Kategorie: Krimi

„Wien um 1900 ist einer der interessantesten historischen Schauplätze für einen Roman.” Edith Kneifl im Gespräch

Edith Kneifl erweckt in ihrer Krimiserie um den charmanten Privatdetektiv Gustav von Karoly das Wien des Fin de Siècle zum Leben und lässt in der historischen Kaiserstadt die Puppen tanzen.
Ein Gespräch

Deine Serie um Privatdetektiv Gustav von Karoly spielt im historischen Wien, genauer gesagt im Wien der Jahrhundertwende. Inwiefern ist das Wien des Fin de Siècle die perfekte Krimikulisse?

Wien um 1900 ist für mich politisch und kulturell einer der interessantesten historischen Schauplätze für einen Roman.

Die industrielle Revolution und das neue Selbstbewusstsein des wohlhabenden Bürgertums seit 1848 – die Fabrikbesitzer waren meist keine Adeligen, sondern Großbürger, der sogenannte Geldadel –, führten zu einem unerhörten Aufschwung in wissenschaftlichen, technischen und, damit einhergehend, auch in künstlerischen Bereichen. Vor allem die Nationalitätenkonflikte in dieser Zeit und die Fortschrittsverlierer, die Obdachlosen, die Arbeiterinnen und Arbeiter, die vielen Zuwanderer aus den ärmlichen Kronländern, bildeten den Gegenpol zum Glanz des Bürgertums und dem gleichzeitigen Niedergang des Adels. Dieses Spannungsverhältnis aus dem, sehr vereinfacht ausgedrückt, letztendlich der Zerfall der alten Monarchien Europas nach dem Ersten Weltkrieg resultierte, hat mich immer fasziniert.

In meinen historischen Kriminalromanen ist zwar auch Platz für Glanz und Glorie, für Bälle und große Gelage in feudalen Ringstraßenpalais oder für Schönbrunn, die Hofburg und die Wiener Oper, aber interessanter finde ich die Kapitel, in denen ich mich mit der Verlogenheit und der Doppelmoral der damaligen gutbürgerlichen und adeligen Gesellschaft und mit den grauenhaften Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerung auseinandersetze, zum Beispiel mit dem Subproletariat und den Kriminellen im Prater in „Der Tod fährt Riesenrad“ oder eben mit den vielen Migranten aus den Kronländern in „Totentanz im Stephansdom“. Dabei ging es mir vor allem um die jungen Frauen und Mädchen, die aus diesen armen Ländern nach Wien verschleppt wurden. Miese Schlepper gab es schon damals!

Die Bücher sind hervorragend recherchiert, es mischen sich reale Geschehnisse mit Krimihandlung – wie bist du vorgegangen?

Ich habe immer viel gelesen – und Lesen bildet eben. Im Ernst, ich habe mich sogar in meiner Schulzeit für Geschichte begeistert. Die Jahrhundertwende hat mich auch während meiner beinahe zehn Jahre währenden Ausbildung zur Psychoanalytikerin beschäftigt. Freud und Schnitzler, Klimt und Johann Strauss, die großen Fortschritte in den Naturwissenschaften und vor allem die damals immer stärker werdende Arbeiterbewegung finde ich unerhört spannend und wichtig. Ich habe also während der Arbeit an diesen Romanen viele Bücher über Zeit und Leute gelesen und eben so manches in die Krimihandlung eingebaut.

Übrigens bekomme ich von jungen Lehrerinnen und Lehrern Komplimente. Sie meinen, auf diese Art könnte man die Schüler sehr wohl für den Geschichtsunterricht begeistern. Tja, mal sehen, vielleicht werden demnächst einige Mittelschüler oder Gymnasiasten meine historischen Krimis lesen? Ich würde mich freuen!

Wien ist ja für seine Morbidität bekannt. Wie ist dein Gefühl, hat der Wiener bzw. hat die Wienerin einen besonderen Zugang zum Düsteren, eine eigene Beziehung zur Sterblichkeit?

Ja, „der Tod muss ein Wiener sein“ (Georg Kreisler). Sicherlich hängt die vielzitierte Morbidität der Wiener mit dem Zusammenbruch der Monarchie zusammen. Dieser Zusammenhang wurde bereits oft analysiert. Ich glaube übrigens nicht, dass die heutige Wiener Bevölkerung so besonders morbid ist. Wahrscheinlich hat das eher auf die Nachkriegsgenerationen zugetroffen, sowohl auf die Überlebenden des Ersten als auch des Zweiten Weltkrieges. Reste dieses Hangs zur Morbidität finden sich sicherlich bis heute bei den Wiener Intellektuellen. Eine besondere Beziehung zum Tod haben aber auch andere Völker und Kulturen.

Gustav von Karoly ist ja ein besonders charmanter Charakter, dem die Frauen reihenweise verfallen. Kannst du ihn uns kurz vorstellen? 

Mit Gustav von Karoly hat ein äußerst charmanter und liebenswerter Mann die Bühne der Kriminalliteratur betreten. Ehrlich gesagt habe ich mir eine Art Traummann erschaffen. Gustav entspricht auch äußerlich dem Typ von Mann, für den ich immer anfällig war und bis heute bin: groß, schlank, schwarzhaarig, ebenmäßige Züge … Aber so sehen viele Männer aus. Das Anziehende an Gustav sind für mich seine Sensibilität und seine Schwächen. Einerseits ist er ja durchaus ein mutiger Mann, aber er gesteht sich eben auch seine Ängste ein und handelt entsprechend. Außerdem ist er klug und hat Humor. Und vor allem benimmt er sich meistens rücksichtsvoll und hat viel Verständnis für Frauen, kann gut zuhören und nimmt ihre Probleme und Ratschläge ernst. Solche Männer gibt es auch in der Realität, aber sie sind eher eine Rarität.

Starke Frauen spielen ebenfalls eine Rolle in deinen Büchern, was, gerade vor der Kulisse der Donaumonarchie, sehr spannend ist. Inwiefern war dir das wichtig?

Die starken Frauen in meinen historischen Kriminalromanen sind mir ebenso wichtig wie der schöne Gustav von Karoly. Im Grunde geht es mir in allen meinen Romanen immer um Aufbruchs- oder Ausbruchsversuche von Frauen. Das Genre des historischen Krimis erlaubt es mir, die Anfänge dieser ersten wichtigen Frauenbewegung in unserem Land zu beschreiben. Diese Frauen um die Jahrhundertwende haben für uns nicht nur das Wahlrecht, sondern auch den Zugang zu höherer Bildung erkämpft und damit unsere heutigen Karrieren ermöglicht.

Ohne Gustavs Tante Vera und seine große Liebe, die zukünftige Ärztin Dorothea, oder die Erzieherin Clara in „Totentanz im Stephansdom“, wären wir Frauen heute noch „Besitz“ unserer Väter oder Ehemänner und würden, falls wir aus armen Verhältnissen stammten, unser Leben als Dienstbotinnen, schlecht bezahlte Fabrikarbeiterinnen oder Prostituierte fristen. Auch das ist ein wichtiges Thema in all meinen historischen Krimis.
Die emotionalen Probleme, die Frauen damals um die Jahrhundertwende hatten, sind den Problemen heutiger Frauen nicht so unähnlich, wie man vielleicht denkt. Um sie zu beschreiben, brauche ich keine Recherchen durchzuführen, die kenne ich genauso gut wie jede andere Frau.

Zu guter Letzt (und nicht zuletzt, weil der neue Krimi „Der Tod liebt die Oper“ an der Staatsoper spielt): Welche Melodie dürfen sich deine LeserInnen in den Hintergrund denken, wenn sie vor ihrem inneren Auge Gustav durch Wien flanieren sehen?

Ich würde empfehlen, die beiden Verdi-Opern „La Traviata“ und „Rigoletto“ beim Lesen meines neuen historischen Krimis „Der Tod liebt die Oper“ im Ohr zu haben. Den Idioten „Otello“ sollten wir Frauen lieber vergessen.
Vor allem empfehle ich die Arien: „Lunge da lei“ („Entfernt von ihr gibt’s kein Glück für mich“) von Alfredo aus „La Traviata“ sowie die Schmerz-Arie aus dieser Oper: „Cessarono gli spasmi del dolore“, gesungen von Violetta.
Die wohl berühmteste Arie der Welt, „La donna è mobile“, des Herzogs von Mantua aus „Rigoletto“ würde ich ebenfalls den Opernliebhaberinnen und -liebhabern unter meinen Leserinnen und Lesern bei der Lektüre dieses Krimis ans Herz legen. Mir kommen dabei immer die Tränen, obwohl dieser Herzog ja ein fürchterlicher Womanizer war und den Tod verdient hätte.

Letzter Fasching – Herbert Dutzler interviewt Herbert Dutzler

Herbert Dutzler interviewt Herbert Dutzler. Foto (c) Gisela Barrett.

Die fünfte Jahreszeit im beschaulichen Ausseerland ist für manch einen auch die letzte: Unter dem farbenprächtigen Ornat der Flinserl und hinter den Masken der Trommelweiber verbirgt sich mitten im ausgelassenen Faschingstreiben das Böse.

Herbert Dutzler beleuchtet die dunkle Seite der Faschingsbräuche und bringt die bedrohliche Wahrheit ans Licht: über Lederhosen, Faschingsbriefe und Touristenshows. 

Ein Gastbeitrag von Herbert Dutzler

***

Ein Autor interviewt sich selbst und beantwortet endlich die brennendsten Fragen, die ihm schon lange gestellt hätten werden müssen.

Herr Dutzler, ist denn der Fasching ein geeigneter Hintergrund für ein blutrünstiges Krimidrama?

Der beste, den man sich denken kann. Jeder versteckt sich hinter einer Maske, keiner ist der oder die, die er zu sein scheint, Täter wie Opfer tauchen in der Masse der Verkleideten unter. Sehr dramatisch.

Aber im Fasching ist’s doch eigentlich lustig?

Keineswegs. Der Fasching ist eher bedrohlich. Hören Sie sich einmal den Ausseer Faschingsmarsch an. Also mir gefriert da das Blut in den Adern. Dazu noch die starren, höhnisch grinsenden Masken … also nein. Nicht lustig!

 Aber … die Erwartungshaltung … jeder erhofft sich doch, dass es lustig wird …?

Für diesen Fall ist der Krimi dann das unübertreffliche Kontrastprogramm. Der lustige Clown wirkt blutüberströmt doch noch viel dramatischer. Ganz zu schweigen von den vielfältigen historischen Figuren des Ausseer Fasching – stellen Sie sich ein Flinserl vor, das im Schein der untergehenden Sonne in einer Schlinge vom Dachbodenbalken baumelt … und die Pailletten glitzern um die Wette … unübertrefflich!

Wie gehen Sie denn bei der Recherche vor? Müssen Sie da nicht selber mitmachen? Als Trommelweib den Schlegel schwingen? Als Flinserl Nüsse in die Menge schmeißen?

