Autor: Christophe

Podiumsdiskussion: „Queere Sichtbarkeit – Trendiges Nice-to-have oder Ausdruck gesellschaftspolitischer Wertedebatten?“

Im Rahmen der Leipziger Buchmesse diskutierten Verlagsleiterin Katharina Schaller, Netzwerker der Queer Media Society Alexander Graeff und Lektor Christian Lütjens mit Kabarettistin und YouTuberin Teresa Reichl über queere Sichtbarkeit in den deutschsprachigen Verlagsprogrammen. Hier ein Auszug aus der Paneldiskussion:

Teresa: Mein erster Gedanke, als ich den Titel dieses Panels gelesen habe, war: Was glaubt ihr denn, woher kommt der Gedanke, dass das alles ein Trend sein könnte, wenn’s das doch schon seit immer gibt?

Christian: Ich glaube, Alexander kann am besten anfangen, weil wir uns ein bisschen auch aufgehängt haben an dem Erfolg von Kim de l’Horizon letztes Jahr mit „Blutbuch“ und dem Deutschen Buchpreis. Das wurde ein bisschen auch so verkauft, als ob jetzt auf einmal große Verlage – es war der Dumont Verlag, das ist ein großer Mainstream-Verlag – queere Stoffe entdecken würden, was natürlich Unsinn ist.

Teresa (zum Publikum): Komplettes Novum, es gibt nicht-binäre Menschen, habt’s ihr das gewusst?

Alexander: So haben sie’s aber in den Medien auch dargestellt. So als hätten sie jetzt die nicht-binäre, queere Literatur erfunden. Da haben wir dieses Trend-Problem, dass große Verlage jetzt aufspringen, wo sie merken, dass die Leser*innennachfrage steigt, was queere Literatur anbelangt – vor allem im Jugendbuch-Bereich. Die [großen Verlage] wollen halt jetzt ein Stück vom Kuchen abhaben und machen damit aber wiederum Independent-Verlage, die seit Jahrzehnten eben in diesem Feld tätig sind und auch diese Kämpfe leisten – die Autor*innen und auch die Verleger*innen – unsichtbar. Also nicht nur im ökonomischen Sinne, auch in einem symbolischen Sinne, im kulturellen Sinne, werden die unsichtbar gemacht.

Katharina: Ich glaub auch, dass das ein grundsätzliches Thema ist, das die Literaturbranche ja immer wieder diskutiert. Also bei allem, wo Verlage merken, dass sie Geld machen können, steigen sie mit ein. Seien das jetzt rassismuskritische Literatur oder queere Literatur, also alles wo sie das Gefühl haben, das könnte jetzt kurzzeitig ein Trend werden, versuchen sie natürlich, die Hand drauf zu legen und deshalb kommt es auch immer wieder auf, ob das ein Trend ist oder nicht.

Teresa: Queere Literatur kann natürlich alles sein – angefangen von den Themen bis hin zu den Leute, die sie schreiben. Und vor allem da ist ja das Defizit da. Es ist halt, finde ich zumindest, gefährlich, wenn dann Leute, die gar keine Ahnung haben und die selber gar nicht queer sind, anfangen, queere Literatur schreiben zu wollen. Weil dann kommen wir wieder in Stereotype rein, die wir eh schon alle kennen und die es wirklich nicht mehr braucht. Was kann man denn da tun, als Verlagsmensch, als Pressesprecher*in, als Netzwerker*in?

Christian: Also man kann einfach dazu beitragen, dass queere Menschen, die schreiben und bereit sind, ihre Geschichten zu erzählen, sichtbar gemacht werden. Das ist ja erstmal auch noch ein Schritt, die queere Sozialisation zu erleben, da gibt’s ja wirklich sehr unterschiedliche Biographien. […] Das mit dem Trend ist ja auch ein bisschen ambivalent, man muss jetzt sagen, dass „Blutbuch“ ein großer Erfolg war und deswegen ist das Queer-Thema in die Debatte gekommen, aber es gab ja vorher schon Ocean Vuong und Bryan Washington, das waren ja erfolgreiche Bücher, die auch im Feuilleton besprochen wurden. Das Ding ist nur, dass oft das Queere dann nicht so benannt wird. Es wird so ein bisschen umgangen, genau wie es mit Sexualität generell oft ist in der allgemeinen Debatte. In der Geschichte, in der wir uns als Verlag befinden, dadurch, dass wir aus der queeren Bewegung kommen und immer queere Autor*innen und Stoffe verlegt haben, muss man immer aufpassen, dass diese Schieflage nicht reinkommt, dass eben diese Sicht von außen aufgrund eines Trends überhandnimmt. Also, die Aufgabe wäre: queere Menschen zu Wort kommen zu lassen, denen Sichtbarkeit und eine Stimme zu geben als Autor*innen.

Teresa: Wie würdest du denn das machen im Verlag, Katharina, wenn ein Hans-Peter Müller kommt, der ein Buch geschrieben hat und da sind sehr stereotype Dinge drin und dann stehst du da als Lektorin und sagst „Naaa ugh“?

Katharina: Als Verlagsleiterin ist das Schöne natürlich, dass ich das Buch gar nicht annehmen würde. Aber man hat ja nicht immer die Chance, auch als Lektor*in, sich gegen die Bücher aufzulehnen, die in einem Verlag veröffentlicht werden. Aber bei uns im Haymon Verlag ist es schon so, dass wir sehr daran arbeiten, das Verlagsprogramm zu diversifizieren, in jeder Hinsicht, und auch bei unseren Büchern, die wir dann machen, Sensitivity Readings durchführen zu lassen, also uns wirklich dafür einzusetzen, das entsprechend auf den Markt zu bringen. Das Wichtigste ist, glaube ich auch, wie du jetzt gesagt hast, die Sichtbarkeit der Autor*innen zu gewährleisten, sich die Geschichten zu suchen. Man spürt ja auch bei diesen Geschichten, dass das ganz andere Perspektiven sind, dass da ganz was anderes reinkommt, und ganz andere Lebensrealitäten drin stecken, als wenn Hans-Peter Müller versucht, eine queere Geschichte zu erzählen.

Teresa: Ganz kurz als Erklärung: Sensitivity Readings werden außerhalb vom Verlag gemacht. Es gibt extra Agenturen, die das anbieten. Da wird über den Text, wenn der fertig ist und bevor der rauskommt, nochmal drüber gelesen von Leuten, die von verschiedenen Diskriminierungen betroffen sind und die Expert*innen sind. Die schauen dann nochmal, wo etwas unsensibel ausgedrückt ist. In meinem Manuskript habe ich zum Beispiel ein paar Mal African-American Language benutzt und hab das einfach nicht gewusst, weil das in der Pop-Kultur so drin ist. Dann schauen die da nochmal drüber, damit jede Person dieses Buch lesen kann, ohne verletzt zu werden, was ein Wahnsinns-Konzept ist – mega geil!

Alexander: Stichwort Sensitivity: ich würde nicht so weit gehen, dass man vielleicht einem Hans auch nicht zutrauen kann, dass er queere Figuren baut, die sensitiv oder sensibel mit Verletzungen und queerer Geschichte umgehen […] Nein, ich würde nicht so weit gehen, ich würde das nicht kausal verketten, dass das per se so ist. Ein bi-sexueller Autor kann auch über Monosexualität schreiben, monosexuelle Figuren kreieren, wenn er es eben sensibel tut und wenn er sich damit beschäftigt. Und, da kommen wir wieder zum Trend, es nicht als einen Trend begreift. Da war mir jetzt wichtig, an der Stelle die Ambivalenz zwischen Stoff, Figur und Autor*innenschaft nochmal darzustellen.

Teresa: Da hast du voll Recht! Ich bin wahrscheinlich ein bissl voreingenommen gegen Hans-Peters. Das kann ich durchaus zugeben. Das ist mein großer Fehler.

Christian: Ich wollt auch schon sagen, wir wollen ja nicht Hans-Peter Müller diskriminieren, der kann ja auch ein ganz netter Kerl sein.

Teresa: Insgesamt, wenn es um Diskriminierung geht und auch wenn’s um queere Diskriminierungen geht, dann ist immer ganz viel die Rede von Repräsentation. Dass es eben wichtig ist, dass wir sichtbar gemacht werden, dass wir zu sehen sind und dass sich, ein so ein Stück weit hab ich zumindest das Gefühl, die Leute an uns gewöhnen und dann nicht mehr so reagieren: „Ahh, a gay!“ sondern es einfach irgendwie normal wird. Was ist denn der Sinn von Repräsentation, was bringt es denn in der Literatur?

Christian: […] Im Grunde ist der Auftrag queerer Literatur der gleiche, den Literatur generell hat: nämlich, dass die Leute sie als Zufluchtsort begreifen und als Erfahrungsraum, in den sie vielleicht selbst gar nicht reingucken können. Insofern hat das schon einen aufklärerischen Effekt, wenn queere Menschen ihre Geschichten erzählen und sich anhand eines Romans oder eines Memoirs oder Bildbänden da rantasten können. Das ist eine eigene [queere] Kultur, das muss man immer sagen, deswegen ist das mit dem Trend ja ganz falsch und ganz zynisch.

Katharina: Ich glaub auch, die Repräsentation ist am Ende wichtig, weil es die Literatur zur Aufgabe hat, ein Literaturverlag zur Aufgabe hat, die verschiedenen Teile der Gesellschaft abzubilden und denen eine Stimme zu geben. Und das funktioniert nur, wenn man nicht nur den weißen cis-hetero Männern, die vorherrschend sind – überall, aber auch in der Literatur und in den Büchern – eine Stimme gibt, sondern das sukzessive erweitert oder sich überhaupt als Verlag zur Gänze dafür einsetzt. Ich glaub nur, wir müssen aufpassen bei der Erwartung, dass queere Menschen, Schwarze Menschen, People of Color auch nur Literatur und Texte zu diesen Themen schreiben. Weiße cis-Männer sind die, die dazu befähigt sind, über alles zu schreiben, sich immer gesellschaftspolitisch, immer wertvoll, überall hineinversetzen zu können. Das spricht man anderen Autor*innen ganz selten zu und ich glaube, da müssen wir aufpassen.

Christian: Schön, das Positiv-Klischee.

Katharina: Genau!


 

 

„Queere Sichtbarkeit – Trendiges Nice-to-have oder Ausdruck gesellschaftspolitischer Wertedebatten?” Von links nach rechts: Alexander Graeff, Katharina Schaller, Christian Lütjens und Teresa Reichl.

 


Über die Mitwirkenden:

Teresa Reichl
Germanistin, Autorin, Kabarettistin, YouTuberin

Katharina Schaller
Verlagsleitung & Programmleiterin Haymon Verlag

Alexander Graeff
Autor, Literaturvermittler und QMS-Netzwerker

Christian Lütjens
Lektor und Pressesprecher der Salzgeber Buchverlage

„Weil ich vom zugleich berührenden und subversiven Potential der Lyrik zutiefst überzeugt bin.” – Barbara Hundegger im Interview

Pünktlich zum Erscheinen ihres Gedichtbandes [ in jeder zelle des körpers wohnt ein gedächtnis ] und zu ihrem 60. Geburtstag haben wir mit der Autorin Barbara Hundegger über ihr politisches und gesellschaftskritisches literarisches Schaffen gesprochen. Im Interview erzählt sie uns, wie der Feminismus sie und ihre Arbeiten prägt, was sie an österreichischer Literatur fasziniert und wie Kunst im Allgemeinen und Lyrik im Speziellen zugänglicher gemacht werden können.

Deine Lyrik zeichnet sich durch einen starken gesellschaftskritischen Zugang aus. In deinem neuen Gedichtband [ in jeder zelle des körpers wohnt ein gedächtnis ] thematisierst du unter anderem die Auswirkungen der Corona-Pandemie, die Erinnerungen jüdischer Frauen, die als Kinder vor dem Holocaust fliehen mussten, den Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche oder den Brenner-Basistunnel. Warum funktioniert für dich Lyrik so gut als literarische Gattung, um gesellschaftspolitische Themen kritisch zu beleuchten?

