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Wenn die Realität der Fiktion in nichts nachsteht. True Crime von Mark Benecke und Romy Hausmann

Mark Benecke und Romy Hausmann denken sich nicht nur ihre eigenen Kriminalgeschichten aus, sondern bereiten in ihren Büchern auch tatsächliche Mordfälle auf. Sie nehmen uns mit zu forensischen Untersuchungen, lassen uns an den Ermittlungen teilhaben, bringen die Hintergründe ans Licht und geben Einblicke ins Denken von Täter*innen und die Empfindungen von Opfern und Hinterbliebenen.

Massenphänomen mit Tradition

Wenn wir ehrlich miteinander sind, dann ist sie schon etwas makaber, unsere Lust an Kriminalfällen abseits der Fiktion. War es in unseren Breiten lange ein Nischeninteresse für eingeschworene Kenner*innen – Medical Detectives um 02:00 auf Vox –, für das man zuweilen verstörte Blicke erntete, hat True Crime in den letzten Jahren einen absoluten Boom erlebt. Podcasts schossen wie Pilze aus dem Moos. Zahlreiche TV-Produktionen über die unglaublichsten Morde und abscheulichsten Serientäter*innen wurden aus dem Boden gestampft.

Das Interesse für wahre Kriminalfälle war allerdings immer schon da.

Im 19. Jahrhundert etwa hielt die Boulevardpresse ein Millionenpublikum in Atem, das gespannt die Gräueltaten von Jack the Ripper mitverfolgte. Doch was macht sie nun aus, unsere Faszination für die schonungslose Realität, die oft grausamer ist als die Fiktion selbst?

Nervenkitzel oder Verteidigungsstrategie?

Ist es etwa das Adrenalin, das unser Hirn überschwemmt und uns süchtig macht, daheim unter der sicheren Decke? Ist es die Neugier, einen Blick in den Kopf von Gewalttäter*innen zu wagen, in menschliche Abgründe zu blicken, immer in der Hoffnung, dass niemand zurückblickt? Ist es eine fast schon spielerische Freude am Rätsel oder gar der Wunsch nach Gerechtigkeit, der uns über ungelöste Kriminalfälle brüten lässt? Oder geht es um einen Lerneffekt, um Wissen, das hilft, nicht selbst zum Opfer zu werden?

Die Grenzen zum Voyeurismus sind fließend und schnell vergessen wir, dass es sich nicht nur um echte Fälle, sondern auch um echte Personen handelt, die diesen spektakulären Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sind. Individuen mit Gefühlen, mit einer Vergangenheit und einer Zukunft, die ihnen gewaltsam geraubt wurde. Um sich mit True Crime jenseits von Sensationsgier und Effekthascherei zu befassen, braucht es vor allem eines: Empathie; die Bereitschaft, sich nicht nur in die Opfer sondern auch in deren Angehörige hineinzuversetzen, die nicht nur mit dem Verlust, sondern auch damit leben müssen, dass ihre ganz persönliche Tragödie öffentlich diskutiert und in gewisser Weise auch vermarktet wird.

Romy Hausmann, fotografiert von Christian Faustus.

Romy Hausmann: viel mehr als Fakten

Eine Autorin, die Unterhaltung und Feingefühl souverän verbindet, ist Romy Hausmann. Die Spiegel-Bestseller-Autorin ist nicht nur für ihre Thriller bekannt, sondern zeigt in ihrem Buch „True Crime. Der Abgrund in dir“ (2022, dtv), dass das echte Leben mit jedem Thriller mithalten kann.

Einfühlsam sammelt sie nicht nur Fallbeispiele, sondern verdichtet die Erkenntnisse, die sie im Gespräch mit Opfern, Hinterbliebenen und Expert*innen gewonnen hat in Tagebucherzählungen, die abseits von reinen Fakten auch die Gefühle der Betroffenen in den Blick nehmen und auch danach fragen, wie diese mit dem Unfassbaren abschließen können.

Dipl.-Biol. Dr. rer. medic., M.Sc., Ph.D. Mark Benecke

Mark Benecke fotografiert von Thomas van de Scheck.

Mark Benecke: von Insekten und Kannibalen

Tiefe Einblicke in die Welt der Kriminalbiologie und forensischen Entomologie – also die Wissenschaft von Krabbeltierchen und wie man sie für Ermittlungen nutzen kann – gibt Dr. Mark Benecke, Tausendsassa und einer der prominentesten Sterne am heimischen True Crime-Himmel. Obwohl Stern vielleicht der falsche Begriff ist, denn Mark Benecke findet man eher auf der dunklen Seite des Mondes, gilt seine Leidenschaft nicht nur der Forensik, sondern auch düsterer Musik, Vampiren, Tattoos und der Gothic-Szene. In seiner Rolle als True Crime Experte, sei es in TV-Serien oder seinen eigenen Büchern, zeigt der Kriminalbiologe immer wieder, dass es sich lohnt, auf das vermeintlich Unscheinbare zu achten und das scheinbar Unmögliche in Betracht zu ziehen. Mark Beneckes Expertise und besondere Perspektive fließt auch in seine Kriminalromane ein. Zuletzt erschienen ist „Kannibal. Jagdrausch“, in dem bei den Ermittler*innen der grausige Verdacht aufkommt, dass sie es vielleicht mit einem Fall von Kannibalismus zu tun haben.