Der Autor, sehr verehrter Herr Reporter, ist immer ein Außenseiter. Ein Beobachter. Er gehört nie richtig dazu, sondern drückt sich an den Rändern des Geschehens herum. Will unerkannt bleiben. Hört und sieht zu. Saugt auf. Fotografiert und filmt, meinetwegen. Ein Voyeur. Niemals aber darf er ein sogenannter Insider sein.

Aber … die Authentizität … die Realität …?

Reden wir nicht über die Realität, gar über die Wahrheit. Das sind sowieso schwammige Begriffe, die jeder anders interpretiert. Wissen Sie, der Insider, der kann bestenfalls ein Sachbuch schreiben. Die Dinge, die Personen beim Namen nennen. Es wäre den handelnden Personen gegenüber durchaus respektlos, wollte man sie in einem Roman so abbilden, dass jeder sie erkennt. Denn sie wären ja ganz andere als die, deren Namen oder Gesichtszüge sie tragen, Geschöpfe des Autors, ja sogar, im schlimmsten Fall, Opfer seines Missbrauchs.

Aber schreiben Sie denn jetzt über das Ausseerland, oder nicht? Die Schauplätze, die gibt’s doch alle, oder nicht?

Kennen Sie Krippen, Herr Reporter? Kastenkrippen? Da haben die Krippenbauer versucht, Jerusalem nachzubauen. Und immer hat es so ausgesehen, wie sich der Krippenbauer die Heilige Stadt vorgestellt hat. Und, natürlich, jedes Mal sieht sie ein bisschen anders aus. Na ja, und daher sieht halt mein Ausseerland so aus, wie Sie es in meinem neuen Buch lesen können. Viele werden es wiedererkennen, ja sich sogar damit identifizieren können. Manche nicht. Das sechste, übrigens.

Wie jetzt …?

Buch. Das sechste Buch. Der sechste Fall des Inspektor Gasperlmaier. Und der Frau Doktor Kohlross.

Jetzt erscheint Ihr Buch über den Fasching gerade (lacht) zu Ostern. Was haben Sie sich denn dabei gedacht?

Sehen Sie, Herr Reporter, da setzte ich mich mitten im Hochsommer auf meine Terrasse und schreibe ein Buch, das an einem eiskalten Wintermorgen beginnt, an dem der Schnee waagrecht vor dem Fenster vorbeitreibt. Glauben Sie, das ist einfach? Und dann kommen Sie daher und wollen pünktlich zur passenden Jahreszeit einen Kriminalroman geliefert haben. Es gab nur zwei Möglichkeiten – jetzt oder erst im nächsten Fasching. Da brauche ich keine Leserbefragung, um herauszufinden, was gescheiter ist.

„Ich habe mir das Recht, eine Ausseer Lederhose zu tragen, dadurch erworben, dass ich zwei Monate lang die Volksschule in Bad Aussee besucht habe und mich dort regelmäßig in der Pause von den Mitschülern verprügeln habe lassen.”

Sie haben die Leserinnen vergessen.

Leserinnen- und Leserbefragung, sie Klugscheißer.

Tragen Sie eigentlich selber auch eine Lederhose? Sie kommt ja in ihren Büchern immer wieder vor.

Selbstverständlich. Ich habe mir das Recht, eine Ausseer Lederhose zu tragen, dadurch erworben, dass ich zwei Monate lang die Volksschule in Bad Aussee besucht habe und mich dort regelmäßig in der Pause von den Mitschülern verprügeln habe lassen. Das gehörte damals zum lokalen Brauchtum und war nie böse gemeint. Es war nicht dieses Mobbing, von dem heute so oft die Rede ist, sondern eher sportlich. Fast schon fair.

Brutal.

Nachhaltig.

Der Fasching, das ganze Brauchtum im Salzkammergut, ist das nicht auch nur mehr eine billige Show für die Touristen? Hängen Sie sich da nicht einfach an einen Trend an? Sozusagen, die Kuh zu melken, solange sie …

Jetzt machen Sie aber einen Punkt! Erstens kann ich gar keine Kühe melken. Und wenn wir schon bei diesem Bild bleiben wollen, dann melke ich mich selber. Denn ich kann nur das formulieren, nur das aufschreiben, was in mir drin ist und heraus will. Heraus muss. Abgezapft wird. Das ist ein überaus mühevoller Prozess. Und was die billige Show betrifft: So, wie ich das sehe, machen die Ausseer ihren Fasching für sich selbst. Die brauchen die Touristen gar nicht dazu. Ich sehe da keine kommerziellen Untertöne mitschwingen. Und die Touristen, die können zuschauen. Mitmachen brauchen sie nicht. Im Ausseerland hält man’s mit der Devise „Seid’s froh, dass ihr da sein dürft“. Und das finde ich gut so. Zeugt von Selbstbewusstsein.

In ihrem Buch kommen ja auch die berühmten Faschingsbriefe vor …

Einzigartig. Sie haben sich ja aus dem einfachen Vorlesen von gereimten Briefen mit Musikbegleitung zu kabarettistischen Shows weiterentwickelt, diese Faschingsbriefe. Inhaltlich konzentriert man sich – was ich sehr vernünftig finde und auch der Tradition entspricht – auf Ereignisse regionaler Bedeutung. Und eines sage ich Ihnen: Ich habe Faschingsbriefe gesehen, die könnten sie eins zu eins  – ohne Schnitt – ins Fernsehprogramm übernehmen. Denn die sind um ein Vielfaches besser als das, was da aus dem österreichischen Süden so gesendet wird. Sie klingen mir eh so ein bisschen … wo kommen’s denn her, Herr Reporter?

Äh … herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch.

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Herbert Dutzler: Letzter Fasching

Heiß ersehnt, lang erwartet: der sechste Fall von Kultinspektor Gasperlmaier!

Wenn ihr neugierig geworden seid, taucht jetzt ein ins mörderische Maskentreiben im malerischen Bad Aussee!

Auch der neueste Fall des sympathischen Inspektors Franz Gasperlmaier bietet alles, was das Krimiherz begehrt: eine mächtige Portion Spannung und ein liebenswürdiger Ermittler, der mit dörflicher Gemütlichkeit und einer gehörigen Prise Humor die Mörder quer durch das schöne Ausserland jagt!

Psychologische Krimi-Perfektion: Carla Bukowski ermittelt wieder

Autorin Lena Avazini. Foto: Thomas Schrott

Wenn auf einem Buchcover Lena Avanzini steht, verbirgt sich dahinter in der Regel kein Gesundheitsratgeber: Eine Protagonistin, die sich im Wesentlichen von Zigaretten und dreifachen Espressi ernährt, und durchschnittlich drei bis sieben Leichen pro Fall – das hört sich schon reichlich ungesund an. Auch in ihrem neuen Krimi wird das Ermittlerteam nicht gerade geschont. Aber Carla Bukowski ist zäh. Und Carla Bukowski ist unberechenbar.

Im Gespräch mit Christina Kindl-Eisank (erstmals erschienen im Wagner’sche Magazin N°2) spürt Lena Avanzini dieser Unberechenbarkeit, überhaupt: dieser eigenwilligen Ermittlerpersönlichkeit mit Hang zur Selbstzerstörung nach.

Was wäre schließlich ein Mensch ohne seine Widersprüche? 

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Sie lieben gemütliche Cafés, selbst gebackenen Marillenkuchen – und Krimis mit drei bis sieben Leichen. Wie passt das zusammen?

Gar nicht. Was wäre ein Mensch ohne Widersprüche?

Hilft das Morden am Papier, um Ärgernisse des Alltags abzubauen?

Unbedingt!

In Ihren Krimis ermittelt Carla Bukowski, eine Inspektorin der etwas anderen Art. Sie mag Störche und Musik von Schönberg, kann Operetten nicht ausstehen und hat eine beste Freundin, die Channeling betreibt. Gab es für Carla Bukowski eine Vorlage, oder anders gefragt: Sollte es mehr Carla Bukowskis auf dieser Welt geben?

Eine Bukowski reicht völlig. Vorlage gab es keine. Nur ein Bild, einen Namen, einige Waldspaziergänge und Badewannenaufenthalte. Ergebnis: geschrumpelte Haut und eine spröde, seelisch angeschlagene Ermittlerin. Sie ist aber durchaus liebenswert, wenn man sie näher kennenlernt.

Sie ist ein echtes Original und sie hat es nicht gerade leicht. Sie muss schon einiges mitmachen, das richtig unter die Haut geht. Wissen Sie das schon, bevor Sie mit dem Schreiben eines neuen Buchs beginnen, oder lassen Sie das auf sich und Ihre Figur zukommen?

Vor dem Schreiben kommt das Planen. Ich skizziere einerseits die Figuren der Geschichte, andererseits den Plot und damit all das Furchtbare, das den Armen zustoßen wird. Aber so arm und machtlos sind sie gar nicht.  Manche schlagen zurück, indem sie ein Eigenleben entwickeln und die Pläne der Autorin boykottieren.  Sie gehen ganz einfach in die entgegengesetzte Richtung, was einerseits schön, andererseits arbeitsaufwendig ist. Bukowski ist so eine widerspenstige Figur. Sie ärgert mich in jedem Band. Sie ärgert mich auf ungesunde Art und Weise. Aber wir werden ja sehen, wer am längeren Ast sitzt …

Schicksalsschläge, Anti-Depressiva, ein Hang zu Kurzschlusshandlungen: Das klingt nach einem guten Cocktail für eine tragische Verbrecherkarriere. Ist es purer Zufall, dass Carla auf der Seite der Guten steht?

Menschen aus Fleisch und Blut haben die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden – zumindest mehr oder weniger.  Fiktive Figuren nicht, ihr Weg wird vom Autor, von der Autorin vorgegeben.  Bukowski hat also keine Wahl, sie muss  auf der Seite der Guten …  Oder? Wie war das mit dem Eigenleben und dem Hang zum Boykott? Na bravo. Jetzt haben Sie die Gute auf eine Idee gebracht – herzlichen Dank auch!

Wann überkam Sie der Drang, selbst einen Krimi zu schreiben?

Gar nicht. Ich will immer nur spannende Geschichten schreiben. Aber dann holt mich das Verbrechen ein. Und weil Verlage und Buchhandlungen von ordentlichen Menschen geführt werden und ordentliche Menschen eine Vorliebe für Schubladen haben, steht vorne meistens „Kriminalroman“ drauf.

Gibt es ein Autorenklischee, das Sie erfüllen?

Meinen Sie sowas wie: Autoren saufen, schlagen sich die Nächte um die Ohren, sind asoziale Nerds, warten ihr Leben lang auf die Idee und werden dann reicher als die Queen? Liebe Frau Kindl-Eisank, ich schweige vielsagend.

Haben Sie einen Büchertipp für uns? Es muss kein Krimi sein.