Weil ich vom zugleich berührenden und subversiven Potential der Lyrik zutiefst überzeugt bin. Die Lyrik ist ja eine der ältesten Künste der Menschheit, die sich über Jahrtausende gehalten hat: etwas zwischen Mensch und Lyrik muss also so gut klappen, dass wir so lange an ihr festgehalten haben. Die komplexe Wirkung oft nur weniger – gut gemachter! − Zeilen ist ja wirklich erstaunlich.

© Fotowerk Aichner

Mehr als um die Benennung gesellschaftlicher Missstände – das wäre ein zu banales lyrisches Unterfangen − geht es mir in meiner Arbeit aber um die Atmosphären, die dadurch erzeugt werden, und um die Ankunft dieser Umstände und Zustände im konkreten Leben von Menschen. Diese permanent vorhandenen gesellschaftspolitischen Vorgaben in mein Schreiben nicht miteinzubeziehen wäre für mich: literarische Ungenauigkeit. Und die Lyrik lebt ja auch davon, im Gesagten das Mitschwingende, die Unter- oder Nebentöne mit abzubilden – das allerdings nicht als ein bei Lyrik ganz gern aufgerufenes Nebulöses, sondern eben im Sinne von Genauigkeit.

Du engagierst dich seit Jahren für die autonome Frauenbewegung in Österreich, inwiefern ist das feministische Prinzip der Politisierung des Privaten für dein künstlerisches Schaffen ausschlaggebend?

Nicht (nur) dieses Prinzip, das ja den problematischen und dehnbaren Begriff des „Privaten“ enthält, der vom Patriarchat je nach eigener Interessenslage verwendet wird (z.B. scheint ja der männliche Körper ein Anrecht auf Privatheit zu haben, während der weibliche als öffentliches Gemeingut gehandhabt wird und das Patriarchat von dessen Kontrolle geradezu besessen ist), sondern der Feminismus insgesamt war lebensprägend für mich – auch im Sinne einer umfassenden „Gerechtigkeitsbewegung“: Die Verwüstung von Weiblichkeit durch das Patriarchat ist markerschütternd, die Gewalt von Männern gegen Frauen sowie gegen andere abgewertete Gesellschaftsgruppen ein abgekartetes brutalstes Herrschaftsinstrument, der unverhohlene Frauenhass auch im Netz sichtbares Zeichen der Vulgarität des Patriarchats, die Verteilung von Ressourcen, Macht, Geld usw. spricht eine eindeutige Sprache. Die Abwertung alles Weiblichen (da hilft auch Mutter-sein, Schön-sein, sexuelles Verfügbar-Sein nicht!) und alles Non-Binären, das nicht der primitiven Definition von Männlichkeit entspricht, ist eine Tiefenstruktur des Patriarchats. Wie Frauen angesichts dieser Lage nicht Feministinnen sein können, ist mir ein Rätsel.
Und über seine analytische und gesellschaftspolitische Kraft hinaus hat der Feminismus mir herzerwärmende individuelle und kollektive Erlebnisse und Abenteuer geschenkt: hochinteressante Debatten, lebensverändernde Begegnungen, mutige und witzige Aktionen, rauschende Feste − und tiefe Frauen-Freundschaften, die ein Leben lang gehalten haben und eine unglaubliche Bereicherung waren und sind.

Österreich ist dieses Jahr Gastland der Leipziger Buchmesse. Eine der bekanntesten Autorinnen Österreichs ist ganz sicher Elfriede Jelinek, der du dein Gedicht [ angst-partie ] widmest. Was fasziniert dich an Jelineks Werk und was macht für dich österreichische Literatur aus?

Jelinek ist eine Sprach-Göttin: wie keine andere bringt sie in ihren Textflächen ans grelle Licht, was in der Sprache steckt, sich in ihr versteckt! In jeder einzelnen Wendung, in jedem Wort, den Floskeln, den Parolen, den Slogans, den Alltagssprachen, Wissenschaftssprachen, Tätersprachen usw. Ihre Arbeiten sind einzigartig! Und in ihrer messerscharfen, verspielten, doppelbödigen usw. organischen Verbundenheit mit „Sprache an sich“ österreichisch in dem Sinn, dass eine der literarischen Traditionslinien österreichischer Literatur keine Berührungsängste mit dem sprachspielerischen Aspekt des Schreibens kennt und ihn nutzt. Das und den oft recht harmlos daherkommenden strizzi-artigen, abgründigen, schlampigen, mieselsüchtigen, entlarvenden, lavierenden, bitteren, bodenlosen Humor – das ist es, was ich an der österreichischen Literatur besonders schätze. Ich sage z.B. nur: „Der Herr Karl“. Oder: Sargnagel.

Du feierst dieses Jahr deinen 60. Geburtstag (Gratulation!) und veröffentlichst nun seit 25 Jahren vielfach ausgezeichnete Lyrik. Was würdest du Autor*innen mit auf den Weg geben, die gerade am Anfang ihrer schriftstellerischen Karriere stehen?

Das mit den Ratschlägen an nächste Generationen ist so eine Sache – denn jede Generation lebt unter anderen und sich ändernden Bedingungen, und das Nervende an vielen Ratschlägen von Altvorderen ist ja, dass sie mit alten Rastern und Bestecken auf neue Probleme zugreifen wollen, auch als eine Art Bestätigung für das Unvergängliche der eigenen, aber eben verglimmenden Lebensphilosophie. Diese Renitenz ist mir aus eigener Erfahrung noch zu gut in Erinnerung − und ich möchte nur ungern zu jenen Boomern gehören, die sich selbst bis zum letzten Atemzug für den Inbegriff von Coolness halten. Die Devise sollte deshalb wohl eher sein: was sagen, wenn man von den Jungen gefragt wird, aber sie mit ungefragten Zurufen tunlichst verschonen.

In ihrem Nachwort bezeichnet Daniela Strigl deine Gedichte als „Lyrikangst-Desensibilisierungstherapie“ und bewundert deine demokratische Sprachkunst, die trotz komplexer Inhalte niemanden ausschließt. Braucht es in unserer Gesellschaft generell einen inklusiveren und niederschwelligeren Zugang zu Kunst, und hättest du konkrete Ideen, wie man den Berührungsängsten mit Lyrik entgegenwirken könnte?

Ja, den Zugang braucht es auf alle Fälle – und weil ich aus sogenannten „kleinen Verhältnissen“ stamme und aus dem ganz und gar Unintellektuellen, weiß ich von daher, dass die Kunst in solchem Umfeld gar nicht als relevantes „Lebens-Mittel“ wahrgenommen und davon eine Bereicherung fürs eigene Sein erwartet wird. Und das liegt neben anderen Faktoren auch daran, dass diese Bevölkerungsgruppen so mit Existenziellem eingedeckt sind, dass sie für Kunst schlicht keinen Nerv mehr haben. Es liegt an den Künstlern und Künstlerinnen, ihren Themenentscheidungen und Bearbeitungsweisen, und aus welchen Soziotopen Künstler:innen kommen – denn man muss es sich zunehmend leisten können, Künstler:in überhaupt zu sein. Und es liegt am Kunstbetrieb, wo „niederschwellig“ mit minderer Qualität assoziiert wird.
Das gilt auch für die Lyrik: sie hat sich sehr in die Unzugänglichkeit verabschiedet – und davon nehme ich mich nicht aus. Die Randexistenz der Lyrik innerhalb des Literaturbetriebes hat sie sich zu einem gewissen Teil also auch selbst zuzuschreiben – verschärft dadurch, dass sie in unseren Breiten vom Monopol des Romans (der auch leichter zu rezensieren ist!) − erdrückt wird. In anderen Kulturen oder zu anderen Zeiten war die Lyrik aber: das höchste der Gefühle! Auch meine eigene Bereitschaft, mich durch sehr gut gemachte, sehr hochwertige Lyrik zu kämpfen, von der man ohne intertextuelles Wissen sehr wenig versteht, ist gesunken. Und ich habe deshalb innerhalb meiner eigenen Arbeit einen gewissen Schwenk in Richtung mehr Zugänglichkeit gemacht – z.B. bei meinem [ anich.atmosphären.atlas ] und auch beim aktuellen Buch.
Vielleicht müssen wir Lyriker:innen einfach wieder etwas verständlicher schreiben und uns anderen Themen widmen – denn verstanden zu werden ist kein Makel, verstanden werden ist auch schön.
Und vielleicht müssen wir uns solche Gedanken bald gar nicht mehr machen – wenn die KI uns atemberaubende Gedichte schreibt . . .

„… manchmal haben Frauen Angst vor beidem: vor der Gewalt, in der sie leben, und vor dem Urteil der anderen.” – Natalja Tschajkowska im Interview

Autorin Natalja Tschajkowska hat mit uns im Interview über ihren neuen Roman „All die Frauen, die das hier überleben” und über Gewalt in Beziehungen gesprochen.

Dein Roman beginnt am Grab von Martas verstorbenen Ehemann Maksym. Marta nimmt Beileidsbekundungen entgegen, was sie selbst aber im Innersten spürt, ist keine Trauer, sondern Erleichterung. Was bedeutet es für einen Menschen, die eigene persönliche Freiheit erst durch den Tod einer anderen Person zurückzuerlangen? Was leitest du daraus über zwischenmenschliche Abhängigkeit ab?

Bevor ich mit dem Schreiben dieses Romans begann, hatte ich mir genau so einen Anfang ausgedacht. Mit der Szene auf dem Friedhof wollte ich zeigen, wie müde und erschöpft ein Mensch durch das Leben mit jemandem, der einen missbraucht, sein kann. So erschöpft, dass im Herzen kein Mitgefühl und kein Schmerz mehr vorhanden sind. Da sind nur noch Leere und eine gewisse Erleichterung. Das zeigt, dass Frauen wie Marta im Allgemeinen vieles in der Beziehung nicht erfahren – keine Liebe, keine Fürsorge, keine Freude. Sie sind abhängig von der Stimmung ihres Mannes. Sie haben sich selbst verloren. Manchmal geschieht das ganz leise, Tag für Tag, und dann ist es zu spät. Und diese Szene ist wie eine Befreiung, aber ohne zu solchen Taten zu verleiten. Dies ist nur ein Buch, kein Handbuch, wie man aus einer missbräuchlichen Beziehung herauskommt.

Der Roman liest sich streckenweise wie ein Thriller – da gibt es diesen mysteriösen Tod und diese untergründige Spannung, die die Leser*innen durch das ganze Buch trägt. Wie lebensnah, wie realistisch ist dein Buch?

Grundsätzlich ist das Buch nur eine Fiktion, aber es wurde aufgrund von Beobachtungen von Menschen, die ich kenne, geschrieben. Leider haben viele dieser Frauen unter häuslicher Gewalt gelitten. Zum Beispiel ist die Szene, in der der Ohrring in Form eines Rings durch den Aufprall zusammengedrückt wird, wirklich passiert. Ich habe also viele Momente aus dem Leben von Frauen, die ich kenne, übernommen, natürlich mit ihrem Einverständnis.

 

© Volodymyr Tschajkowsky
Natalja Tschajkowska ist eine ukrainische Autorin. Sie hat mehrere Kurzgeschichten und Romane verfasst. Neben dem Schreiben arbeitet sie in der Kommunikationsbranche. Mit „All die Frauen, die das hier überleben“ erscheint das erste Mal eines ihrer Werke auf Deutsch.

Anhand der Geschichte von Marta und ihrem verstorbenen Mann Maksym sezierst du die vermeintlich unergründlichen Prozesse, die eine liebevolle Beziehung zur wahrhaften Hölle werden lassen. Eine Thematik, die in der Literatur kaum bis gar nicht behandelt wird. Was denkst du, woran liegt das?