„Es sind die Tiefen und die Wahrhaftigkeit der Personen, die mich interessieren.“ – Theresa Prammer im Interview

Auf der Bühne verkörpert Theresa Prammer die Charaktere anderer und inszeniert Geschichten. In ihren Büchern erweckt sie ihre eigenen Figuren zum Leben. Buch oder Bühne? Für Theresa Prammer ist klar, es muss kein Entweder-Oder sein. Nach wie vor ist die Autorin auch als Schauspielerin und Regisseurin tätig. Für ihre Leser*innen öffnet sie, vor allem durch die Schauspielschülerin Toni in „Schattenriss“, weit den Theatervorhang und lässt hinter die Kulissen blicken.

Du erzählst nicht nur in deinen Büchern, sondern auch auf der Theaterbühne Geschichten. Welche Gemeinsamkeiten gibt es bei den verschiedenen Erzählarten und welche Unterschiede? Welche Herausforderungen begegnen dir dabei und wie gehst du damit um?

Ich liebe beides, beim Roman entstehen die Bilder im Kopf, im Theater auf der Bühne. Beim Schreiben sehe ich die Szene immer vor mir – beim Buch eher wie im Film, die fünf Sinne der Protagonisten, ihr Innenleben und die Umgebung/Atmosphäre spielen eine große Rolle. Beim Schreiben eines Stücks ist das zwar auch wichtig, aber da fokussiere ich mich mehr auf die Interaktionen und den Dialog.

Die Herausforderungen sind immer die gleichen – die Seele und das Hirn beim Schreiben auf einen Nenner zu bringen.

Wie bereitest du dich für die Verkörperung von Rollen vor und wie gehst du bei der Erschaffung von Figuren vor?

Theresa Prammer, fotografiert von Janine Guldener.

Das Wichtigste in beiden Fällen, egal ob Rolle oder Figur, ich muss sie verstehen. Und zwar richtig verstehen, ihre Geschichte, ihre Vergangenheit, ihre Beweggründe. Im Theater kann ich den Subtext nur zeigen – das, was die Rolle vielleicht überspielt, nicht zugeben will, während sie mit dem Text etwas anderes sagt. Im Roman habe ich mehr Freiheit, ich kann die Leser ganz nah an die Person heranführen, sie in die Seele hineinführen und diese Ambivalenz direkt miterleben lassen. Ob Theater oder Buch, in beiden Fällen sind die Tiefen und die Wahrhaftigkeit der Personen das, was mich interessiert. Und ich bin sowohl beim Schreiben als auch auf der Bühne immer ein bisschen verliebt in meine Figuren.

Inspirieren dich Theater und Film für deine eigenen Geschichten als Autorin?

Unbedingt. Und auch Musik und Bücher (ich könnte ohne Buch nicht einschlafen).

Helfen dir deine Erfahrungen als Schauspielerin und Regisseurin als Autorin oder greifen diese Tätigkeiten sogar ineinander?

Auf jeden Fall. Ich glaube generell, die eigene Kreativität ist wie eine große üppige Torte. Und alles, was man kreativ tut, dekoriert diese Torte. Da kommen brennende Kerzen dazu, eine weitere Cremeschicht, Zuckerguss, Marzipan, etc. Diese Torte gehört gepflegt und beschützt, sonst schmilzt sie dahin.

Einen Einblick in ein Leben auf der Bühne erlaubst du deinen Leser*innen mit der Schauspielschülerin Toni, welche Edgar Brehm bei seinen Ermittlungen unterstützt. Wie entscheidest du, wie weit du den Vorhang für deine Leser*innen lüftest?

Ich schreibe immer mit ganz weit geöffnetem Vorhang 🙂 .

Zum Mitfiebern: „Schattenriss” von Theresa Prammer.

Decken sich Tonis Erfahrungen als Schauspielschülerin mit deinen eigenen?

Was die Schauspiel-Übungen betrifft – alles was Toni macht, habe ich auch gemacht. Und da mein Mann und ich seit sieben Jahren eine Schauspielakademie für Jugendliche leiten, bin ich da auch recht nah dran. Tonis direkte Erfahrungen decken sich vielleicht manchmal mit meinen eigenen, aber in ganz anderer Form.

Welche Tipps würdest du Toni und anderen angehenden Schauspieler*innen für ihren Traumberuf geben?

Glaub an dich. Hör nie auf zu lernen und dich weiterzuentwickeln.
Sei mutig und radikal ehrlich zu dir selbst. Finde etwas an jeder Rolle, das du liebst.
Geh mit ganzem Herzen rein, riskiere es, Fehler zu machen und zu scheitern.
Wenn du mit Rückschlägen kämpfst, frage dich: Warum geschieht das FÜR mich?
Hör dir Kritik von den für dich richtigen Leuten an. Wenn sie dich trifft, schlaf drüber, schreib deine Gedanken dazu am nächsten Morgen auf und entscheide dann, ob sie (oder welcher Teil davon) berechtigt ist. Und vergiss nie, alle „kochen nur mit Wasser“.

Edgar Brehm, ehemaliger Kommissar und jetzt Privatdetektiv, verschlossen und mürrisch, aber mit einem riesigen Herz, und Toni Lorenz, Schauspielschülerin am Konservatorium in Wien, offen, mutig und mit ihrem persönlichen Rucksack voller negativer Erfahrungen beladen: ein Ermittlerteam, das ungleicher nicht sein könnte. Und dabei doch so gut zusammenpasst.
Wenn Toni und Edgar an einem Fall arbeiten, gönnt uns Theresa Prammer keine Atempause: auf Theaterbühnen und Filmsets, auf den Straßen Wiens, von der Donau bis in den Prater lösen die beiden Fälle, die unter die Haut gehen. Emotional, aufwühlend und mitreißend bis zum letzten Wort.

Mehr Infos zum Buch gibt es hier!