Wie wär’s mit einem Klassiker? Otfried Preußler: Der Räuber Hotzenplotz. Eine wunderbare Geschichte für junge und alte Kinder, in der es um den Raub und die abenteuerliche Wiederbeschaffung einer besonderen Kaffeemühle geht, und die man also auch in die Krimischublade stecken könnte. Man muss aber nicht!

Zu guter Letzt: Welche Bücher hätte Carla Bukowski auf Ihrem Nachtkästchen liegen, wenn sie Zeit zum Lesen hätte?

Da läge natürlich an oberster Stelle das Buch ihres verstorbenen Mannes Gregor Bukowski: Schönberg und seine geistigen Väter. Außerdem die Duineser Elegien von Rilke. Das hätten Sie ihr nicht zugetraut, was? Leider hat sie viel zu wenig Zeit zum Lesen.

Ach ja, und dann noch E. L. James: Fifty Shades of Grey. Was, echt jetzt? Bukowski auch? Tja, wieder so ein Fall von Ungehorsam gegenüber der eigenen Autorin. Zum Glück hat Bukowski wirklich keine Zeit zum Lesen!

Lena Avanzini liefert einmal mehr einen elektrisierenden Kriminalroman und entlarvt Seite für Seite, wozu eine gekränkte Seele fähig ist. Lernt die spröde Ermittlerin mit der düsteren Vergangenheit kennen und lest jetzt rein:

Nie wieder sollst du lügen
Auf sanften Schwingen kommt der Tod
Am Ende nur ein kalter Hauch

„Eine befreiend weite Welt“ – Auf dem Steyr-Puch-Waffenrad durchs Weinviertler Grenzland

Er braucht keinen Laptop, keine Täterprofile. Er blickt seinem Gegenüber genau in die Augen und weiß, was Sache ist. Simon Polts Ermittlungsmethoden haben nicht viel gemein mit den Segnungen der Forensik, des Profiling oder ballistischen Gutachten. Dass man im malerischen Pulkautal allerdings mit C.S.I.-Chic und Hightech- Kriminalistik nicht unbedingt weiterkommt, das musste bisher noch jeder Hauptstadt-Polizist einsehen, der in die Weinviertler Kellergassen beordert wurde. 

Hier kommt es auf andere Eigenschaften an, denn die Menschen, die Landschaft, die Luft, die Zeit – hier im Weinviertler Grenzland ist einfach alles ein wenig anders. Und so liegt es immer wieder am längst pensionierten Simon Polt, Verbrechen aufzuklären, von denen natürlich auch das idyllische Wiesbachtal nicht verschont bleibt.

Foto: © Michael Himmel, mit freundlicher Genehmigung der Initiative Pulkautal

Die Landschaft, in der sie leben ist den Menschen hier eingeschrieben – sie bevölkern „eine merkwürdig zeitlose Gegend, eine, die Gedanken das Fliegen lehrt, kein armseliger Hinterhof, sondern eine befreiend weite Welt, in der man nicht den Kopf heben muss, um in den Himmel zu schauen”. Im Gespräch mit Georg Hasibeder gibt Autor Alfred Komarek einen Einblick in die zeitlose Welt des Weinviertels. Wo man sich in der Stille der Weinkeller in einer anderen Dimension wähnt als übertags, und die Hauptstadt Wien so unendlich weit weg zu sein scheint.

Auf dem Waffenrad durchs Grenzgebiet – kommt mit auf eine Erkundungsreise durchs Wiesbachtal.

Das vollständige Gespräch ist in der neuen Taschenbuchausgabe von „Alt, aber Polt” enthalten.

Das nördliche Weinviertel war immer schon eine Grenzregion – wenn Simon Polt über die Feldwege oder durch die Kellergassen geht oder auf seinem alten Steyr-Puch-Waffenrad fährt, dann hat er die Grenze zu Tschechien meist in Sichtweite. Inwieweit hat diese Grenzlage die Menschen und das Leben geprägt?

Das Hügelland des Weinviertels ist von seinem Wesen her weit und offen, nicht dafür geeignet, zu umfangen, zu schützen und zu bergen. Was immer ins Land kommt, hat Wirkung, nur Veränderung hat Bestand – und das gilt auch für die Grenze. Lange Zeit war sie nicht viel mehr als ein Gartenzaun zwischen zwei Ländern der Habsburgermonarchie, blieb auch nach deren Zerfall weitgehend durchlässig. Erst mit dem Zweiten Weltkrieg begann ihre zunehmend radikale Aufrüstung. Für Polt war das Leben am „Eisernen Vorhang“ viele Jahre lang Alltag. Als dann innerhalb weniger Tage die Welt neu geordnet wurde, bedeutete das für das Weinviertel nicht nur Gutes. Als Gendarm musste Polt erleben, wie die neue Freiheit auch als willkommenes Spielfeld für die Kriminalität wahrgenommen wurde – nachzulesen in Polterabend, dem vierten Band. Das alles nährt die Überzeugung, dass angesichts der bewegten Vergangenheit und vieldeutigen Gegenwart die Zukunft mit wachsamer Skepsis zu erwarten sei. Argwohn, Vorsicht und Misstrauen gehören im Grenzland nun einmal zum Leben, aber auch die bedingungslose Bereitschaft zu helfen – weil man hier ja letztlich aufeinander angewiesen ist.

Was hat sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs geändert? Ist der Nachbar Tschechien ein Stück näher gerückt?

Vieles hat sich verändert – oder auch nicht. Das Weinviertel ist aus seiner Randlage in die Mitte Europas gerückt. Der Weinexport nach Tschechien läuft gut. Es gibt Zusammenarbeit über die Grenze hinweg, Tourismus in beiden Richtungen. Auf dem Polt-Weg, der – auch entlang der Grenze – Wanderern und Radfahrern die Schauplätze der Romane und die Drehorte der Filme näher bringt, sind deutlich mehr tschechische Gäste unterwegs.

Aus der aufgeregten, neugierigen, auch berechnenden Begegnung ist selbstverständliches Nebeneinander geworden, auch Miteinander, von Fall zu Fall. Aber die Grenze in den Köpfen gibt es noch immer. Kränkungen, Unrecht und Gewalt im Krieg, aber auch noch in den Jahren danach, sind nicht vergessen. Die Menschen hier lernen rasch, sich auf neue Gegebenheiten einzustellen, sie sind aber auch geübt im Wechselspiel von vernünftiger Nähe und sorgsamer Distanz.

„Die Leute hier mögen ihre Nachbarn von drüben nicht. Es hat auf beiden Seiten viel Unrecht gegeben, im Krieg und nachher“, sagt Simon Polt in Polt muß weinen. Gibt es dieses Misstrauen, diese Vorbehalte gegenüber dem tschechischen Nachbarn auch heute noch?

 Die älteren Menschen im Grenzland haben diese Vorbehalte noch immer, und halten sie mit zornigem Eifer am Leben. Die Jüngeren wollen eigentlich nichts mehr von all dem wissen. Immerhin gibt es jetzt ein paar Discos und Events mehr, die Leben in eine ereignisarme Gegend bringen.

Ein „Gefängnis, in dem es nicht mehr auszuhalten war“, „Eine Grenze mit Stacheldraht, Bodenminen, Scharfschützen. Eine Gegenwart ohne Zukunft. Menschen ohne Stolz und ohne Zuversicht.“ – so äußert sich Ingenieur Seidl über das Leben im Wiesbachtal. Hat er mit dieser Diagnose recht?

Er hat völlig recht, wenn man jene Zeit in den 1970er Jahren betrachtet, die Peter Seidl dazu trieb, anderswo sein Glück zu versuchen. Ich bin vor gut vier Jahrzehnten ins Pulkautal gekommen, weil es mir nicht gelingen wollte, in Wien heimisch zu werden. Für mich, der ich im Weinviertel zu Gast war, nicht um meine Existenz kämpfen musste, war diese schwere Melancholie faszinierend, eine Gegenwart, die in sich gefangen stillhielt, weil zu allem anderen die Kraft fehlte. Erst viel später habe ich erkannt, dass diese Lähmung dem Weinviertel jene Schätze unversehrt erhielt, die sich heute als großes Zukunftskapital dieses Lebensraumes erweisen: die ruhige, kraftvolle Kontinuität bäuerlichen Lebens und dessen althergebrachten, in dieser Form einzigartigen Schauplätze: Straßendörfer und Kellergassen im Einklang mit der Landschaft, in die sie klar und behutsam eingezeichnet sind.

Grenzland ist das nördliche Weinviertel nicht nur durch seine Nähe zur österreichisch-tschechischen Grenze. Grenzland ist es auch durch seine Lage an der Peripherie, knapp 75 Autokilometer von Wien entfernt und dennoch in der tiefen Provinz. Mit welchem Blick schaut man im Wiesbachtal auf die österreichische Hauptstadt?

 Seit jeher berührt es mich im Pulkautal, dem Wiesbachtal im Roman, eigenartig intensiv, wie weit entfernt, ja kaum existent hier eine Großstadt wie Wien sein kann. Hingegen empfinde ich beim Begriff „Provinz“ Unbehagen, weil er auch rückständig, kleingeistig und eng meint. Das Weinviertel ist aber keine gestrige, sondern eine merkwürdig zeitlose Gegend, eine, die Gedanken das Fliegen lehrt, kein armseliger Hinterhof, sondern eine befreiend weite Welt, in der man nicht den Kopf heben muss, um in den Himmel zu schauen.

„Ich habe Menschen kennengelernt, die vor der betäubenden Wucht der Stille im Weinkeller panisch geflohen sind, zurückgeworfen auf ihr unverstelltes Selbst.”

Gerade das städtische Publikum hat die Weinviertler Provinz in den letzten Jahren neu für sich entdeckt: Als charmanten Gegenentwurf zur modernen, hektischen Stadt, als Projektion einer ersehnten und erhofften Authentizität. Was bedeutet diese Entwicklung für das Weinviertel, welche Chancen und welche Risiken birgt sie in sich?

Wenn schon Provinz, dann unter anderen Vorzeichen, und charmant lasse ich schon gar nicht gelten. Ich habe Menschen kennengelernt, die vor der betäubenden Wucht der Stille im Weinkeller panisch geflohen sind, zurückgeworfen auf ihr unverstelltes Selbst. Vermutlich üben sie inzwischen wieder hektisch urbanes Chillen. Der Direktor einer internationalen Kette von Luxushotels gestand nach ein paar Ewigkeiten vor dem Presshaus und unter dem Nussbaum, dass dieser Luxus in seinen Fünf-Sterne-Häusern leider, leider um kein Geld zu haben ist.

Als Gegenentwurf zur großen Stadt lasse ich das Weinviertel aber sehr wohl gelten, als Anderswelt: verstörend, bereichernd, ein ebenso forderndes wie hilfreiches Umfeld für die Reise zu sich selbst.