Nach der Veröffentlichung des Romans bin ich erneut zu der Überzeugung gelangt, dass solche Literatur wirklich notwendig ist. Der Grund dafür ist einfach: Nicht jeder versteht die Tiefe des Schmerzes, der manchmal hoffnungslos ist, mit dem eine Frau konfrontiert wird. Man hört oft den Satz: „Warum ist sie nicht gegangen?”, aber manchmal haben Frauen Angst vor beidem: vor der Gewalt, in der sie leben, und vor dem Urteil der anderen. Und aus diesem Grund schweigen sie. Und aus demselben Grund ist dieses Thema ein Tabu. In der Belletristik habe ich Bücher über häusliche Gewalt gelesen, manche sorgfältig geschrieben, manche ergreifend. Ich bin mir nicht sicher, aber mir scheint, dass Autor*innen, die ein solches Thema anschneiden, auch mit Kritik rechnen müssen. Vielleicht ist das der Grund, warum dieses Thema oft umgangen wird.

Häusliche Gewalt, psychische und physische Gewalt gegen Frauen, toxische Beziehungen, Machtmissbrauch, Misogynie … das alles sind Themen, die gerade mehr und mehr in der Öffentlichkeit thematisiert werden. Häufig verfällt die Debatte aber in eine Richtung, in der die Schuldzuweisungen verdreht werden. Wie siehst du diese Form der Auseinandersetzung mit dem Thema? Wie war dein Ansatz in dieser Hinsicht beim Schreiben deines Romans?

Ich wollte das Bild einer Frau mit Schwächen schaffen, die Angst hat, besorgt und nicht immer in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen. Eine gewöhnliche Frau mit gewöhnlichen Gefühlen, die nicht weiß, wie sie sich aus der Situation befreien kann. In der Literatur sehen wir oft starke Frauen, aber nicht jeder ist im Leben stark. Marta hat Angst, bereut viele ihrer Handlungen, redet sich manchmal ein, dass alles gut werden würde und dass man einem Menschen eine zweite Chance geben sollte. Der Roman will zeigen, wie Marta aus ihrer Schwäche stärker wird, wie sie lernt, Entscheidungen zu treffen, zu kämpfen, wie sie ihre Angst Schritt für Schritt überwindet.
Sie kämpft allein. Denn oft haben solche Frauen Angst, dass sie nicht gehört werden und die Pfeile der Anschuldigungen nicht in Richtung ihres Mannes fliegen, sondern in ihre eigene. Sie ist auch vorsichtig, weil sie die ihr nahestehenden Menschen nicht gefährden will.

Marta versucht nach Kräften, sichtbare Male, die von der Gewalt Maksyms zeugen, vor ihren Freund*innen, ihrer Familie zu verbergen. Was denkst du, warum Marta das macht, warum sie sich niemandem anvertraut?

Es sieht nicht so aus, als könne sie niemandem vertrauen, es ist eher so, dass sie sich für die Situation schämt, in der sie sich befindet. Ich treffe oft Frauen, denen von Kindheit an beigebracht wurde, über Probleme in der Familie zu schweigen, zu ertragen, nichts und niemandem etwas zu erzählen, weil die Gesellschaft die Tatsachen verurteilen und verdrehen kann. Auch auf gesetzlicher Ebene ist es nicht immer möglich, Gewalt zu ahnden. Einem Mann mag es verboten sein, sich einer Frau zu nähern, aber würde das einen Mann wie Maksym aufhalten? Nicht unbedingt. Marta schweigt, weil sie Angst hat. Und wie ich schon sagte, ist sie besorgt über das Schicksal der Menschen, die ihr nahe stehen.

„Gaslighting“ oder „Love Bombing“ sind Begriffe, die man immer öfter hört. Immer mehr Menschen, besonders auch jüngere, tauschen sich auf Social-Media-Plattformen über Phänomene wie diese und auch über ihre eigenen Erfahrungen aus. Auch du bist auf deinem Instagram-Account sehr aktiv. Was ist deine Einschätzung: Werden wir sensibler, feinfühliger bezüglich toxischen Verhaltens in der Partnerschaft und anderen Beziehungs-Themen, die lange Zeit tabuisiert wurden und als „privat“ galten?

Es ist traurig, das zugeben zu müssen, aber ich habe den Eindruck, dass wir an diesem Thema noch arbeiten müssen. Ich bin davon überzeugt, dass in allen Gewaltsituationen der Vergewaltiger die Schuld trägt und das Opfer der Gewalt leidtragend ist. Und der Vergewaltiger kann keine Ausreden finden. Aber es kommt oft vor, dass die Opfer beschuldigt werden, es provoziert zu haben, man hört den formelhaften Spruch „selbst schuld”. Das ist erschreckend. Deshalb dürfen diese Themen kein Tabu sein, die Menschen müssen darüber sprechen. Auf Instagram sieht man unterschiedliche Positionen – von Verständnis für das Thema bis hin zur vollständigen Verurteilung von Marta. Daher fällt es mir schwer zu sagen, dass wir sensibler geworden sind und bereit sind, Unterstützung zu leisten.
Nach der Veröffentlichung des Buches erhielt ich viele Nachrichten von Leser*innen, die entweder selbst etwas Ähnliches erlebt hatten oder jemand aus ihrer Familie. Es waren zu viele Nachrichten und da wurde mir wieder einmal klar, dass wir über dieses Thema sprechen müssen. Die Menschen wollen gehört werden. Aber manchmal haben sie Angst, ihre Meinung und ihren Standpunkt zu äußern. Ich sage immer, dass manchmal die beste Unterstützung darin besteht, nicht zu urteilen. Wenn die Menschen aufhören, die Opfer häuslicher Gewalt zu verurteilen, wenn sie aufhören, Mutmaßungen anzustellen und die Situation in Frage zu stellen – „wer auch immer sie festgehalten hat, ich wäre entschlossener gewesen”, „ich hätte das nicht zugelassen”, „sie ist schwach, ich bin stark” –, werden die Opfer selbstbewusster werden. Sie werden keine Angst haben, aus toxischen Beziehungen auszusteigen und allgemeine Verurteilung zu erfahren. Es hängt viel von der Gesellschaft ab. Das ist zumindest meine Überzeugung.

Jede*r von uns hat eine individuelle Lebensrealität, unterschiedliche Einflusssphären, Talente, Fähigkeiten, Möglichkeiten. Jede*r von uns hat eine Stimme. Und jede einzelne Stimme ist entscheidend, um der Gewalt ein Ende zu bereiten. Es gibt zahlreiche Initiativen und Plattformen, die über häusliche Gewalt informieren und Hilfe bieten. Hier ein paar davon:

Das Start-Up Frontline entwickelt Trainings und digitale Tools für Betroffene und jene, die mit Opfern häuslicher Gewalt in Kontakt stehen.

In Deutschland: Das bundesweite Hilfetelefon richtet sich an Frauen*, die Gewalt erfahren haben, aber auch an Angehörige sowie Freund*innen werden anonym beraten. Es ist jederzeit und kostenfrei unter +49(0)8000 116 016 erreichbar.

In Österreich: für (akute) Hilfe: frauenhelpline.at

Frauenhäuser bieten Frauen*, die häusliche Gewalt erleben, und ihren Kindern eine sichere Wohnmöglichkeit. Frauenhäuser sind für alle Gewaltopfer offen, unabhängig von Nationalität, Einkommen oder Religion.

SOS@Home bietet Aufklärungsarbeit sowie ein Netzwerk aus Hilfeleistenden und Initiativen.

„Das Frau- und Kind-Sein ist weltweit zu einem Überlebenskampf geworden.” – Gastbeitrag von Anna Herzig

Liebe Leser*innen!

Die Welt hat sich seit 2020 verändert, läuft schneller, unbarmherziger und wandelt sich rasanter als einem liebt ist. Diese Veränderungen und deren (mögliche) Auswirkungen haben mich unter anderem zu meinem neuen Roman 12 Grad unter Null, der im Haymon Verlag ein wundervolles Zuhause gefunden hat, inspiriert.
12 Grad unter Null ist keine Temperatur, der man gerne ausgesetzt ist. Unabhängig davon, in welchem Körper man in diesem Leben wohnt.
Beim Schreiben dieses Romans, der mir näher geht als alle anderen Texte, die ich bisher geschrieben habe, bin ich weit über meine Grenzen gegangen. Das lag zum einen an der pausenlosen Care-Arbeit und zum anderen an den schweren Themen, die dieser Text behandelt. Dennoch war es mir wichtig, diese Geschichte zu erzählen. Und darum geht es:
Elise und Greta, zwei mittlerweile erwachsene Schwestern, leben 2024 in einem Land, das ein unvorstellbar misogynes und gleichsam grausames Gesetz erlässt. Etwas, das so widerlich ist, dass ich es hier nicht vorwegnehmen möchte.
Alles, was in Sandburg passiert, ist kaum einen Schritt weiter weg als die Dinge, mit denen wir uns – vor allem weibliche Personen – tagtäglich konfrontiert sehen. Tag für Tag, immer, seit jeher. Eine Besserung scheint nicht in Sicht.
Jahre zuvor: Die Mutter von Elise und Greta beschließt, sich stark zu machen, und kämpft neun Jahre lang gegen den Vater der Mädchen an. Eine hoffnungslose Aussicht von Anfang an. Weshalb? Nicht, weil sie nicht jederzeit gehen könnte, sondern weil – und hier sind wir mehr in der Realität als in der Dystopie – es einer alleinerziehenden Mutter unmöglich gemacht wird, ihren Alltag mit Job und Kindern, mit dem ständigen nervenaufreibenden Jonglieren zwischen verschiedenen Welten, finanziell abgesichert zu erleben. Sich aus einer toxischen Ehe zu lösen, bedeutet für eine Frau auch heute noch und nicht seltener: ein Leben an der Armutsgrenze oder knapp oberhalb davon.

Die Geschichte dieser zwei Schwestern und ihrer Mutter, die immer noch an der Suppe von damals schlucken, die niemals kalt werden durfte, geht mir so sehr unter die Haut, dass das Fortkommen während des Entstehungsprozesses mit vielerlei unterschiedlichen Schmerzen einherging.
Soll eines der Anliegen des Feminismus tatsächlich sein, patriarchale Strukturen aufzubrechen, und zwar nachhaltig? Dann muss endlich und nachdrücklich dort angesetzt werden, wo es Frauen unmöglich gemacht wird, ohne die Hilfe und Unterstützungsleistungen von Partnern und Ehemännern nicht nur zu überleben, sondern sich auch sicher fühlen zu können: in der Gesetzmachung und -erlassung. Dort, wo entschieden wird, wieviel Kinderbetreuungsgeld einer Frau zusteht, wie hoch oder, nach derzeitigem Stand, nieder die Sozialleistungen sind. Wie eine Frau (mit und ohne Kinder) aufgefangen werden kann, wie der safe space aussehen soll, den sie benötigt, wenn sie den Schritt wagt, sich aus toxischen Verhältnissen zu lösen. Aber das ist nur ein Aspekt. Welche Gesetze müsste es geben, damit Frauen endlich Beruf und Familie vereinbaren können, ohne Zuverdienstgrenzen unterworfen zu sein, ohne Abhängigkeit vom Ehemann? Wie soll eine Frau, nach derzeitigem Stand, nicht in der Armutsfalle landen, wenn sie sich trennt und dann mit einem Teilzeitjob sich und ihr Kind versorgen muss? Die wenigsten Frauen haben Eltern und Schwiegereltern, die ihnen helfen. Die meisten Frauen sind auf sich alleine gestellt. Und mit einem Mann, der die Psyche einer Frau, einer Mutter ständig attackiert, fehlt die Kraft und der Glaube, sich jemals aus einer solchen Situation lösen zu können.

