radikalisieren?

Das ist sehr schwierig, denn in der Regel ist es doch so, dass ein hohes Aggressionspotential aus dem Leben in einer nicht funktionierenden Familie kommt – Vernachlässigung, Lieblosigkeit, Gewalterfahrung. Natürlich spielen auch andere Faktoren noch eine Rolle, aber ich halte es – leider – für eine Illusion, zu glauben, man könne erreichen, dass alle Kinder behütet und geliebt aufwachsen. Als Lehrer:in kann man ein bisschen dazu beitragen, indem man solchen Kindern wenigstens in der Schule ein Umfeld gibt, das ihnen Aufmerksamkeit und ein bisschen Geborgenheit vermittelt.

Gibt es für Menschen wie den erwachsenen Leo einen „Weg zurück“?

Da bin ich, ehrlich gesagt, pessimistisch. Wenn ein Mensch einmal tief in der Spirale der gewaltsamen „Konfliktlösungen“ drinnensteckt, kann er/sie sich, glaube ich, nur schwer daraus befreien. Wie bei vielen Formen von Sucht ist die Rückfallquote leider sehr hoch, zumal solchen Menschen ja selten eine glückliche Beziehung zu anderen Menschen gelingt. Deswegen tendiere ich selbst eher zu der Haltung, Kinder aus nicht funktionierenden Familien zu befreien und ihnen die Möglichkeit zu geben, z.B. in einem Kinderdorf aufzuwachsen. Ich habe selbst Schüler:innen unterrichtet, die in einem Kinderdorf wohnten, und habe erlebt, wie wohl sie sich dort gefühlt haben. Einer meiner Schüler war phasenweise in seiner Herkunftsfamilie – immer dann ging es mit ihm bergab. Dann war er wieder im Kinderheim – und man hat gesehen, wie er aufgeblüht ist. Die Herkunftsfamilie scheint mir daher in vielen Fällen nicht die beste Lösung für Kinder zu sein, denen Wesentliches in ihrem Leben fehlt.