Zu den Risken: Ich sehe schon die Entdecker nahen: kluge Leute, die im Weinviertel verborgenes Potential mit unwiderstehlichen Alleinstellungsmerkmalen erkennen. Diese wortreichen Propheten werden dann unendlich einfühlsam und wissend das Weinviertel zu Tode lieben: als Marke abseits gängiger Marken, die es nun zu profilieren gilt: noch spröder der Reiz, noch stiller die Stille, noch rustikaler das Bauernland, insgesamt alles noch echter als echt. Und durch die Dörfer radeln Polizisten, verkleidet als Gendarmerie-Inspektor Polt.

Alfred Komarek: Alt, aber Polt

Auf eine andere Form von Grenze als jene zwischen Österreich und Tschechien, zwischen Großstadt und Land, auf eine unsichtbare Grenze nämlich ist Polt während seiner Zeit in Uniform immer wieder gestoßen – eine Grenze, die die Dorfgemeinschaft zwischen sich und dem Gendarmen gezogen hat: Er war respektiert, anerkannt, durfte manchmal auch hineinschauen in den inneren Kreis dieser Gemeinschaft, Teil von ihr war er aber nie. Nun, in Alt, aber Polt, hat man das Gefühl, Simon Polt gehört nun doch ganz dazu: als Gemischtwarenhändler, Wirt und Weinbauer im Kleinen. Wann hat Polt endgültig Zutritt erhalten?

Natürlich gehört Polt dazu. Es muss sich niemand mehr vor seinem Beruf fürchten, und eine anständige Familie hat er ja auch zuwege gebracht. Aber die Grenzen um ihn sind neu gezogen: Rund um Polt, den Gemischtwarenhändler, dem seine liebenswerte Enklave noch für eine Weile gegönnt ist, um Polt, den Wirt, den man als sehr nützliches Kuriosum gerne leben lässt, und um den privaten Polt, der alt geworden ist und somit sachte an den Rand rückt, dorthin, wo er unter seinesgleichen ist, und sich hoffentlich nicht in Dinge einmischt, von denen er nichts mehr versteht.

Das vollständige Gespräch findet ihr in Alfred Komareks neuestem Polt Krimi „Alt, aber Polt”. 

Simon Polt ermittelt übrigens bald wieder auf euren Fernsehschirmen: „Alt, aber Polt” wird verfilmt, unter anderem mit Erwin Steinhauer und Iris Berben in den Hauptrollen.

Tanzen auf dem Drahtseil, weil sie den Abgrund liebt:  Doris Gercke hat mit Milena Proháska eine außergewöhnliche Krimifigur geschaffen.

Mit der Gefahr spielen – das ist bei Milena Proháska mehr als wörtlich zu nehmen. Die Protagonistin von Doris Gerckes neuesten Krimis mag es nicht gern kuschelig. Und nimmt dafür in Kauf, dass ihr Leben ein ständiger Drahtseilakt ist.

Kiew – hier ist Milena in ihrem neuesten Fall unterwegs.

Milena Proháska ist eine kluge Frau, die keine Konfrontation scheut. Für ihre Ziele und Werte geht sie aufs Ganze und setzt dabei nicht nur ihren Intellekt, sondern auch ihre weiblichen Vorzüge ein. Sie weiß mit Menschen umzugehen und kann sie mit den richtigen Worten und Handlungen dazu bringen, ihr buchstäblich aus der Hand zu fressen. Aber woher kommt diese Frau, die nicht unbedingt immer Sympathieträgerin ist, doch zugleich auf ihr Umfeld eine faszinierende Anziehungskraft ausübt? Und wer ist sie eigentlich?

Die selbstbewusste Juristin und das Spiel mit dem Feuer

Autorin Doris Gercke, Foto: © Deff Westerkamp

Milena Proháskas Eltern stammen ursprünglich aus Prag, sie sind 1968 aus Tschechien emigriert. Ihre Tochter, eine junge Frau voller Elan, mit wilden, roten Haaren, intelligent und schön wird Rechtsanwältin, besessen davon, die Welt ein wenig besser zu machen. Sie steigt schnell auf in die Riege der Star-Juristen Hamburgs und vertritt selbstbewusst die Interessen ihrer Klienten. Dafür sind ihr viele Mittel recht. In „Milenas Verlangen“, dem ersten Kriminalroman um die schöne Juristin, reist sie dafür sogar an die französische Côte d’Azur. Die Reise entpuppt sich schnell als gefährliche Sackgasse, aus der sich Milena jedoch aufgrund ihrer Gewitztheit gerade noch retten kann. In Hamburg wartet schon der nächste aufsehenerregende Fall, der Milena nicht den Kragen, aber den Kopf kostet. Milena  fordert nämlich nicht nur die Rechte ihrer Mandanten, sondern auch die Erfüllung ihrer eigenen Wünsche – auch erotischer Natur – mit Nachdruck ein. Dabei fällt es ihr immer schwer, Berufliches von Privatem zu trennen, was sie letztlich in „Beringers Auftrag“ um ihre Karriere als Anwältin bringt.

Wo es wehtut. Der neue Kriminalroman rund im Milena Prohaska.

Milena in Kiew – zwischen Nobelbordell und Bundesnachrichtendienst

Milena wäre aber nicht Milena, wenn sie nicht einen Ausweg aus ihrer misslichen Lage fände. Ihr Weg führt sie schließlich nach Kiew, dem Schauplatz des neuesten Krimis „Wo es wehtut“. Dort arbeitet sie für den deutschen Bundesnachrichtendienst. Offiziell betreibt sie ein Nobelbordell, und das aus gutem Grund. Die ranghohen Männer vertrauen ihre Geheimnisse nämlich gern in rührseligen und betrunkenen Momenten ihren Mätressen an. Leichtes Spiel für Milena? Mitnichten. Denn sie wird verdächtigt, auch für Russland zu arbeiten. Als sich im Ukraine-Konflikt die Fronten verhärten, gerät auch Milena immer mehr zwischen die Mühlen …

Doris Gercke wird nicht umsonst als Grande Dame des politischen Krimis bezeichnet. Mit Milena Proháska hat sie eine Figur geschaffen, die psychologischen Tiefgang besitzt und sich geschmeidig wie eine Katze zwischen den politischen Hotspots der Welt bewegt.

Gut gebrüllt, Panther! André Pilz hat einen schonungslosen Kriminalroman geschrieben

André Pilz ist einer, der Randfiguren eine Stimme gibt. Sein neuer Kriminalroman spielt „ganz unten“, nämlich in der Drogendealerszene einer deutschen Großstadt. Tarik, ein sympathischer Underdog und Kleinkrimineller, gerät in Schwierigkeiten, als er sich von der Polizei überreden lässt, in eine vermeintliche Terrorzelle eingeschleust zu werden.

„Heftig, ehrlich und ohne Tabus.”
WDR, Lina Kokaly

„hoch engagiert, voller Kraft und Leidenschaft”
WDR, Ulrich Noller

„Bei aller Härte und Spannung gelingt André Pilz in ‚Der anatolische Panther‘ das sensible Porträt eines türkischstämmigen Outsiders. (…) Zudem erzählt André Pilz respektloser, ja mutiger vom Treiben salafistischer Seelenfänger hierzulande als man es in den üblichen Konvertitengeschichten hausbackener Krimikonfektion bislang gelesen oder gesehen hat.”
Deutschlandfunk, Ralph Gerstenberg

„Der anatolische Panther ist nicht einfach nur ein spannender, authentischer Kriminalroman, dem das seltene Kunststück gelingt, den Finger auf die Stelle zu legen, an der man den Puls der Zeit tatsächlich fühlen kann.”
culturmag.de, Alexander Roth

„In diesem Krimi geht es um mehr, um mögliche Mittel zur Verhinderung von Gewalt.”
Der Freitag, Eva Erdmann

„Andre Pilz versteht es, Figuren zu erschaffen, die leben.”
ORF, Anette Raschner

„ein mit Sympathie für seine Figuren erzählter Kriminalroman, verknüpft mit einer wunderbar altmodischen Liebesgeschichte.”
Die Presse am Sonntag, Peter Huber

Kein Supermann, kein sauberer Held

Tarik ist einer, den man spontan mag, ein kleiner Gangster mit großem Herz. Sein Schöpfer André Pilz beschreibt ihn so: „Tarik kifft gern, trinkt gern, feiert gern, liebt Fußball, Frauen, das ist ein junger Mann wie 1000 andere auch. Tarik hat ein gutes Herz, baut aber verdammt viel Scheiße. Auch das unterscheidet ihn nicht von vielen anderen jungen Männern. Tarik gibt sich tough, hat aber ganz romantische Träume von der großen Liebe, auch sein Mut ist nicht immer gar so übergroß, aber wenn es um die Fixpunkte in seinem Leben geht – die Liebe zu seinem Großvater, seinen Freunden, seiner Freundin und auch Gott, dann wächst er über sich hinaus, dann ist er bereit, alles zu riskieren und zu geben.“

Auf die Frage, warum er seinen Protagonisten im Umfeld von Migration und Zuwanderung angesiedelt hat, berichtet Pilz, es habe ihn gereizt, seine Erfahrungen mit türkischstämmigen Freunden in einen Roman zu packen und auf diese Weise einen Helden zu schaffen, der „ein wenig anders“ ist als die meisten anderen.

Die Idee zu Tarik kam Pilz, weil Schüler sich in Gesprächen immer wieder so begeistert von der Figur Shane in dem Roman „Man Down“ zeigten, der einen ähnlichen Hintergrund hat wie Tarik. So entstand „ein Held oder Antiheld, der auf gewisse Art cool, liebenswert ist, aber auch schlimme Dinge tut.“

Mehr oder weniger unverschuldet ist Tarik nämlich in eine Abwärtsspirale geraten, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt. Bei seinem Vorstrafenregister ist es für die Polizei ein Leichtes, ihn zu erpressen, für sie als Spitzel zu arbeiten. Doch damit gerät Tarik in größte Gefahr, denn der „Derwisch“, ein radikaler Prediger, der in Verdacht steht, Kopf einer Terrorzelle zu sein, ist niemand, mit dem man sich anlegen sollte.

Harte Worte für eine harte Realität – erschütternd wie ein Vorschlaghammer

„Die Protagonisten sind nicht im gutbürgerlichen Milieu verortet“, so Pilz, „das sind auch keine Studenten oder Bankangestellten, das würde nicht passen, wenn sie anders sprechen würden, als sie das tun. Ich würde nie behaupten, die Wirklichkeit widerzuspiegeln, aber ich versuche, eine gewisse Problematik auf den Punkt zu bringen mit den Geschichten, die ich erzähle. Mich interessieren ja grundsätzlich fast ausschließlich Kriminalromane mit lebendigen Figuren, deren Geschichten auch ein gewisses Milieu gut darstellen. Alles andere fesselt mich nur selten.“ Und lebendig sind sie, die Figuren im „Anatolischen Panther“, greifbar fast, authentisch, echt.