Alles, was man einer Frau antut, wird eine Frau niemals vergessen.

Alles, was man einem Kind antut, kann ein Kind niemals vergessen.

Das Frau- und Kind-Sein ist weltweit zu einem Überlebenskampf geworden.

Wenn wir patriarchale Strukturen brechen möchten, beginnen wir doch damit, zusammenzuhalten und uns nicht gegeneinander aufzubringen.
Ich empfehle euch dazu eindringlich die Lektüre „Einzeller“ von der grandiosen Schriftstellerin Gertraud Klemm, ein bedeutender wie unverzichtbarer Roman, der im Kremayr & Scheriau Verlag erschienen ist.

Abschließend möchte ich noch sagen: Mein Roman behandelt sensible Themen, u.a. häusliche Gewalt sowie psychischen und physischen Missbrauch. Es liegt mir fern, Menschen mit Gewalterfahrungen traumatisieren zu wollen, was ich möchte, ist Awareness dafür zu schaffen, dass wir aufeinander aufpassen, genauer hinsehen müssen. Es war mir ein Anliegen, mich den Themen dieser Geschichte zu stellen, die für viele weibliche Personen keine Geschichte, sondern Vergangenheit und/oder Gegenwart ist.

In 12 Grad unter Null geht es um das, was hinter den Augenfenstern anderer Menschen lauert und hinter unseren eigenen.
12 Grad unter Null ist eine Warnung. Nicht an Männer. Sondern an uns.

Eure Anna Herzig

 

„Unerschrocken und heiter”: Wildgans-Preisträger Christoph W. Bauer im Interview

Am 13. September wird Christoph W. Bauer der Anton-Wildgans-Preis verliehen. Die Jury der hochkarätigen Auszeichnung betont in ihrer Begründung die Vielseitigkeit des Schriftstellers, der uns in seiner Prosa durch das Alphabet historischer Häuser und Straßenzüge streifen lässt und mit seiner Lyrik spielerisch zwischen The Clash und griechischer Mythologie auf abenteuerliche Entdeckungsreisen schickt. In unserem Interview sprechen wir mit dem Schriftsteller über die jüngste Auszeichnung, über unmodernes Zaudern und über Punk-Rock und Poesie.

Portrait: © Haymon Verlag / Fotowerk Aichner

Christoph W. Bauer, geboren 1968 in Kärnten, aufgewachsen in Tirol. Verfasst Lyrik, Prosa, Essays, Hörspiele und Übersetzungen. Zahlreiche Veröffentlichungen, mehrere Auszeichnungen, u.a. Reinhard-Priessnitz-Preis (2001), Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb (2002), Preis des Kärntner Schriftstellerverbands (2010), Kärntner Lyrikpreis (2014), Outstanding Artist Award und Tiroler Landespreis für Kunst (beide 2015), Preis für künstlerisches Schaffen der Stadt Innsbruck (2021), sowie zuletzt den Anton Wildgans Preis der Österreichischen Industrie 2023.

Was bedeutet dir der Wildgans Preis?

Diese Auszeichnung hat eine lange Tradition – und mit Blick auf die Liste der Autorinnen und Autoren, die mit dem Wildgans-Preis ausgezeichnet wurden, ist das schon etwas Besonderes. Und ich freue mich darüber. Auch über das Preisgeld, klar doch.

Haben Preise einen Einfluss darauf, wie Literatur wahrgenommen wird?

Ich weiß nicht, mag sein. Wenn ja, beschränkt sich dieser Einfluss aber wohl auf recht kurze Zeit. Heute eine Pressemeldung, morgen schon die nächste. Heute eine Auszeichnung hier, morgen ein Preis dort. Wichtig ist die Anerkennung für jene, die sie erhalten, ohne Anerkennung kann kein Mensch leben, egal in welchem Beruf. Anerkennung, das bedeutet, wahrgenommen zu werden – ach, ich weiß es wirklich nicht. Du siehst ja, ich zögere, ich zaudere …

Daran anschließend: Wie steht es um die Produktionsbedingungen in der Literatur, im Feuilleton, in der Kulturvermittlung? Blickst du eher optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft, was das angeht?  

Dazu könnte zweifelsohne ein Verlag mehr sagen, denke ich. Fest steht freilich, dass es mittlerweile verschiedenste Möglichkeiten der Vermittlung gibt, die von den klassischen der vergangenen Jahrzehnte abweichen. Manche eignen sich dafür mehr, manche weniger, aber ohne neue Entwicklungen geht es nicht – ist es auch nie gegangen. Insofern lasse ich mich überraschen, was die Zukunft angeht, meine eigene Arbeit, also mein Schreiben, wird das wohl wenig beeinflussen. Ein Verriss macht ein Buch nicht schlechter, eine Laudatio ein Werk aber auch nicht besser. Ignoranz ist zu ignorieren, einfach weiterschreiben, das ist meine Devise, mein Wahlspruch, das kingt markiger: unerschrocken und heiter.

Ist in einer (digitalen) Öffentlichkeit, die von starken, kategorischen Meinungen geprägt ist und besonders die grellen und polarisierenden Zurufe begünstigt, das Suchen, Abwägen und Unschlüssigsein gewissermaßen in der Krise?

Ich würde nicht gerade sagen „in der Krise“, aber in einer Zeit der Behauptungen und der verbalen Schnellschüsse ist es unmodern geworden, zu zaudern, zu hinterfragen, sich Zuschreibungen zu verweigern. Daraus ziehe ich die Kraft, es dennoch zu tun.

Ist der abwägende Zauderer ein „unsung hero“ oder ein Antagonist unserer Zeit?

Er ist wohl beides.

Zaudern, spielen, augenzwinkern und bitter lachen: Liegt darin ein subversives Moment?

Unbedingt!

Kann Literatur, kann insbesondere Lyrik ein „nachdenklicheres“ Gegengift sein für das Stakkato der Gewissheiten, das uns von Titelseiten und Twitterbeiträgen entgegengeschrien wird?

Ich denke schon, dass Literatur da etwas bewirken kann, vorausgesetzt freilich sie findet Leserinnen und Leser, vorausgesetzt sie findet Verlage, die sich nicht von Twitterbeiträgen in ihrer Programmgestaltung beeinflussen lassen.

Wildgans-Preis Jurybegründung:

„Christoph W. Bauer ist in nahezu allen literarischen Genres zuhause. In seinen Prosa-Arbeiten, die vielfach im Grenzbereich zwischen Historiographie und Fiktion angesiedelt sind, dominieren Geschichten, die er im Alphabet ramponierter oder auch längst verschwundener Häuser ermittelt, sei es in Saint-Denis, sei es in Innsbruck-St. Nikolaus. Und in seinen Gedichten setzt Christoph W. Bauer mit seiner ganz eigenen Stimme souverän alle nur denkbaren lyrischen Formen ein, um in einer schier endlosen Kette von intertextuellen Bezügen, die von Homer und Catull über Dante und Villon und Borges bis zum Punk-Rock reichen, immer von neuem auf ein Spiel mit Möglichkeiten zuzusteuern, das ganz wenig übrig hat für scheinbar unverrückbare Gegebenheiten.“

Was bedeutet es für dich heute, engagierte Kunst zu machen?

Ich weiß nicht, engagierte Kunst, was ist das? Ich weiß nur, ich lebe nun mal in dieser Zeit und diese Zeit färbt auf meine Arbeit ab. Ich kann nicht so tun, als ginge mich das alles nichts an. Was jetzt nicht heißt, dass ich mir sage, du musst über bestimmte Themen schreiben. Die Themen kommen, sie holen mich im besten Wortsinn ein. Wenn dies der Fall ist, geht es mir aber immer darum: Wie schreibe ich das?

Zwischen den Toten Hosen und Ovid, zwischen Street Art und Nibelungenlied: Ist das Balancieren zwischen Hoch- und Populärkultur ein wichtiges Motiv in deinem Werk?

Die Hosen, The Clash, die Ramones – das sind frühe und prägende Einflüsse, die in mein Schreiben eingezogen sind. Und das ist mir sehr recht so. Manch ein Lied von den Hosen hat mich weit mehr beeinflusst als ein von der Kritik in den Literaturhimmel gelobtes Buch. Diese Lieder sind ständige Wegbegleiter, wie die antike Poesie das mitunter eben auch ist. Diese von Rhythmik und Klangfarbe geprägte Sprache, diese Mythen und Figuren – war nicht auch Odysseus ein Zauderer? Ein Saumseliger?

Andreas Grubers Laudatio für Herbert Dutzler, Preisträger des Österreichischen Krimipreises 2022

Herbert Dutzler erhielt den Österreichischen Krimipreis 2022, der bereits zum fünften Mal verliehen wurde. Für seine Laudatio reiste Andreas Gruber, der Preisträger 2021, sogar an den ehemaligen Arbeitsplatz seines Krimikollegen:

Jedes Jahr wird ein Autor, eine Autorin für die Leistungen in der Kriminalliteratur mit dem Österreichischen Krimipreis ausgezeichnet. In den kommenden Jahren werden vermutlich noch Beate Maxian ausgezeichnet werden, Claudia Rossbacher, Wolf Haas, Theresa Prammer, Marc Elsberg und so weiter und so fort … Jetzt gibt es in Österreich ca. 80 Schriftsteller, die Krimis schreiben. Ich weiß, es werden jedes Jahr neue dazustoßen, aber auch einige wegfallen. Aber im Jahr 2098, wenn dann schon wirklich jeder diesen Preis gewonnen hat, wird es dann so sein:

„Der österreichische Krimipreis 2098 geht an jemanden, der eine Krimi-Kurzgeschichte von 3 Seiten als Self-Publisher im Netz hochgeladen hat.”

Im Jahr darauf:

„Der österreichische Krimipreis von 2099 geht an jemanden, der ein Gedicht über einen True-Crime-Fall verfasst hat.“

Irgendwann einmal werden uns die guten Autorinnen ausgehen. ABER … und jetzt kommt das ABER: Man muss es schaffen, unter die Top Ten zu kommen. Und nach Thomas Raab, Ursula Poznanski und Alex Beer hast du es, lieber Herbert, sogar unter die ersten fünf geschafft.

Du blickst jetzt schon auf ein beachtliches Gesamtwerk zurück. Bis vor kurzem warst du ja noch Lehrer und dein erstes Buch „IT-schülertaugliches Material für den Unterricht an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich in Linz“ war jetzt nicht der große Bestseller – wurde mir berichtet … Aber … in „Bär im Bierkrug, Gott und Teufeleiner Sammlung von 14 Krimi-Kurzgeschichten – und du hast ja schließlich mit Kurzgeschichten begonnen –, lesen wir abwechselnd Grausiges, Tiefsinniges, Spannendes und Humorvolles mit viel Wortwitz, und das auf einer Almhütte, einem Adventmarkt, am Schulhof, bei einer Gartenschau, in einer Tanzschule oder während einer Zugfahrt.

Du hast auch vier – ich würde sagen psychologisch tiefsinnige, teils autobiografische, teils kriminalistische, belletristische Romane verfasst – auf die wir später noch zu sprechen kommen. Und schließlich …

… deine neun Gasperlmaier-Kriminalromane

… aus dem Altausseer-Land. Eigentlich 10, denn nächstes Jahr ist das Gasperlmaier-Jubiläum, und da erscheint „Letzter Tropfen“.

Die Filmreihe ist kürzlich mit der dritten Servus-TV-Verfilmung durchgestartet, die die Bücher auch in der richtigen Reihenfolge bringen – was nicht immer eine Selbstverständlichkeit ist. Gasperlmaier wird diesmal zwar von einem anderen Schauspieler gespielt, aber Ian Flemings James Bond hat schließlich auch mehrere Schauspieler. Und wenn Cornelius Obonya Sean Connery ist, dann ist Johannes Silberschneider jetzt Roger Moore. Ich habe alle drei Filme gesehen und ich habe im 1. und 3. Teil auf einen Cameo-Auftritt von dir á la Alfred Hitchcock gewartet, aber leider vergeblich. Aber dafür warst du zumindest im 2. Teil vertreten, als Polizist grandios, und hättest mit deinem Auftritt, trotz fehlender Sprechrolle, Cornelius Obonya fast an die Wand gespielt. Und jetzt noch vom TV-Star zum Krimi-Preisträger.

In einem Interview hast du Folgendes gesagt:

„Die Reise begann 2008, als meine erste Kurzgeschichte in einer Krimi-Anthologie eines Kleinverlages erschien. Und heute, zwölf Jahre danach, bin ich beim österreichischen Krimipreis angekommen, ein Ziel, das mir bisher so utopisch erschien wie einem Gelegenheitsradler die Fahrt auf den Großglockner. Ich hätte nie gedacht, dass meine Romane einmal preiswürdig werden würden und bin entsprechend gerührt. Ich hoffe allerdings – trotz der mir zuteil gewordenen Ehre – sehr, das Ziel der zuvor erwähnten Reise noch nicht erreicht zu haben!”

Lieber Herbert, ich kann dich beruhigen. Jetzt, wo du seit 2022 im Lehrer-Ruhestand bist, jetzt, wo du hauptberuflich Schriftsteller bist und nicht mehr Nebenerwerbs-Schriftsteller und Teilzeit-Autor, der während zweier Sabbaticals schreiben musste, geht es erst so richtig los mit dem Schreiben. Und dann hast du ja vielleicht auch Zeit für einen weiteren Cameo-Auftritt im 4. und 5. Teil und in allen, die noch kommen werden.

Und dieses Thema finde ich wahnsinnig interessant: Du warst Deutsch- und Englisch-Professor am Bundesrealgymnasium Schloss Wagrain in Vöcklabruck. Als Herr Prof. hast du in einem Schloss unterrichtet! Ich habe im Internet entdeckt, dass dir eine ehemalige Schülerin Folgendes geschrieben hat:

Daniela Hansl: „Soeben erfahre ich in den Medien, dass mein einstiger Englischlehrer seinen Lebenstraum erfüllt hat und Autor geworden ist. An diese Zukunftsvisionen kann ich mich noch ganz genau erinnern. Dazu gratuliere ich Ihnen sehr herzlich und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.“

Also du hast schon damals von deiner Vision erzählt, Autor werden zu wollen.

Regina Ahammer: „Ich erhielt durch Zufall vor einigen Tagen Ihr Buch „Letzter Kirtag“ von meinem 86-jährigen Großonkel und er meinte: Regina, dieser Krimi von Herbert Dutzler, den ich da gerade lese, der ist echt gut geschrieben! Nachdem ich mir gedacht hatte, dass mein ehemaliger Englisch-„Prof“ so hieß, und dies dann auch noch durch Ihr Bild auf der Rückseite des Buches bestätigt wurde, musste ich es natürlich sofort lesen! Jedenfalls gratuliere ich Ihnen zu diesem gelungenen Werk, welches trotz der kriminalistischen Story doch so authentisch mit Ihnen selbst ist, und möchte Ihnen sagen, dass ich stolz bin, dass Sie mal mein Lehrer waren. Damals hielt man „plötzlich auf Schüler fliegende Kreiden“ noch nicht für Schülermisshandlungen, sondern gerade an solche erinnere ich mich noch gerne lachend zurück …“

Du hast mit Kreide auf deine Schülerinnen geschossen?

Jemand, der im Internet einen alten Deutschen Orden als Profilfoto hat, hat auf deiner Webseite Folgendes geschrieben:

„Hallo, so viel Lobhudelei kann man kaum ertragen. Habe soeben den „Letzten Stollen“ abgeschlossen. Erstens heißt es „Pfiat Enk!“ und nicht „Pfiat Euch!“, zweitens ist die ewige Biersauferei vom Gasperlmaier auf die Dauer albern. Und schließlich hätt ich schon gern gewusst, was zum Geier die Flacherdler bitteschön mit den „Rechten“ zu tun haben? Schmarrn! Aber vielleicht kommt ja endlich ein Krimi-Autor mal wieder ohne Seitenhiebe auf Nicht-Linke aus. Zu hoffen wär’s …“

Wenn mir das passiert, gehe ich sofort in die Diskussion, ich verteidige mich, ich rechtfertige mich und sage: „Ja, aber … ich schreibe nicht nur Kritik gegen Rechte, auch gegen Linke!“ Er antwortet: „Ja, aber …“ Ich antworte wiederum: „Ja, aber …“ Und das wiegelt sich dann zu einer Katastrophe auf.

Was macht der Herr Dutzler? Er schreibt kurz und prägnant:

„Wer einen Naziorden als Profilfoto verwendet, disqualifiziert sich selbst.“

Und zwar hast du das am 12. Februar 2019 um 8.41 Uhr geschrieben. Das war ein Dienstag. Und zwar waren da keine Semesterferien, denn die haben in OÖ erst am 18. Februar 2019 begonnen. Wahrscheinlich hast du das in der kleinen Pause zwischen erster und zweiter Unterrichtsstunde, flott im Konferenzzimmer, geschrieben.

Und weil mich dieses Thema so fasziniert hat – der Lehrer Prof. Dutzler –, habe ich an deiner ehemaligen Schule angerufen …

… und zwar im Schloss Wagrain in Vöcklabruck. Irena Marjanovic vom Sekretariat war dran. Die ist neu und noch nicht so lange an der Schule. Ich habe gesagt: „Mein Name ist Andreas Gruber, und der Herr Professor Dutzler bekommt dieses Jahr den Österreichischen Krimpreis verliehen, und ich darf die Laudatio halten. Ich möchte gern über ihn recherchieren.“ Und sie hat geglaubt, das ist Gernot Kulis, der Ö3-Call-Boy. Meine Anfrage wurde dann an den Herrn Direktor Manfred Kienesberger weitergeleitet, der hat dann mit der Personalvertreterin gesprochen. Die haben Kontakt mit mir aufgenommen.

Am Tag der offenen Tür, Samstag, 22. Oktober, also letzte Woche, bin ich nach Vöcklabruck gefahren, um mit Lehrern und Schülern über dich zu sprechen.

Einige ehemalige Mitschülerinnen sind selbst, wie du später auch, Lehrer geworden und auch einige Schülerinnen, die du unterrichtet hast, sind mittlerweile auch Lehrerkolleginnen geworden. Mit denen habe ich gesprochen. Und so hatte ich eine breite Quelle an Recherchen angezapft, um mehr über dich zu erfahren.

Kurzer Einschub: Herbert und ich haben uns übrigens letzte Woche in Innsbruck beim Tiroler Krimifest getroffen, und in einem Pub geplaudert. Und zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon alles über ihn, musste mich aber dumm stellen.

Völlig naiv habe ich ihn gefragt: „Du hast doch früher unterrichtet, oder?“ Und mehrmals wäre mir fast ein „Ja, richtig, das weiß ich eh!“ herausgerutscht.

Das ist übrigens noch nicht die Laudatio. Das ist das Vorwort. Das ist die Einleitung. Der Prolog. Die Laudatio kommt noch.

Und da sind wir auch schon beim Thema: Einer deiner Lieblingsautoren ist der schottische SF-Autor Iain Banks. Vielleicht bist du – als Sci-Fi-affiner Mensch – auch ein bisschen mit dem Film Matrix vertraut. Neo, der von Keanu Reeves gespielt wird, werden zwei Pillen angeboten: eine rote und eine blaue. Die blaue führt ihn zurück in seine heile Welt, in die Illusion, die rote Pille zeigt ihm schonungslos die Realität. Er muss sich für eine entscheiden. So … und ich habe zwei Reden vorbereitet. In einem roten und in einem blauen Kuvert! Wie heißt die Mehrzahl von „Laudatio“? Richtig, Herr Professor, Laudationes. Ich musste im Duden nachschauen!

In einem Kuvert befindet sich eine Laudatio über deine herausragenden schriftstellerischen Leistungen. Im anderen Kuvert befindet sich die schonungslose Wahrheit über den Professor Herbert Dutzler, wie er wirklich ist, erzählt von seinen ehemaligen Schülerinnen und Lehrerkollegen. Ich weiß nicht, wo was drinnen ist! Ich habe es blind eingepackt. Du musst dich entscheiden! Es tut mir leid … es ist …

© Fotowerk Aichner

Die schonungslose Wahrheit über Herbert Dutzler

Du bist geboren in Schwanenstadt und wohnst dort in deinem Elternhaus. Du hast in deiner Kindheit die Ferien in Altaussee verbracht, ca. 1 Std. entfernt, wo deine Gasperlmaier-Romane spielen. D.h. das Setting deiner Romane sind autobiografische Erinnerungen an deine Kindheit. Du war selbst kein Lehrerliebling, hast im BG Vöcklabruck ein Jahr wiederholt. Und Undemokratisches hat dich bereits als Schüler auf die Palme gemacht. Du warst immer ein loyaler Schulfreund und später auch ein loyaler Kollege, der zu seinem Wort gestanden hat. Du hast deine Frau, die Uli, noch als Schüler an der Schule kennengelernt, die dann später auch Lehrerin wurde und Mathe unterrichtet. Ende der 80er hast du deinen Schülerinnen am Pensi, dem Gymnasium in Gmunden, Ort der Kreuzschwestern, eine reine Mädchenschule, schon erzählt, dass du eines Tages einen Roman schreiben möchtest.

Du warst ein fortschrittlicher Lehrer, hast vom Erlebnisaufsatz Abstand genommen und bereits Zeitungsartikel im Unterricht verwendet. Du hast deinen Schülerinnen H.C. Artmann vorgelesen. Und später deine jungen Kolleginnen im Umgang mit dem Computer geschult, wie man z.B. mit PowerPoint Filme macht. „Was will uns dieser alte Dattel beibringen?“, haben deine jungen Kolleginnen zunächst gedacht, dann aber nur so gestaunt, wie fit der Herr Prof. ist. Leider waren deine Schulungen aber erfolglos, denn sie können heute immer noch nicht mit dem PC umgehen.

Und nebenbei bemerkt: Im Konferenzzimmer schaut es schrecklich aus. Alles voll geräumt, kein Platz!

Du hast Sprachreisen organisiert. Du hast Lese-Beweismappen eingeführt. Und warst der erste Professor, der auf Laptop umgestellt hat, wodurch deine Kolleginnen im Konferenzzimmer an ihren engen Schreibtischen mehr Platz hatten – und wie ich mich selbst davon überzeugen konnte, haben die ihn dringend notwendig. Du warst ein effizienter Arbeiter, immer gut strukturiert, gut organisiert und sehr diszipliniert.

Das hast du auch von deinen Schülerinnen verlangt. Du wolltest den Kindern kritisches Denken beibringen. Vor allem auch gutes Benehmen. Wobei … ich denke da nur an die fliegende Kreide!

Du bist in der Kommunikation wahnsinnig effektiv. Du bringst es auf den Punkt und bist kein Dampfplauderer. Du hast die Pausen stets in der Lehrerküche verbracht, und dort warst du der Einzige, der es geschafft hat, in nur fünf Minuten alles zu erfahren, was du wissen wolltest, um danach wieder pünktlich in der Klasse zu sein. Du bist neugierig und interessiert, und du hast gern diskutiert.

Ja, das stimmt, denn man kann mit Herbert Dutzler keinen Smalltalk führen. Das ist unmöglich! Wenn man ihn trifft und fragt: „Wie war die Fahrt nach Velden?“

  • Landet man bei der Verkehrspolitik der ÖBB

Wenn man nebenbei erwähnt: „Zum Glück ist heute ein schönes Wetter.“

  • Landet man beim Klimawandel.

Das ist das Schöne an dir. Du bist an den wichtigen Themen des Lebens und der Gesellschaft interessiert.