Und da sie eben keine Bankangestellten sind, sondern Kleinkriminelle, Dealer und Arbeitslose, da sie aus jenen Schichten stammen, die oft nicht gehört werden, leiht André Pilz ihnen seine Stimme.

„Es gibt im deutschsprachigen Raum – so finde ich – viel zu wenig Geschichten, die sich da ‚unten‘ abspielen. Deshalb habe ich ja auch überhaupt angefangen, ernsthaft zu schreiben. Ich hatte das Gefühl, dass diese gefeierten Popliteraten im deutschsprachigen Raum damals – Christian Kracht oder Stuckrad-Barre etwa – nichts mit meinem Leben und vor allem dem Leben meiner Bekannten und Kumpels zu tun hatte. Ich war damals regelmäßig im Stadion, hing mit Leuten ab, die arbeitslos waren oder schon damals zwei bis drei Jobs hatten und doch am Monatsende pleite waren. Die von etwas träumten, von einer Wende im Leben, von der jeder wusste, dass sie nicht kommen würde.

Was hatten die mit Cabriofahren auf Sylt oder Bussi-Bussi hinter der Bühne bei Harald Schmidt zu tun? Nicht falsch verstehen – diese Bücher können auch großartig sein, aber zu jener Zeit wollte ich nur eins: Mit dem Vorschlaghammer diese Popliteratur zerschmettern und was Neues aufbauen.“

Rausch und Wahrheit – Wahn und Sinn

Der Rausch ist ein zentrales Element des „Anatolischen Panthers“. Der Rausch, mit dem Tarik immer wieder seiner Realität entflieht. Der Rausch, der den Leser packt, wenn er atemlos über die Seiten fliegt. Für André Pilz ist auch das Schreiben eine rauschhafte Erfahrung: „Wenn es richtig gut läuft, kann das Schreiben ein Rausch sein, ja. Und es gibt für mich auch nur wenig, das schöner ist, als zu schreiben, bei guter Musik, bei einem guten Kaffee oder Bier, wenn man merkt, die Figuren werden lebendiger, klarer, die Dialoge passen, die Geschichte ist auf einem guten Weg.“

Und rauschhaft ist auch der Wahn, in deren Fahrwasser sich die Anhänger des Derwischs befinden. Deutlich hallen hier aktuelle Nachrichten wieder, Nachrichten von Gewalt, Hass und Terror. Und von ideologischer Verblendung. „Wir leben in einer irren Zeit. Viele Menschen pfeifen auf Fakten, glauben nur das, was sie glauben wollen, was in ihr Weltbild passt, das leider allzu oft schwarz-weiß ist. Ist eine Unwahrheit bewiesen, brüllt man sie noch lauter, irgendwer wird sie schon fressen, und ja, jeder Mist wird heutzutage gefressen, garantiert. Man darf sich deshalb auch nicht wundern, dass auf Basis von Verschwörungstheorien und Schwurbeleien, von Schwarz-Weiß-Bildern und simplen Gut-Böse-Mustern es Hassprediger so leicht haben, und ich meine damit nicht nur die islamistischen.“

 

 

Ein brisanter Kriminalroman ist es, den André Pilz vorlegt, emotional, fesselnd und direkt am Puls der Zeit. Das literarische Ausnahmetalent nimmt dich mit auf eine atemlose Verfolgungsjagd und in den Kampf eines Kleinkriminellen um seine eigene Zukunft.

Alle Infos zum Buch gibt es hier.

Leseprobe: „Der König der Schweine” von Manfred Rebhandl

Kitty Muhr wiegt ein bisschen mehr als ein durchschnittliches Magermodel, und sie ist auch sonst aus gröberem Holz geschnitzt. Sie raucht und trinkt und flucht, und sie mag Kerle. Richtige Kerle. Solche mit Haaren und keine Sackrasierer.
Mit ihrer Polizeikarriere geht anfangs ebenso wenig weiter wie mit der lange ersehnten großen Liebe. Barkeeper Johnny aus der Bingobongobar, wo sie nahezu ihre gesamte Freizeit verbringt, ist es jedenfalls nicht. Dabei ist er groß, stark behaart und extrem männlich.

Manfred Rebhandl, Foto: Kurt Michael Westermann

Ja, Kitty hat es nicht leicht als einzige Frau in ihrer Abteilung und mit einem zerknitterten Boss („sein Gesicht? Jemand musste einer alten Elefantenkuh den Arsch abgezogen und ihm dort hingeklebt haben”) mit dem Wesen eines grummeligen, schlecht gelaunten, stark behaarten Arschlochs.

Doch die unerschütterliche Ermittlerin weiß sich zu helfen, mit ungebrochenem Selbstvertrauen sagt sie Rauchverboten, Dresscodes und verschlossenen Türen den Kampf an – auch in ihrem aktuellen Fall:

„Der König der Schweine”

Ich war Bulle bei der Wiener Kriminalpolizei, Abteilung Gewaltverbrechen inklusive Mord. Wir waren zuständig für den Westen, und unsere Abteilung war im fünften und letzten Stock eines desolaten Gebäudes in der Tannengasse hinter dem Westbahnhof untergebracht, zusammen mit dem Meldeamt, dem Passamt und dem Amt zur Ausstellung von Führungszeugnissen. Ein Gemischtwarenladen der Verwaltung also, und mittendrin wir.

Die meiste Zeit saß ich hier einfach nur meine Dienste ab: dreimal Nacht, zweimal frei, dreimal Tag, zweimal frei. Und so weiter. Aber besonders die Nachtdienste setzten mir immer mehr zu, weil ich dabei völlig außer Tritt kam. Es ruinierte meine Verdauung, wenn ich so unregelmäßig arbeitete und wenig schlief. Und wenn ich nicht arbeitete, dann schlief ich eben auch nicht, sondern lag wach herum und machte mir so ein paar Gedanken darüber, warum ich so oft alleine schlief. Oder ich saß bei Johnny in der Bingobongobar auf einem Hocker, hielt mich an einem Glas fest und starrte ins Leere, bis ich pinkeln musste. Hinten raus aber ging bei mir am Klo oft tagelang gar nichts mehr, obwohl ich wirklich nicht zu wenig aß. Vielleicht sollte ich auch einfach etwas anderes essen, und nicht immer nur dieses fettige und süße Zeug zwischendurch, das ich, je länger ich hier arbeitete, desto dringender benötigte. Es war nämlich das Einzige, was mich hier irgendwie glücklich machte.
Klar, hin und wieder hatte ich auch was zu tun. Dann kriegte ich einen Fall auf den Tisch, so wie die Aushilfskraft in der Küche, die Kartoffeln zum Schälen kriegt, oder die Zahnarzthelferin, die den Schlauch fürs Absaugen halten darf. Bei mir war es meistens ein betrunkener Pole oder so was in der Art, der von seinen saufenden Kumpanen im Park abgestochen worden war, und ich sollte dann herausfinden, wer es getan hatte und warum. Als wollte man mir damit sagen: Wenn du es schaffst, diesen Fall zu lösen, dann hast du schon sehr viel geschafft, Kitty!

Die Typen hier hatten irgendwie ein Problem mit mir, und ich mit ihnen.

Ich musste zur Lösung solcher Fälle nur die Überwachungskameras öffentlicher Plätze auswerten, ein paar Zeugenaussagen einholen und in Notquartieren nachfragen, ob dort einer fehlte. Und dann organisierte ich meistens noch die Beerdigung am Friedhof der Namenlosen, ich ertrug es nämlich irgendwie nicht, wenn sich niemand um die Toten kümmerte. Ich war ja nahe am Wasser gebaut, obwohl ich Judo konnte. Judo, nicht Yoga. Ich fragte mich oft: Was ist denn das für eine Welt? Du lebst, du stirbst, und dann vermisst dich niemand? Kein Papa, keine Mama, keine gesamte Verwandtschaft? Wo sind denn all die Freunde hin, die doch nach einem fragen müssten? Überall liegen sie herum, die keiner mehr haben will, mit denen niemand mehr etwas zu tun haben möchte, um die sich keiner mehr kümmert. Kommt ja immer häufiger vor! Einer weniger von denen? Ist doch scheißegal. Hundert weniger? Noch besser!

So dachten und redeten jedenfalls meine Kollegen, die allesamt Männer waren und mit denen ich die ganze Zeit zu tun hatte. Und wenn ich so einen Fall dann zu den Akten legte, hörte ich sie auf den Gängen über mich reden: „Das hat sie gut gemacht, die Muhr! Wirklich sehr gut!“ Als hätte ich mir das erste Mal die Schuhe richtig zugebunden. Und als würde ich dafür Lob verdienen!

Daran war ich natürlich selbst schuld. Ich wollte ja unbedingt einen Job haben, in dem ich mit Kerlen arbeiten konnte, denn ich mochte Kerle. Ich mochte richtige Kerle wie Johnny aus der Bingobongobar, oder welche, die tagsüber Straßen asphaltierten und nachts schwere Autos fuhren. Solche mit Haaren auf der Brust und keine Sackrasierer. Aber am Bau wollte man mich nicht haben, und zum Asphaltieren hatte ich keine rechte Lust. Also blieb mir am Ende nur die Polizei, Abteilung Gewaltverbrechen inklusive Mord. Wie aber hatte ich jemals glauben können, dass mir das Spaß machen würde

Schnell wurde mir nämlich klar, dass es bei den Bullen keine richtigen Kerle gab, sondern nur Typen mit echten Problemen. Oder mit schweren Defiziten, wie man heute auch sagt, wenn einer mit sich und der Welt überhaupt nicht mehr zurechtkommt. Die meisten Bullen fingen irgendwann an zu trinken, nahmen Tabletten oder irgendwelche anderen Drogen und starben mit neunundfünfzig, knapp bevor sie in Pension gehen konnten. Sie flüchteten sich vor ihren Problemen in eine Bar, setzten sich auf ihren Hocker und bestellten ein Glas, an dem sie sich festhielten, und dann starrten sie ins Leere, bis sie pinkeln mussten. Dabei dachten sie, sie wären so was Ähnliches wie Superman, hatten aber in Wahrheit Angst vor allem, was auf zwei Beinen herumlief, und am meisten natürlich vor Frauen. Männliche Bullen hielten einfach nichts von Frauen in ihren Reihen, aber noch weniger hielten sie von Ausländern, die sie verallgemeinernd Kameltreiber oder Kümmeltürken nannten. Oder eben Bimbos, wenn sie halt ganz schwarz waren.

So wie der, wegen dem mein Boss vorhin rausgegangen war: „Hier hängt einer im Wald!“, hieß es. „Ein junger Schwarzer! Er ist tot!“ Das war der Inhalt eines aufgeregten Anrufs, der mich vor einer Stunde erreichte. Es waren Wanderer, die den Toten entdeckt hatten, eine so genannte Jungfamilie in einem Naherholungsgebiet westlich der Stadt. Die Überraschung war groß bei den süßen Kleinen, denn einen Schwarzen hatten sie zuvor vielleicht noch nicht so oft gesehen in ihrem Leben, und ein Schwarzer hing in dieser Gegend schon gar nicht so oft im Wald herum. Wobei die Frage war, was sie mit „hängen“ meinten.