Bei Maturareden und offiziellen Anlässen, wo du übrigens sehr launige Reden hältst, trittst du immer gern in Lederhose auf. Als du einmal viel Gewicht abgenommen hast, und du dir deine Lederhose enger hast machen lassen, hattest du Bedenken, dass sie dir vielleicht später einmal nicht mehr passen könnte. Aber bei Recherchen hast du herausgefunden … ich zitiere dich selbst: „Der Hintern wird bei alten Männern nicht mehr größer!“ Ein schöner Aphorismus!

Du warst einmal sehr stolz, als dich ein Schüler um ein Autogramm gebeten hat. Dann hat er allerdings gesagt: „Vielen Dank, das ist für meine Oma!“

Du war ja mehrmals beim ORF eingeladen, einmal aber als „Stargast“. Wenn du Hausarbeit daheim machen solltest, willst du dich oft davor drücken, weil du ja ein „Stargast“ bist, aber das lässt die Frau Dutzler, die Uli, nicht zu. Weiter so, Frau Dutzler! Das ist der richtige Weg, mit Star-Autoren umzugehen!

Einmal wurdest du von einem Kollegen gefragt: „Sind dir die Lesungen nicht langweilig?“ Und deine knappe und präzise Antwort war: „Im Vergleich zur Schule sind Lesungen viel besser, weil:

  • man sich nur 1 x vorbereiten muss,
  • immer das Gleiche liest,
  • man das Honorar nimmt
  • und am Ende wird applaudiert.“

Auch ein schöner Aphorismus!

Alle deine Kolleginnen erkennen in den Romanen schulische Situationen aus dem Konferenzzimmer wieder. Die Kolleginnen unterhalten sich dann darüber in der Lehrerküche. Und sie haben nach den ersten beiden Bänden kritisiert, dass in deinen Gasperlmaier-Romanen zu viel Busen-Schauen vorkommt. Du hast versprochen, dass du den Gasperlmaier in Therapie schickst. Aber darauf warten deine ehemaligen Kolleginnen immer noch.

Ich soll übrigens die Namen der Kollegen bei der Laudatio nicht erwähnen, darum haben sie mir auch nicht verraten, wie sie heißen … Aber! Aber es war ja „Tag der offenen Tür“, als ich dort war, und die hatten alle Planketten und Namensschilder an der Kleidung. Wir Autoren sind ja halbe investigative Journalisten. Also wenn du wieder einmal nach Vöcklabruck kommen solltest, verrate ich dir, wen du aller auf ein Achterl einladen musst. Ich soll jedenfalls ganz liebe Grüße von allen ausrichten.

So, wir haben noch fünf Minuten Zeit, schauen wir rein, was in der Laudatio steht:

Die Gasperlmaier Krimis …

Mag sein, dass Inspektor Franz Gasperlmaier unter Höhenangst und Flugangst leidet, ein Ermittler ist, der sich von einem Fettnäpfchen zum nächsten rettet, und der lieber bei einem Bier oder Obstler und einer Leberkäsesemmel beim Kirtag sitzt, und lieber den üppigen Damen nachschaut, als einen Mordfall zu ermitteln – aber genau deshalb gibt es ja die kluge und toughe Frau Dr. Kohlross vom Bezirks-Polizeikommando Liezen, selbstsicher und elegant in Highheels, die die Ermittlungen forciert, wodurch die beiden ein humorvolles Team bilden. Wenn Dr. Kohlross ein Porsche ist, dann ist Gasperlmaier ein VW-Käfer – aber manchmal braucht man beides, um vorwärts zu kommen.

Außerdem ist Gasperlmaier mit der intelligenten und scharfsinnigen Christine, die übrigens auch Lehrerin und Schulleiterin im Ort ist, verheiratet. Dann gibt es auch noch seine kluge und engagierte, aber manchmal auch zickige Tochter Katharina, die später auch noch eine Lebensgefährtin bekommt. In Gasperlmaiers Welt dominieren also die starken Frauenfiguren. Und er selbst ist ein normaler und warmherziger Mensch, der versucht, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Die Figuren entwickeln sich in Dutzlers Reihe weiter – Gasperlmaier wird Postenkommandant, er bekommt eine neue junge Kollegin, Kohlross bekommt ein Baby, seine Tochter eine Lebensgefährtin, Sohn Christoph wohnt in Kanada, Gasperlmaiers Frau nimmt ein Sabbatical und besucht ihn … so ist immer was los in den Büchern.

Sein Können beweist Dutzler u.a. auch im Zeichnen schräger Nebenfiguren, wie dem Gerichtsmediziner, dem das Fingerspitzengefühl fehlt, dem Dorfpfarrer, der ein Verhältnis mit einer Lehrerin hat oder einer lästigen Reporterin. Er schaut den Menschen aufs Maul und schreibt die Dialoge so, wie die Menschen reden. Natürlich leben die Romane vom Lokalkolorit, aber es fehlt auch nicht an scharfer, bissiger Kritik an der so scheinbaren dörflichen Idylle, ohne dass Dutzler jemals belehrend wirkt.

Würde man Herbert Dutzler aber nur auf seine Gasperlmaier-Romane reduzieren – die zwar den Großteil seines Schaffens ausmachen, aber eben nicht alles sind – würde man ihm keinesfalls gerecht werden. Es steckt noch viel mehr in diesem brillanten Erzähler.

InDie Einsamkeit des Bösen

beschreibt Dutzler die schreckliche Kindheit von Alexandra, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist, was fast einem Martyrium gleicht. Viele Zeit später, als erwachsene Frau, nach Jahren der Hin- und Her-Gerissenheit zwischen Gewalt und Schuldgefühlen, beginnt ihre Fassade langsam zu bröckeln und die Wut ihrer Kindheit bricht hervor.

Am Ende bist du still

In diesem psychologischen Krimi nimmt uns Herbert Dutzler mit in den Kopf und in die Gedanken einer jungen Frau, die unter der großen omnipräsenten Liebe ihrer Mutter, einer kontrollsüchtigen Herrscherin, leidet, sodass sie beschließt, sich zu befreien und diese zu töten.

InDie Welt war eine Murmel

nimmt uns Herbert Dutzler, ausgehend von einer Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt, mit auf eine Zeitreise in das Jahr 1968, als der zehnjährige Sigi – im selben Jahr geboren wie Dutzler selbst –, mit dem Zug in die Schule fährt, Karl May liest, am Bach hinter dem Haus spielt und die Welt entdeckt. Sigi erinnert sich an die Aufnahmeprüfung aufs Gymnasium und an die Zeit, wo er von seinen Mitschülern verdroschen wurde. Höchstwahrscheinlich sehr autobiografisch – doch letztendlich steckt in uns allen, die diese Zeit miterlebt haben, ein wenig von Sigi.

In der Schlinge des Hasses

… ist der beklemmende Blick in den Kopf des kleinen Jungen Leo, der durch seine Erziehung und sein äußeres Umfeld zu einem hasserfüllten, rechtsradikalen Mörder wird. Fazit des Romans: Faschisten werden nicht geboren, sondern gemacht.

Dadurch dass Herbert Dutzler Lehrer im Ruhestand ist, war er fast 40 Jahre mit dem Thema konfrontiert, wie Menschen sich entwickeln, und wodurch Menschen sich entwickeln. Wie man diese Entwicklung prägen und manipulieren kann. Das zwischenmenschliche Spiel zwischen Jugendlichen und zwischen Kindern und Erwachsenen ist eines der großen Themen in seinen Romanen abseits der Gasperlmaier-Krimis. Er ist ein Beobachter der menschlichen Psyche und entdeckt und beschreibt Ursachen der Welt, wie sie ist und warum sie so ist.

Wie entsteht Hass? Wie wird man zu Psychopathen? Wie wird man zur Mörderin?

Die Antworten darauf findet man in Herbert Dutzlers Romanen, in denen er facettenreich die Emotionen seiner Figuren auslotet.

Dutzler erzählt in vielen Rückblenden, Erinnerungen, Rahmenhandlungen, zeitlich verschobenen Handlungssträngen oder kursiven Einschüben, teils in Ich-Form, teils in der dritten Person. Und es bleibt dabei immer spannend, interessant und lehrreich. Die Romane sind dadurch nicht nur inhaltlich, sondern auch formal abwechslungsreich.

Lieber Herbert, ich wünsche dir, dass du dir deine Neugierde, deine Beobachtungsgabe, dein Interesse am Menschen, deine Faszination für Sprache, Text und Geschichten, deinen Erfindergeist, deine Inspiration, Kreativität und Schaffensfreude noch lange beibehältst, und du – obwohl du den Krimi-Preis gewonnen hast, wie du selbst sagst – noch nicht am Ende deiner literarischen Großglockner-Tour angekommen bist. Mögen noch viele Jahre ins Land ziehen, bis du am „Letzten Gipfel“ angekommen bist und dein „Letztes Kapitel“ geschrieben hast.

Danke!

Kitsch, Kommerz, kulturpolitische Waffe: Wem gehört die Tracht?

Man schmückt sich mit ihr auf Volksfesten, Hochzeiten und Empfängen. Patriotische Modelabels haben sie für sich entdeckt. Trachtenvereine pflegen sie in ihren regionalen Ausformungen, die Designer der Haute Couture bringen sie neu interpretiert auf die Laufstege der Welt. Politiker*innen verschiedenster Lager tragen sie, andere verweigern sich ihr. Die einen hassen, die anderen lieben sie: die Tracht. Egal, in welchen Farben und in welchem Kontext sie getragen wird – eines ist sie immer: ein Statement. Aber wofür? Ist sie für dich ein farbenfrohes Zeichen regionaler Tradition und Zugehörigkeit? Oder nationalistische Gesinnungskleidung? Symbol einer „Leitkultur“? Oder doch einfach nur ein schönes Stück Stoff?

Elsbeth Wallnöfer macht sich in „TRACHT MACHT POLITIK” auf die Spur eines heiß umfehdet, wild umstrittenen Kleidungsstücks. Einen Vorgeschmack dazu gibt es in unserer Leseprobe: 

Illustrationen von Marie Vermont geben Einblick in die Geschichte der Tracht

Eben weil Tracht und Dirndl derart diffus ahistorisch überfrachtet sind, weil sie entlang eines kulturellen Wertegesetzes rauf- und runterdekliniert wurden und werden, kommt es neuerdings zu so was wie Urheberrechtsdebatten. Die Exegeten aller Genres bringen sich in Stellung, weil sie die Idee der schöpferischen Urheberschaft des Volkes in diesem Kleidungstück verdichtet sehen. Derlei Absurditäten fanden jüngst Ausdruck in der Auseinandersetzung zwischen einer rumänischen Region und dem Haus Dior in Paris. Gegenstand des Anwurfes war ein besticktes Schaffell-Gilet. Als Dior Anleihe bei einer nordrumänischen Felljacke nahm, war der Aufschrei groß, man sah die kulturelle Identität auf dem Jahrmarkt veräußert. Von Diebstahl an der Kultur anderer war die Rede. Gar eine Initiative wurde gegründet, die sich bemühte, sich als die Hüterin originärer Kultur darzustellen. Die darin gebündelten Kräfte riefen dazu auf, die von Dior angepriesenen Stücke wären bei den Frauen in Rumänien günstiger zu bekommen und darüber hinaus noch in einer besseren Qualität und überhaupt hätte das Haus Dior nicht einen Cent an die Frauen gespendet. Nun, vielleicht mag es stimmen, dass die Qualität der bestickten Schaffelljacke bei den Rumäninnen besser ist. Dennoch könnte sie auch schlechter sein. Zudem muss man wissen, dass sich bis zum Zeitpunkt dieser Erregung kein Mensch auch nur annähernd für derlei Exotismen außerhalb dieser Gebiete interessierte. Die zusätzliche Schwierigkeit, welcher Kultur in welchem Gebiet Dior nun Geld löhnen sollte, ist ohnehin nicht zu klären, denn die Entlehnung berührt die nordrumänische und bukowinische (heute Ukraine) Kultur gleichermaßen.