Die vielleicht wichtigere Frage aber war: Ein toter Schwarzer? In einem Wald westlich der Stadt? Das hatten wir letzte Woche schon mal, und ich musste den Bericht tippen: Arbeiter hatten die Leiche da draußen im Auffangbecken eines kleinen Wasserkraftwerks mit einer vielleicht zehn Meter hohen Mauer gefunden. Jemand hatte das Opfer mit Klebeband an einem Mountainbike festgebunden, an Armen und Beinen, und dann über die Böschung hinunter ins Wasser gestoßen. So ungefähr
musste es sich zugetragen haben. Der toxikologische Befund hatte ergeben, dass der Tote voll mit Amphetaminen war. Seine Leiche war grotesk aufgeschwemmt nach den vielen Tagen, die er da unten im Wasser getrieben war, und seine schwarze Haut war beinahe vollkommen bleich. An seinen Fingerkuppen befand sich praktisch keine Haut mehr, weil sie ihm die Fische abgefressen hatten. Und als man seine Hände vom Bike löste, fand man in der rechten ein kleines Schweinchen, so eines, wie man es zu Silvester verschenkt. Jemand hatte es ihm da reingetan, bevor er ihm die Hand am Lenker festgebunden hatte. Es war klar, dass man es finden sollte, weil es wohl eine Art Botschaft war. Aber welche?

Ich war nicht der Typ, der gerne in den Wald ging, also informierte ich meinen Boss, der schon den ersten Fall übernommen hatte. Sagte ihm, dass ich ein kleines Mädchen sei und er ein großer, starker Mann, und der Wald etwas für ihn und nicht für mich. Ich wollte nämlich lieber hier bleiben und weiter im Internet surfen (Kategorie „Autsch!“), mir die Nägel feilen und mit Susi telefonieren. Ein bisschen Nägel feilen, ein bisschen surfen, dazu rauchen und Kaffee trinken und, wenn es sich ergab, mit meiner Freundin Susi telefonieren – das stand bei mir auf dem Programm, wenn hier gar nichts los war. Das Feilen der Nägel beruhigte meinen Geist, während das Surfen mich in Stimmung brachte und Susi mich auf dem Laufenden hielt. So wie heute Morgen, als sie mir sagte, dass der eine Sternekoch immer in das Essen der zwei schwulen Schauspieler spuckte, bevor er es ihnen servieren ließ, weil er Schwule angeblich nicht leiden konnte. Angeblich! Das war das Wichtigste überhaupt gewesen, wegen dem sie mich angerufen hatte.

Nun rief Bonner aus dem Wald heraus an, von dort, wo man die Leiche gefunden hatte. Der Empfang war schlecht, aber noch schlechter war seine Laune. Mein Boss war nämlich irgendwie auch nicht der Wald-Typ, wie sich herausstellte, dort kannte er sich nicht aus, und es gab dort keine Bar, wo er sich hinsetzen und ins Leere starren konnte, bis er pinkeln musste. Und immer, wenn er sich irgendwo nicht auskannte, rief er mich an, das war so eine Angewohnheit von ihm. Außerdem war er einsam, das kam erschwerend hinzu, und er hatte wohl so ein Gefühl, dass ich es auch war. So falsch lag er damit gar nicht. Aber wie immer, wenn zwei miteinander reden wollten, die einsam waren, musste erst einer das Gespräch in Gang bringen, sonst klappte das nicht. Ich fragte: „Was ist, Boss? Geht’s Ihnen grad nicht gut?“

„Sei froh, dass du nicht sehen musst, was ich gerade sehe!“

Dass er alle mit Du anredete, die ihn umgekehrt mit Sie anreden mussten, das hatte er sich angewöhnt, als die Zeiten für ihn noch besser waren und seine Glocken noch etwas höher hingen.

„Der hängt da verkehrt herum an einer Leine“, sagte er, und ich fragte: „Wie? An einer Leine?“

„Die Leine ist zwischen zwei Bäumen im Abstand von vielleicht zehn Metern gespannt. Über einer Senke, die vielleicht drei Meter tief ist. Hast du das ungefähr vor Augen?“

„Ja, ich denke schon.“

„Dann sag mir, wie man das nennt, was diese jungen Leute heute in den Parks oft machen, wenn sie auf so einer Leine herumbalancieren?“

Ich schloss mein „Autsch!“-Fenster, zog den Stick heraus und sagte: „Slackline?“

Er sagte: „Sicher? Na okay, dann halt Slackline.“

Ich hatte so etwas schon mal im Fernsehen gesehen, denn nachts, wenn ich nicht schlafen konnte – und ich konnte selten schlafen –, schaute ich mir solche Filme an: über Segelboote, die um die Erde segelten; oder über Fallschirmspringer, die von oben herabsprangen; oder eben über solche Typen, die ihre Leine zwischen zwei Hochhäuser oder zwei hohe Felsen spannten und dann da drauf herumbalancierten, über Abgründen, die hunderte Meter tief waren, und so locker, als gingen sie darauf spazieren. Das waren schon die irrsten Typen! Manche machten es mit einem Sicherungsseil um den Knöchel, manche gingen aber auch ohne. Sie brauchten irgendwie diesen Kick, vielleicht, um dann besser schlafen zu können. Mit gutem Sex alleine schoss man sich heute nirgendwo mehr hin. Ich sagte: „Aber hören Sie, Boss: Diese Leinen sind im Park immer nur einen Meter oder so über dem Boden gespannt. Sie aber sagten, da geht es in eine Senke hinunter?“

„Ja.“

„Und darüber ist die Leine gespannt?“

„Ja. Er baumelt hier ziemlich genau in der Mitte der Senke an dieser Leine, bis dahin muss er balanciert sein. Um seinen rechten Fuß ist eine Sicherungsleine befestigt, die mit einem Karabiner an dieser Slackline geführt wird. Seine Arme hängen einen halben Meter über Grund. Jemand muss ihm gegen den Kopf geschlagen haben. Kennst du diese Geburtstagsfeiern, wo Kinder gegen Säcke schlagen, aus denen dann Süßigkeiten herausfallen?“

„Ja. Wo ist es?“

Er seufzte tief und resigniert, bevor er antwortete: „In der Nähe des Kraftwerks.“

Ich fragte: „Dann ist es eine Serie?“

Er sagte: „Ich bitte dich!“

„Wie lange hängt er dort schon, was meinen Sie?“

„Sicher ein paar Tage. Ich wünschte, es war ein Unfall.“

Ich lachte: „Im Ernst, Boss? Lassen Sie mich überlegen. Ein Schwarzer im österreichischen Bundesforst alleine mit einer Slackline? Ist es irgendjemandem aufgefallen, dass das schwarze Jugendliche in jüngster Zeit öfter machen? Sich ein einsames Plätzchen suchen und dort herumbalancieren? Und sich dann selbst den Schädel blutig schlagen, sobald sie das Gleichgewicht verloren haben? Oder sich an Mountainbikes festbinden und dann in einen See hineinfahren?“

„Warum nicht?“, sagte Bonner gereizt, bevor er wieder auf sein Lieblingsthema zu sprechen kam: „Sie sind doch mittlerweile überall!“

Schwarze. Bimbos. Neger. Es gab wenig, was Bullen mehr aufregte als diese Gruppe von Menschen, von denen sie sich einbildeten, dass sie immer mehr wurden. Dass sie uns überschwemmen würden. Dass wir wegen ihnen bald nicht mehr Herr  im eigenen Land sein würden. Wahrscheinlich schauten sich Bullen im Internet diese einschlägigen Seiten an, die auch ich mir gespeichert hatte: monstercocks.com oder bigblackcocks.com. Anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie solche Angst vor ihnen hatten und sich ihnen so dermaßen unterlegen fühlten.

„Moment“, sagte Bonner. „Da klebt ein Fünfzig-Euro-Schein an dieser Leine.“ Er atmete schwer, und ich konnte hören, wie er im Gras herumging. Wie er sich dabei eine Zigarette anzündete. Und wie er einen Schluck aus seinem Flachmann nahm. Dann sagte er: „Und hier klebt wieder so ein Schweinchen! Was soll der Scheiß überhaupt?“

Er legte auf.

Manfred Rebhandl: Der König der Schweine

 

Wir können uns Krimi-Star Thomas Raab nur anschließen, wenn er sagt:

»Manfred Rebhandl rockt. Im Grunde kenn ich keinen, der so unverblümt schreibt, ehrlich, mutig, grad raus – und irrsinnig komisch! Rebhandl war für mich schon Kult, da hab ich noch gar nicht selber ans Schreiben gedacht, und ich kann nur sagen: LESEN!«

⇒ Und zwar am besten gleich hier.

 

Anständig unanständig, enorm komisch und alles andere als politisch korrekt – wenn Kitty Muhr ermittelt, geht es nicht zimperlich zu! Wenn die unerschütterliche Amy Shumer der Kripo Wien die Bühne betritt, heißt es Köpfe einziehen und unauffällig abtreten. Denn diese Frau kann Judo! Judo, nicht Yoga!

Die ganz große Hundeliebe – Tatjana Kruse in Höchstform

Batman hat Robin, Bonnie hat Clyde – und Pauline Miller hat Radames. Doch während der Proben zur Aufführung der „Turandot“ auf der Bregenzer Seebühne geschieht es: Ein brutaler Dognapper entführt Radames! Kein Wunder, dass Pauline außer sich ist, wird sie doch sonst auf Schritt und Pfötchentritt von ihrem Boston Terrier begleitet. Der gute Radames fällt zwar immer wieder spontan ins Delirium – er leidet an der Schlafkrankheit Narkolepsie und sinkt bei emotionalem Aufruhr sofort in tiefen Schlummer –, ist aber immer an Paulines Seite, stets bescheiden und stumm. Äh. Nun ja. Reden können Hunde eben auch nicht. Aber nun ist Radames trotzdem am Wort – denn Tatjana Kruse gewährt exklusive Einblicke ins Tagebuch des narkoleptischen Hundehelden.

Und den geneigten Leserinnen und Lesern sei verraten: Die Aufzeichnungen enden kurz vor dem Moment von Radames’ Verschwinden!