Eine Urheberrechtsdebatte erübrigt sich aufgrund historischer Bedingungen, denn folgten die Identitätsprediger ihren eigenen Spuren, würden sie entdecken, dass so genannte Volkskunst keinem personal gestalteten Kollektiv entspringt, ein alleiniger kollektiv geformter Urheber unmöglich ausfindig gemacht werden kann. Dem Prinzip der Mode entsprechend versuchte auch hier ein Mensch oder mehrere, aus den zur Verfügung stehenden Rohstoffen (was man halt so hatte) sich zu behübschen. Begehrlichkeiten führten dazu, dass sich die Nachbarinnen untereinander kopierten. Tracht, Dirndl u. ä. fielen, wären sie identitätsstiftender Bestandteil eines Kollektivs, bei Verletzung desselben unter das Völkerrecht. Was dies verhieße, mag man sich gar nicht ausmalen.

Die bisherige Maßregelung der Gesinnungsfolkloristen, Volkskunst, Tracht und Dirndl seien Wesensmerkmale einer in sich verbundenen Gemeinschaft und sollten unverändert an die folgenden Generationen weitergegeben werden, sollte als das deklariert werden, was es ist: eine Erzählung, die von einigen Wenigen in Umlauf gebracht wurde und die ein politisches Ziel verfolgt. Nämlich Kultur und Wesenszüge zum Zwecke eines idealisierten Gestaltungswillens einer Nation ursächlich miteinander zu verbinden.

Nicht selten wird in Zusammenhang mit dem Thema auch die Frage nach dem Geschmack gestellt. Steht ein Dirndl jeder? Darf es sexy sein? Wie viel Dekor verträgt ein Dirndl? Wie kurz darf, wie lang muss es sein? Kann man Nagellack dazu tragen, oder eine Uhr? In welchem Verhältnis und Abstand sollen Schürze und Rock zueinander getragen werden und so weiter und so fort. Darauf gibt es keine abschließend richtige Antwort, denn es ist nur ein Kleidungsstück, das allein der eigenen, individuellen Behübschung dienen sollte. Die Demokratisierung ermöglicht uns, frei zu wählen, wie und was wir tragen möchten. Dass das gute Kleidungsstück als Arme-Leute-Gwand, als bäuerliches Gwand, eine steile Karriere als sommerlich modisches Stück genommen hat, es aber auch bei jenen, die keine Wahl hatten, als antimodisches Stück so schnell wie möglich abgelegt werden wollte, beweist einmal mehr, dass es nichts weniger ist als ein Ergebnis menschlicher Kreativität. Jene, die glauben, Tracht und Dirndl seien der Inbegriff deutschkultureller Tradition und hätten somit normativ unabänderlich gleich zu bleiben, denen sei gesagt, alle Kulturen hatten zu irgendeiner Zeit eine für sie typische Kleidung. Wir wissen inzwischen, dass dies mit den Ressourcen und Rangordnungen zu tun hat, genauso wie mit politischen, modischen Strömungen und dem Begehren einzelner Individuen, die sich zu Experten aufgeschwungen haben. Die Vorstellung dessen, was schön ist, verläuft in etwa im Zyklus der Jahreszeiten, man denke an die Haute-Couture-Schauen und deren Frühjahrskollektionen, Herbstkollektionen usf.

Jenen religiösen Eiferern, die glauben, man sei mit einem von den Verbänden regulierten Dirndl oder einer Tracht stets gut angezogen, sei entgegnet, dass auch nicht jede Figur in eine Leggins passt. Selbst eine Jeans steht nicht allen. Rufen wir uns noch mal den Römer Ovid in Erinnerung, der in der Antike bereits Styling-Tipps gab. Warum sollte das hier behandelte Kleidungsstück eine Ausnahme bilden? Gerade, weil Menschen ihre Kleidung in erster Linie nicht erfunden haben, um patriotische Phantasien zu befriedigen, sondern um erstens gekleidet zu sein, und zweitens um sich zu behübschen, nimmt es nicht wunder, wenn wir Tracht, Dirndl oder Lederhose in allerlei Abbildungsformen begegnen.

Elsbeth Wallnöfer, geboren in Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und lebt in Wien. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem. Foto: Haymon Verlag / Fotowerk Aichner

Die barbiehafte Behübschung der Society-Moderatorinnen im deutschen Fernsehen zur Münchner Wiesnzeit, die Fußballerfrauen im Dirndl, der Besuch von berühmten Sternchen wie der Hotelerbin Paris Hilton sind nichts als gespiegelte Realität gängiger Praxis des Schönheitsputzes im Alltag. Gleiches gilt für die lederhosenbewehrten Männer, die, wie ein österreichischer Verhaltensforscher mal meinte, durchaus einer naturgegebenen Konstante von männlichem Imponiergehabe folgen und dies mit dem Imponiergehabe von Primaten verglich. Vielleicht ist der Mensch nichts als ein Aff’ in Trachten-, Dirndl-, und Lederhosenkleidung.
Damit erübrigte sich beinahe, die andere Seite der soziologischen Trachtenwirklichkeit zu erwähnen, den ausgeprägten Distinktionskapitalismus, der in der Tracht steckt und sich bei lokalpatriotischen Bällen geballt zeigt. Im kollektiven Rausch wird ein Lob auf die Tradition ausgerufen, Märsche werden gespielt und selbst bei inoffiziellen Hymnen wird (speziell bei den Tirolern) aufgestanden, mitgesungen, die Hand aufs Herz gelegt und am Ende salutiert.

Frauen in einfachem Ballkleid, die selten genug vorkommen, oder junge Frauen in Dirndln vom Discounter werden auf Trachtenbällen schief angesehen und schmallippig begrüßt. Es kommt schon vor, dass sie von den Ballfotografen, die beim Einlass stehen und sich wie Experten gerieren, erst gar nicht abgelichtet werden. Die Ballsaison birgt die Chance zur rituellen kollektiven Selbstzelebration. Sie dient, auch wenn es einige nicht wahrhaben wollen oder verharmlosen, der Selbstaufrichtung einer ganz bestimmten kollektiven Identität. So gut wie nie findet man im Landhausstil gekleidete Menschen auf solchen Bällen. Werner Kogler, seit 2020 grüner Vizekanzler und Steirer, wurde dafür kritisiert, dass er bei der Angelobung keine Krawatte trug, auch war er nicht dafür bekannt, Trachtenjanker zu tragen. Das hat man ihm schnell abgewöhnt. Der auf die Ballsaison fallende Regierungsbeginn ließ ihn recht schnell in einem grün-grau-steirischen Trachtenfrack auf dem Steirerball erscheinen, zusammen mit Umweltministerin Leonore Gewessler, die sich in einem von einem Salzburger Trachtendesigner moderat zitierten Outfit zeigte und das auf Erzherzog Johann (1782–1859), einen Habsburger, der seiner Liebe zum Landleben bis hin zu einer morganatischen Verbindung mit einem Landmädchen nachging, verwies.
Die politische Vergangenheit des Trachtenjankers hatte die politische Gegenwart eingeholt.

Und du? Hast du jetzt Lust bekommen, Omas Dirndl aus dem Keller zu holen? Oder doch eher, deines in den Altkleidersack zu packen? So oder so: Dieses Buch wird dich fesseln! Elsbeth Wallnöfer erzählt von Menschen, Moden und Mythen und legt frei, was vom Dirndl übrigbleibt, wenn Landromantik, politisches Korsett und die hartnäckigsten Irrtümer abgetragen sind. Ein hervorragend recherchierter, ebenso pointierter wie leidenschaftlicher Text – und ein beherzter Aufruf, sich das Dirndl zurückzuerobern! Mit zahlreichen farbigen Illustrationen und einem kunstvoll gestalteten Plakat. Hier geht es zum Buch!

Die ganz große Hundeliebe – Tatjana Kruse in Höchstform

Batman hat Robin, Bonnie hat Clyde – und Pauline Miller hat Radames. Doch während der Proben zur Aufführung der „Turandot“ auf der Bregenzer Seebühne geschieht es: Ein brutaler Dognapper entführt Radames! Kein Wunder, dass Pauline außer sich ist, wird sie doch sonst auf Schritt und Pfötchentritt von ihrem Boston Terrier begleitet. Der gute Radames fällt zwar immer wieder spontan ins Delirium – er leidet an der Schlafkrankheit Narkolepsie und sinkt bei emotionalem Aufruhr sofort in tiefen Schlummer –, ist aber immer an Paulines Seite, stets bescheiden und stumm. Äh. Nun ja. Reden können Hunde eben auch nicht. Aber nun ist Radames trotzdem am Wort – denn Tatjana Kruse gewährt exklusive Einblicke ins Tagebuch des narkoleptischen Hundehelden.

Und den geneigten Leserinnen und Lesern sei verraten: Die Aufzeichnungen enden kurz vor dem Moment von Radames’ Verschwinden!

*Radames Miller, Ray of the Ridgebridge

Aus dem Tagebuch des Radames*

Bregenz am Bodensee, Tag 1

Das beste aller möglichen Leben, ich führe es! Mein geliebtes Frauchen hat mich heuer mit an den Bodensee genommen, was mir sehr entgegenkommt, weil ich doch am liebsten in stehende Gewässer pinkle. Wir wohnen in einer Villa mit vielen Säulen, die ich alle schon der Reihe nach markiert habe. Mehrmals. In letzter Zeit habe ich Probleme mit der Prostata, bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Ich darf frei im riesigen Garten herumlaufen. Und wir machen Bootsausflüge nach Bregenz, wo sie mir heute begegnet ist, die Liebe meines Lebens. Sie ist wunderschön, weiß wie der Schnee … und eine Schwänin. Also, ein weiblicher Schwan. Das wird zu hochgezogenen Augenbrauen und Gerede führen, schon klar, aber ich unterscheide nicht nach Rasse oder Religion. Jede Liebe hat ihre Berechtigung! Noch zeigt sich meine Schöne spröde, aber ich werde ihr Herz gewinnen, koste es, was es wolle! Frauchen hat mich schnöde weggetragen, bevor ich mich meiner Liebsten erklären konnte, aber wir sind ja immer mehrere Wochen an einem Ort, mir bleibt also noch genug Zeit für mein Werben. Sorgen mache ich mir keine. Bitte, man schaue mich nur an! Wer könnte auf Dauer schon nein zu mir sagen!

Meinen Liebeskummer konnte ich mit Würstchen im Schlafrock bekämpfen, die ich in einem unbeobachteten Moment von einem Silbertablett im Probenraum des Festspielhauses stibitzte. Bin heute nur zweimal narkoleptisch weggenickt. Das liegt womöglich an den Handauflegungen und Aromatherapiesitzungen dieses ominösen Hunde-Energetikers namens Simian, den Frauchen für mich angeheuert hat. Ich mag ihn nicht! Aber mich fragt ja keiner …

Bregenz, Tag 2

Ich bin heute auf dem Cover der Festspielzeitung. Mit roter Samtschleife um den Hals. Sexiest Terrier Alive, wenn ich das mal selber sagen darf! Ich wünschte, meine wunderhübsche Schwanenfrau könnte mich so sehen. Während mein Frauchen probt, geht ihr Papa mit mir ins Museum. Ich darf den Blindenhund spielen. Großer Spaß! Aber mir fehlt meine geliebte Schwanenprinzessin.

Sexiest Terrier Alive und Covermodel

Bregenz, Tag 3

Vereint, endlich vereint! Ich traute meinen Terrieraugen nicht, als ich sie heute bei der Morgenrunde am Bootshaus traf. Kann es etwas Schöneres geben als Liebe, die erwidert wird?! Sie dümpelte auf den leise plätschernden Wellen des Bodensees, ich lag direkt am Ufer und sah ihr in die liebreizenden, nachtschwarzen Knopfaugen. Und dann: Er war wunderbar – der erste Kuss. Hundeschnauze auf Schwanenschnabel: die pure Ekstase. Lasst es mich in die Welt hinausbellen: Ich liebe diesen Schwan!