*Radames Miller, Ray of the Ridgebridge

Aus dem Tagebuch des Radames*

Bregenz am Bodensee, Tag 1

Das beste aller möglichen Leben, ich führe es! Mein geliebtes Frauchen hat mich heuer mit an den Bodensee genommen, was mir sehr entgegenkommt, weil ich doch am liebsten in stehende Gewässer pinkle. Wir wohnen in einer Villa mit vielen Säulen, die ich alle schon der Reihe nach markiert habe. Mehrmals. In letzter Zeit habe ich Probleme mit der Prostata, bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Ich darf frei im riesigen Garten herumlaufen. Und wir machen Bootsausflüge nach Bregenz, wo sie mir heute begegnet ist, die Liebe meines Lebens. Sie ist wunderschön, weiß wie der Schnee … und eine Schwänin. Also, ein weiblicher Schwan. Das wird zu hochgezogenen Augenbrauen und Gerede führen, schon klar, aber ich unterscheide nicht nach Rasse oder Religion. Jede Liebe hat ihre Berechtigung! Noch zeigt sich meine Schöne spröde, aber ich werde ihr Herz gewinnen, koste es, was es wolle! Frauchen hat mich schnöde weggetragen, bevor ich mich meiner Liebsten erklären konnte, aber wir sind ja immer mehrere Wochen an einem Ort, mir bleibt also noch genug Zeit für mein Werben. Sorgen mache ich mir keine. Bitte, man schaue mich nur an! Wer könnte auf Dauer schon nein zu mir sagen!

Meinen Liebeskummer konnte ich mit Würstchen im Schlafrock bekämpfen, die ich in einem unbeobachteten Moment von einem Silbertablett im Probenraum des Festspielhauses stibitzte. Bin heute nur zweimal narkoleptisch weggenickt. Das liegt womöglich an den Handauflegungen und Aromatherapiesitzungen dieses ominösen Hunde-Energetikers namens Simian, den Frauchen für mich angeheuert hat. Ich mag ihn nicht! Aber mich fragt ja keiner …

Bregenz, Tag 2

Ich bin heute auf dem Cover der Festspielzeitung. Mit roter Samtschleife um den Hals. Sexiest Terrier Alive, wenn ich das mal selber sagen darf! Ich wünschte, meine wunderhübsche Schwanenfrau könnte mich so sehen. Während mein Frauchen probt, geht ihr Papa mit mir ins Museum. Ich darf den Blindenhund spielen. Großer Spaß! Aber mir fehlt meine geliebte Schwanenprinzessin.

Sexiest Terrier Alive und Covermodel

Bregenz, Tag 3

Vereint, endlich vereint! Ich traute meinen Terrieraugen nicht, als ich sie heute bei der Morgenrunde am Bootshaus traf. Kann es etwas Schöneres geben als Liebe, die erwidert wird?! Sie dümpelte auf den leise plätschernden Wellen des Bodensees, ich lag direkt am Ufer und sah ihr in die liebreizenden, nachtschwarzen Knopfaugen. Und dann: Er war wunderbar – der erste Kuss. Hundeschnauze auf Schwanenschnabel: die pure Ekstase. Lasst es mich in die Welt hinausbellen: Ich liebe diesen Schwan!

Als meine Liebste dann gründelte und Popöchen übers Wasser hob, konnte ich nur noch hecheln. Wuff! Doch dann fiel ich vor Aufregung wieder ins narkoleptische Schlafkoma …

Und wie spektakulär es mit Radames am Bodensee weitergeht, erfahrt ihr in Tatjana Kruses neuem rabenschwarzen Pauline-Miller-Krimi „Glitzer, Glamour, Wasserleiche”.

Leseprobe: „Interview mit einem Mörder” von Bernhard Aichner

Atemlos, gnadenlos, schnell: jetzt testlesen! Der neue Krimi von Shooting-Star Bernhard Aichner.

Exklusiv! Gehören Sie zu den allerersten Lesern des neuen Krimis von Shooting-Star Bernhard Aichner! Der Autor der internationalen Bestseller „Totenfrau“ und „Totenhaus“ hat ein neues Buch geschrieben – und es wird Ihnen den Atem rauben. Kurze Sätze, überraschende Wendungen, geniale Dialoge: Der unverwechselbare Sog, in den Bernhard Aichners Bücher ziehen, machte ihn weltweit bekannt. Aber lesen Sie selbst …

Was bisher geschah: Ex-Fußballprofi Johann Baroni, der sich nach der Sportlerkarriere aufs Wurstbratgeschäft spezialisiert hat, eröffnet einen neuen Würstelstand. Doch mitten in dem ausgelassenen, festlichen Treiben fällt plötzlich ein Schuss – und Baroni sinkt zu Boden.

Sein bester Freund, der Totengräber Max Broll, ist völlig außer sich. Doch an eines kann er sich ganz deutlich erinnern: Er hat den Schützen gesehen! Dessen ist er sich sicher. Fink, den Max verdächtigt, scheint allerdings ein harmloser Tourist zu sein. Und niemand will Max glauben.

Als er den Mörder schließlich entspannt durchs Dorf spazieren sieht, verliert Max die Beherrschung und attackiert Fink auf offener Straße. Und nun beginnt sogar seine geliebte Stiefmutter Tilda, die Polizistin ist und Max bisher immer den Rücken gestärkt hat, an ihm zu zweifeln …

7

— Was du hier machst, hilft niemandem.
— Doch, Tilda.
— Ich habe ihn überprüfen lassen.
— Und?
— Er war es nicht, er hat nichts damit zu tun.
— Das kann nicht sein.
— Er ist nur ein Urlauber aus Wuppertal, ein harmloser Pensionist. Er ist zum Wandern hier.
— Nein, nein, nein.
— Doch, Max. Egal, wie oft du es noch sagst, er war es nicht. Egal, wie dumm du dich noch anstellst, es ist Tatsache, dass er nichts damit zu tun hat. Er war sehr hilfsbereit, hat uns sogar sein Zimmer durchsuchen lassen. Keine Waffe, kein Motiv, gar nichts. Es gibt keinen einzigen Grund, warum er getan haben sollte, was du ihm vorwirfst. Keinen.
— Doch, Tilda.
— Es reicht wirklich, Max. Die Kollegen haben Recht, du hast den Bogen überspannt.
— Ich habe es in seinen Augen gesehen, Tilda.
— Dass er ein guter Mensch ist, oder was? Das ist er nämlich, er hat keine Anzeige gegen dich erstattet.
— Warum nicht?
— Weil er seine Ruhe will. Er hat gesagt, dass er auch schon Dinge gemacht hat, die ihm nachher leidgetan haben. Du hast großes Glück, dass du an ihn geraten bist. Ein anderer würde dich durch Himmel und Hölle klagen.
— Irgendetwas stimmt hier nicht.
— Mit dir stimmt etwas nicht, Max. Dein Freund liegt im Krankenhaus, er braucht dich, und du führst dich hier auf wie ein kleines Kind. Dich kann man keine Sekunde lang allein lassen.
— Es ist traurig, dass du mir nicht glaubst.
— Soll ich dir sagen, was traurig ist, Max?
— Was?
— Dass du nicht erwachsen werden willst.
— Ich weiß, was ich gesehen habe.
— Und ich weiß, dass ich keine Lust mehr habe, ständig Feuerwehr für dich zu spielen. Das ist das Leben, Max, und kein Spiel. Du kannst nicht immer nur tun, was dein Bauch dir sagt.
— Doch, Tilda, das kann ich.

So gerne er sie hat. Er schiebt den Suppenteller von sich und steht auf. So gerne er sie überzeugen würde, er lässt es sein. Kurz umarmt er sie noch, dann geht er. Er muss sich alleine um die Sache kümmern, Tilda wird ihm nicht helfen, ihm nicht glauben, egal, wie laut er noch schreit, dass dieser Mann es war. Konrad Maria Fink. Ein Deutscher, Musiker im Ruhestand, ein Unschuldslamm. Ein Name wie ein Faustschlag. Fink. Was für ein abgebrühter Kerl, was für ein Lügner. Keine Anzeige gegen den Verrückten, der ihn verprügelt hat, keine Probleme mit der Polizei, kein böses Wort. Der Fink will seine Ruhe. Nur ein Tourist.

Max weiß, in welcher Pension er wohnt, er weiß, dass es da keine Vorstrafen gab in seinem Leben, mehr hat er aus Tilda nicht herausbekommen. Der freundliche Konrad Maria Fink hat sie an der Nase herumgeführt, hat alle glauben lassen, es sei Unsinn, was Max sagt. Sinnlose Gewalt, die er ablehne. Konrad Maria Fink hat nichts damit zu tun. Alle sind sich einig. Nur Max sagt etwas anderes.

Er besteht darauf. Weil dieses Bild nicht weggeht. Der Mann mit der Waffe. Konrad Maria Fink in Lederhosen, mit kariertem Hemd. Er war es. Und Max wird dafür sorgen, dass es die Welt erfährt. Tilda, die dämlichen Polizisten, die ihm fast den Arm gebrochen haben, Baroni. Er ist es ihm schuldig. Max wird sich darum kümmern, dass derjenige bestraft wird, der auf Baroni geschossen hat. Warum auch immer Fink es getan hat. Ob er ein Auftragsmörder ist, getarnt als Tourist, oder ein Fan, der in die Geschichte eingehen will, Max wird herausfinden, was dahintersteckt. Warum Baroni Schläuche im Mund hat, warum er nicht von alleine atmet und mit ihm Schnaps trinkt. Kein Wasser, sondern Schnaps. Vertraut mit seinem Freund. Betrunken, umarmt, bald wieder. Max betet dafür, jede Sekunde, in der er an ihn denkt. Bald werden sie die Gläser wieder gemeinsam füllen, im Würstelstand sitzen und hinaus auf den Dorfplatz schauen. Und sie werden lachen über das, was passiert ist. Darüber, dass Baroni dem Teufel von der Schippe gesprungen ist. Dem Mann mit den Wanderstöcken und den kalten Augen.

Konrad Maria Fink. Pension Seerose, auch wenn da weit und breit kein See ist. Fink hat dort ein Zimmer gemietet. Tilda hat ihn zwar angefleht, vernünftig zu sein, nicht noch einmal auszurasten, sich von ihm fernzuhalten, doch Max denkt nicht daran. Er wird Fink besuchen, er wird mit ihm reden und herausfinden, warum das alles passiert ist. Warum er da ist. Geschossen hat. Warum er nicht einfach davonläuft.

Max geht die Dorfstraße hinunter, am Kindergarten vorbei, schnell. Bevor der Fremde abreist, will er es hören. Max will wissen, ob er Recht hat. Er will wissen, warum dieser Fremde Baroni das angetan hat. Mit ihm reden. Max beeilt sich. Nur noch Fink ist wichtig. Wie ein Strohhalm ist er, an dem er sich festhält. Weil der Wind geht. Weil alles rund um ihn herum zusammenbricht.

Weil Baroni dabei ist zu sterben.

 

8

Wieder keine Angst. Wie er auf dem Baumstamm sitzt und Pilze säubert. Ein Korb auf seinem Schoß, ein Taschenmesser in seiner Hand, er ist ganz allein. Da ist niemand, der dem deutschen Wanderer helfen würde, keine Polizisten, keiner, der ihn beschützt. Da sind nur Max und Fink.

Mitten im Wald auf einer Lichtung zwei Männer. Ein Gespräch, keine Gewalt. Fink bleibt sitzen, als er Max sieht, keinen Augenblick lang will er aufspringen und rennen, das Einzige, das ihm wichtig scheint, sind die Steinpilze, um die er sich hingebungsvoll kümmert.

Max hat ihn nicht angetroffen in der Pension, die Wirtin hat ihm gesagt, dass ihr Gast im Wald unterwegs sei. Sie habe ihm Tipps gegeben, wo er Pilze finden könne. Max ist ihm gefolgt, über drei Stunden lang hat er ihn gesucht. Kurz bevor er umkehren wollte, hat er ihn entdeckt. Konrad Maria Fink. Sonnenstrahlen, die auf den moosigen Boden fallen, friedlich wirkt alles, ein älterer Herr, der sich die Zeit vertreibt. Nichts scheint bedrohlich, alles, woran Max beim Aufstieg gedacht hat, klingt plötzlich lächerlich. Dass er auf einen Mörder treffen würde, auf einen Psychopathen, dass es wahrscheinlich zu einem Kampf kommen würde. Nichts davon. Max nähert sich, er geht auf ihn zu, die Beute liegt wehrlos vor ihm, er muss nur noch zubeißen. Keine Waffe, die auf Max gerichtet ist, kein böses Wort. Nur ein deutscher Tourist im Wald. Konrad Maria Fink lächelt. Er macht den Mund auf.

— So sieht man sich wieder.
— Du wirst dich nicht rühren, Fink. Und das Messer bleibt, wo es ist.
— Keine Angst, mein Guter.
— Ich habe keine Angst.
— Dann setzen Sie sich doch. Es ist wirklich schön hier, ein herrliches Fleckchen Erde.
— Was soll das?
— Die Hausdame hat mir gesagt, dass es hier die besten Steinpilze der ganzen Region gibt. Eigentlich ist noch keine Pilzsaison, aber hier findet man schon welche. Sie will sie am Abend für mich zubereiten. Eine reizende Frau ist das.
— Hör auf damit.
— Übrigens ist auch Ihre Mutter ein überaus entzückendes Wesen. Sie hat sich sehr für Sie eingesetzt.
— Aufhören, habe ich gesagt.
— Sie hat mich gebeten, von einer Anzeige abzusehen. Was natürlich gar nicht nötig gewesen wäre, weil ich ja ohnehin nie vorhatte, Ihnen Probleme zu bereiten. Ich denke mir, es muss sich alles um ein großes Missverständnis handeln. Ein Trugschluss, der Sie quält.
— Du weißt, warum ich hier bin.
— Ich vermute, es ist wegen Ihres Freundes. Sehr tragisch, was da passiert ist, ich habe es ja mit eigenen Augen mit ansehen müssen.
— Du hast geschossen.
— Nein, das habe ich nicht.
— Ich habe es gesehen.
— Ihre Mutter sagt, dass Sie wohl etwas durcheinander waren an diesem Tag.
— Ich weiß, was ich gesehen habe.
— Sie sind also davon überzeugt, dass ich auf Ihren Freund geschossen habe.
— Und warum sollte ich so etwas tun?
— Sag du es mir. Irgendeinen Grund muss es geben.
— Egal, wie oft Sie es noch wiederholen. Ich habe nichts damit zu tun.
— Ich kriege dich.
— Sie sind hartnäckig, das gefällt mir. Aber wie gesagt, Sie werden sich die Zähne an mir ausbeißen.
— Du warst es.
— Sie können mich verprügeln, wenn Sie wollen, Sie können mich foltern, es wird sich aber nichts daran ändern, dass ich es nicht war. Deshalb werde ich jetzt meine Pilze nehmen und wieder hinunter ins Tal marschieren. Anschließend werde ich herrlich essen und morgen werde ich mit dem Zug weiter nach Italien fahren.
— Du wirst nicht einfach abhauen.
— Abfahrt ist um elf Uhr siebenundzwanzig. Sie können mich ja begleiten, wenn Sie wollen.
— Warum sollte ich?
— Am liebsten würden Sie mich in der Luft zerreißen, stimmt’s?
— Ja.
— So lange, bis ich Ihnen sage, was Sie hören wollen.
—  Genau.
— Ich darf Ihnen einen Rat geben, mein Lieber. Lassen Sie es gut sein. Wie ich gehört habe, hat Ihr Freund überlebt, er wird das Ganze überstehen und es wird Gras über die Sache wachsen. Und wer auch immer dafür verantwortlich ist, er wird nicht wiederkommen.

Max steht da und schaut. Hört zu. Versucht einzuordnen, was da geschieht, was Fink mit ihm macht. Er nimmt ihm die Fackel aus der Hand, macht ihn wehrlos. Mit welcher Ruhe er dasitzt und ihn entwaffnet, mit einem Lächeln, mit klaren Worten, die keinen Zweifel offen lassen. Konrad Maria Fink ist sich sicher. Nichts kann ihm passieren, keiner außer Max hat ihn gesehen, niemand sonst hat auf ihn geachtet, die Polizei hat alle befragt. Da ist nichts. Nur das, was zwischen Max und diesem Mann ist. Diese Gewissheit, die Max antreibt, die mit jedem Wort größer wird, das aus dem deutschen Mund kommt. Diese Gelassenheit mitten im Wald, diese innere Ruhe, die wehtut. Ich weiß, dass du es warst. Dass du mir drohst. Wenn ich dich nicht in Ruhe lasse, werde ich es bereuen. Du wirst auch mich umbringen. Das willst du mir doch sagen, oder?
Max hat es zwischen seinen Worten gehört. Laut und deutlich. Doch da ist nichts, das es beweisen würde, es sind nur die Gedanken eines kleinen Gemeindearbeiters, die nur er kennt. Von außen ist es nur ein verzweifelter Versuch, einen Schuldigen zu finden, der für das Drama verantwortlich ist. Nichts sonst. Max steht da und schaut zu, wie Fink aufsteht und geht. Einmal dreht er sich noch zu ihm um, einmal lächelt er noch. Dann verschwindet Fink im Wald.

 

 

 

Na? Auf den Aichner-Geschmack gekommen?

Weiter geht’s in „Interview mit einem Mörder“ – und alle Infos zum Buch findet ihr hier.

Kroatien-Krimi: Sonne, Meer und Mord

Alle, denen es im Urlaub nicht spannend genug zugehen kann, sollten Elena Martell in „Mörderhitze” kennenlernen. Anekdoten, Bauwerke, Legenden – die patente Reiseleiterin kennt sie alle, doch wo sie auch hinfährt, mysteriöse Todesfälle und Verbrechen verfolgen sie. Auch an der malerischen Küstenlinie Kroatiens, wo sie diesmal eine Kreuzfahrt organisieren soll, lässt die erste Leiche nicht lange auf sich warten …

Egal ob am Sandstrand von Split, in der Altstadt Dubrovniks, auf Balkonien oder dem heimischen Sofa – Elena Martell bringt Sie in Urlaubsstimmung und lädt ein, den Alltag zu vergessen und sich in wärmere Gefilde entführen zu lassen. Dorthin, wo der Gesang der Zikaden, der schwere Dingač und das sanfte Schunkeln des Bootes für wohlige Stimmung sorgen, und dalmatinisches Flair in der Luft liegt. Doch lassen Sie sich täuschen, auch in diesem Urlaubsidyll dauert es nicht lange, bis der erste leblose Körper im Tunfischbecken treibt.

Hier gibt es Kroatien fürs Handgepäck. Folgen Sie uns – wie auch schon bei Elenas Sizilien-Reise – auf die Stationen einer kleinen literarischen Sightseeing-Tour und werfen Sie mit Autorin Eva Gründel einen Blick auf die ersten Stationen einer lesenswerten Rundreise!

Zadar

Nicht zufällig wusste Giorgio über die verwirrende, blutige Geschichte in diesem Winkel Europas Bescheid. Sein Großvater hatte ihm viel vom alten Zadar erzählt, von der Eleganz der italienischen Palazzi, jeder einzelne eine Verbeugung vor dem venezianischen Lebensstil, dem die Oberschicht in der einstigen Hauptstadt Dalmatiens damals huldigte. Vom bescheidenen Wohlstand und dem eigenen Häuschen, zu dem es selbst ein kleiner Angestellter wie er hatte bringen können. Von der Flucht über die Adria nach Triest, von den Auffanglagern für Abertausende Italiener aus Istrien, die es wie er und seine kleine Familie geschafft hatten, den Massakern zu entgehen.

Die Kornaten

„Worauf du dich verlassen kannst. Die Spur führt in die Kornaten. Ich habe mich schlau gemacht. Die 89 Inseln und Felsen, auf denen heute keiner mehr wohnt, wurden 1980 zum Nationalpark erklärt. Noch in den 70er Jahren war das anders, da lebten einige Familien in dem Archipel. Vom Fischfang und dem, was ihre mit Zisternenwasser mühsam bewirtschafteten Gärten hergaben. Oliven, Feigen und Weinstöcke, dazu ein paar Ziegen und Schafe, wir können uns gar nicht vorstellen, wie arm die Leute waren. Das ganze Gebiet eine einzige Karstlandschaft. Karg ist dafür nur ein Hilfsausdruck. Andererseits ist das Meer blitzsauber und so fischreich wie sonst nirgendwo in der Adria. Und irgendwo liegt da unten auf dem Meeresboden das, was wir finden wollen.“

Split

Nach der Römerzeit wurde der Diokletianpalast in eine bewohnte Festung umgewandelt. Nichts anderes ist bis heute die Innenstadt von Split. Der Palast eines Kaisers. Sehen Sie da drüben das Café Luxor? Hier standen einst drei kleine Tempel. Und dort drüben befanden sich die Eingänge zu den kaiserlichen Gemächern.“
Francesca drehte sich um die eigene Achse und deutete auf die Kathedrale, die Säulen und das Winkelwerk der umliegenden Gassen. „Wenn ich Sie richtig verstehe, war das alles hier ein einziger Palastkomplex? Errichtet für nur einen Mann und sein Gefolge? Unglaublich!“
„Und wenn schon! Dafür brutzelt er jetzt in der Hölle. Der mit den letzten ganz schlimmen Christenverfolgungen, das war doch Diokletian, oder?“ Ausnahmsweise äußerte sich Titus nicht auf Latein.

Mit diesem Kroatien-Krimi kann die Reise starten – sowohl im wörtlichen, als auch übertragenen Sinne – „Mörderhitze” ist Unterhaltung und Information von ihrer spannendsten Seite. Solltet ihr euch Elenas Reisegruppe nach Sizilien in „Mörderküste” noch nicht angeschlossen haben, gibt es hier eine kleine Rundreise für euch!

Next stop – England. Aber das ist eine ganz andere Geschichte