Als meine Liebste dann gründelte und Popöchen übers Wasser hob, konnte ich nur noch hecheln. Wuff! Doch dann fiel ich vor Aufregung wieder ins narkoleptische Schlafkoma …

Und wie spektakulär es mit Radames am Bodensee weitergeht, erfahrt ihr in Tatjana Kruses neuem rabenschwarzen Pauline-Miller-Krimi „Glitzer, Glamour, Wasserleiche”.

Leseprobe: „Interview mit einem Mörder” von Bernhard Aichner

Atemlos, gnadenlos, schnell: jetzt testlesen! Der neue Krimi von Shooting-Star Bernhard Aichner.

Exklusiv! Gehören Sie zu den allerersten Lesern des neuen Krimis von Shooting-Star Bernhard Aichner! Der Autor der internationalen Bestseller „Totenfrau“ und „Totenhaus“ hat ein neues Buch geschrieben – und es wird Ihnen den Atem rauben. Kurze Sätze, überraschende Wendungen, geniale Dialoge: Der unverwechselbare Sog, in den Bernhard Aichners Bücher ziehen, machte ihn weltweit bekannt. Aber lesen Sie selbst …

Was bisher geschah: Ex-Fußballprofi Johann Baroni, der sich nach der Sportlerkarriere aufs Wurstbratgeschäft spezialisiert hat, eröffnet einen neuen Würstelstand. Doch mitten in dem ausgelassenen, festlichen Treiben fällt plötzlich ein Schuss – und Baroni sinkt zu Boden.

Sein bester Freund, der Totengräber Max Broll, ist völlig außer sich. Doch an eines kann er sich ganz deutlich erinnern: Er hat den Schützen gesehen! Dessen ist er sich sicher. Fink, den Max verdächtigt, scheint allerdings ein harmloser Tourist zu sein. Und niemand will Max glauben.

Als er den Mörder schließlich entspannt durchs Dorf spazieren sieht, verliert Max die Beherrschung und attackiert Fink auf offener Straße. Und nun beginnt sogar seine geliebte Stiefmutter Tilda, die Polizistin ist und Max bisher immer den Rücken gestärkt hat, an ihm zu zweifeln …

7

— Was du hier machst, hilft niemandem.
— Doch, Tilda.
— Ich habe ihn überprüfen lassen.
— Und?
— Er war es nicht, er hat nichts damit zu tun.
— Das kann nicht sein.
— Er ist nur ein Urlauber aus Wuppertal, ein harmloser Pensionist. Er ist zum Wandern hier.
— Nein, nein, nein.
— Doch, Max. Egal, wie oft du es noch sagst, er war es nicht. Egal, wie dumm du dich noch anstellst, es ist Tatsache, dass er nichts damit zu tun hat. Er war sehr hilfsbereit, hat uns sogar sein Zimmer durchsuchen lassen. Keine Waffe, kein Motiv, gar nichts. Es gibt keinen einzigen Grund, warum er getan haben sollte, was du ihm vorwirfst. Keinen.
— Doch, Tilda.
— Es reicht wirklich, Max. Die Kollegen haben Recht, du hast den Bogen überspannt.
— Ich habe es in seinen Augen gesehen, Tilda.
— Dass er ein guter Mensch ist, oder was? Das ist er nämlich, er hat keine Anzeige gegen dich erstattet.
— Warum nicht?
— Weil er seine Ruhe will. Er hat gesagt, dass er auch schon Dinge gemacht hat, die ihm nachher leidgetan haben. Du hast großes Glück, dass du an ihn geraten bist. Ein anderer würde dich durch Himmel und Hölle klagen.
— Irgendetwas stimmt hier nicht.
— Mit dir stimmt etwas nicht, Max. Dein Freund liegt im Krankenhaus, er braucht dich, und du führst dich hier auf wie ein kleines Kind. Dich kann man keine Sekunde lang allein lassen.
— Es ist traurig, dass du mir nicht glaubst.
— Soll ich dir sagen, was traurig ist, Max?
— Was?
— Dass du nicht erwachsen werden willst.
— Ich weiß, was ich gesehen habe.
— Und ich weiß, dass ich keine Lust mehr habe, ständig Feuerwehr für dich zu spielen. Das ist das Leben, Max, und kein Spiel. Du kannst nicht immer nur tun, was dein Bauch dir sagt.
— Doch, Tilda, das kann ich.

So gerne er sie hat. Er schiebt den Suppenteller von sich und steht auf. So gerne er sie überzeugen würde, er lässt es sein. Kurz umarmt er sie noch, dann geht er. Er muss sich alleine um die Sache kümmern, Tilda wird ihm nicht helfen, ihm nicht glauben, egal, wie laut er noch schreit, dass dieser Mann es war. Konrad Maria Fink. Ein Deutscher, Musiker im Ruhestand, ein Unschuldslamm. Ein Name wie ein Faustschlag. Fink. Was für ein abgebrühter Kerl, was für ein Lügner. Keine Anzeige gegen den Verrückten, der ihn verprügelt hat, keine Probleme mit der Polizei, kein böses Wort. Der Fink will seine Ruhe. Nur ein Tourist.

Max weiß, in welcher Pension er wohnt, er weiß, dass es da keine Vorstrafen gab in seinem Leben, mehr hat er aus Tilda nicht herausbekommen. Der freundliche Konrad Maria Fink hat sie an der Nase herumgeführt, hat alle glauben lassen, es sei Unsinn, was Max sagt. Sinnlose Gewalt, die er ablehne. Konrad Maria Fink hat nichts damit zu tun. Alle sind sich einig. Nur Max sagt etwas anderes.

Er besteht darauf. Weil dieses Bild nicht weggeht. Der Mann mit der Waffe. Konrad Maria Fink in Lederhosen, mit kariertem Hemd. Er war es. Und Max wird dafür sorgen, dass es die Welt erfährt. Tilda, die dämlichen Polizisten, die ihm fast den Arm gebrochen haben, Baroni. Er ist es ihm schuldig. Max wird sich darum kümmern, dass derjenige bestraft wird, der auf Baroni geschossen hat. Warum auch immer Fink es getan hat. Ob er ein Auftragsmörder ist, getarnt als Tourist, oder ein Fan, der in die Geschichte eingehen will, Max wird herausfinden, was dahintersteckt. Warum Baroni Schläuche im Mund hat, warum er nicht von alleine atmet und mit ihm Schnaps trinkt. Kein Wasser, sondern Schnaps. Vertraut mit seinem Freund. Betrunken, umarmt, bald wieder. Max betet dafür, jede Sekunde, in der er an ihn denkt. Bald werden sie die Gläser wieder gemeinsam füllen, im Würstelstand sitzen und hinaus auf den Dorfplatz schauen. Und sie werden lachen über das, was passiert ist. Darüber, dass Baroni dem Teufel von der Schippe gesprungen ist. Dem Mann mit den Wanderstöcken und den kalten Augen.

Konrad Maria Fink. Pension Seerose, auch wenn da weit und breit kein See ist. Fink hat dort ein Zimmer gemietet. Tilda hat ihn zwar angefleht, vernünftig zu sein, nicht noch einmal auszurasten, sich von ihm fernzuhalten, doch Max denkt nicht daran. Er wird Fink besuchen, er wird mit ihm reden und herausfinden, warum das alles passiert ist. Warum er da ist. Geschossen hat. Warum er nicht einfach davonläuft.

Max geht die Dorfstraße hinunter, am Kindergarten vorbei, schnell. Bevor der Fremde abreist, will er es hören. Max will wissen, ob er Recht hat. Er will wissen, warum dieser Fremde Baroni das angetan hat. Mit ihm reden. Max beeilt sich. Nur noch Fink ist wichtig. Wie ein Strohhalm ist er, an dem er sich festhält. Weil der Wind geht. Weil alles rund um ihn herum zusammenbricht.

Weil Baroni dabei ist zu sterben.

 

8

Wieder keine Angst. Wie er auf dem Baumstamm sitzt und Pilze säubert. Ein Korb auf seinem Schoß, ein Taschenmesser in seiner Hand, er ist ganz allein. Da ist niemand, der dem deutschen Wanderer helfen würde, keine Polizisten, keiner, der ihn beschützt. Da sind nur Max und Fink.

Mitten im Wald auf einer Lichtung zwei Männer. Ein Gespräch, keine Gewalt. Fink bleibt sitzen, als er Max sieht, keinen Augenblick lang will er aufspringen und rennen, das Einzige, das ihm wichtig scheint, sind die Steinpilze, um die er sich hingebungsvoll kümmert.

Max hat ihn nicht angetroffen in der Pension, die Wirtin hat ihm gesagt, dass ihr Gast im Wald unterwegs sei. Sie habe ihm Tipps gegeben, wo er Pilze finden könne. Max ist ihm gefolgt, über drei Stunden lang hat er ihn gesucht. Kurz bevor er umkehren wollte, hat er ihn entdeckt. Konrad Maria Fink. Sonnenstrahlen, die auf den moosigen Boden fallen, friedlich wirkt alles, ein älterer Herr, der sich die Zeit vertreibt. Nichts scheint bedrohlich, alles, woran Max beim Aufstieg gedacht hat, klingt plötzlich lächerlich. Dass er auf einen Mörder treffen würde, auf einen Psychopathen, dass es wahrscheinlich zu einem Kampf kommen würde. Nichts davon. Max nähert sich, er geht auf ihn zu, die Beute liegt wehrlos vor ihm, er muss nur noch zubeißen. Keine Waffe, die auf Max gerichtet ist, kein böses Wort. Nur ein deutscher Tourist im Wald. Konrad Maria Fink lächelt. Er macht den Mund auf.

— So sieht man sich wieder.
— Du wirst dich nicht rühren, Fink. Und das Messer bleibt, wo es ist.
— Keine Angst, mein Guter.
— Ich habe keine Angst.
— Dann setzen Sie sich doch. Es ist wirklich schön hier, ein herrliches Fleckchen Erde.
— Was soll das?
— Die Hausdame hat mir gesagt, dass es hier die besten Steinpilze der ganzen Region gibt. Eigentlich ist noch keine Pilzsaison, aber hier findet man schon welche. Sie will sie am Abend für mich zubereiten. Eine reizende Frau ist das.
— Hör auf damit.
— Übrigens ist auch Ihre Mutter ein überaus entzückendes Wesen. Sie hat sich sehr für Sie eingesetzt.
— Aufhören, habe ich gesagt.
— Sie hat mich gebeten, von einer Anzeige abzusehen. Was natürlich gar nicht nötig gewesen wäre, weil ich ja ohnehin nie vorhatte, Ihnen Probleme zu bereiten. Ich denke mir, es muss sich alles um ein großes Missverständnis handeln. Ein Trugschluss, der Sie quält.
— Du weißt, warum ich hier bin.
— Ich vermute, es ist wegen Ihres Freundes. Sehr tragisch, was da passiert ist, ich habe es ja mit eigenen Augen mit ansehen müssen.
— Du hast geschossen.
— Nein, das habe ich nicht.
— Ich habe es gesehen.
— Ihre Mutter sagt, dass Sie wohl etwas durcheinander waren an diesem Tag.
— Ich weiß, was ich gesehen habe.
— Sie sind also davon überzeugt, dass ich auf Ihren Freund geschossen habe.
— Und warum sollte ich so etwas tun?
— Sag du es mir. Irgendeinen Grund muss es geben.
— Egal, wie oft Sie es noch wiederholen. Ich habe nichts damit zu tun.
— Ich kriege dich.
— Sie sind hartnäckig, das gefällt mir. Aber wie gesagt, Sie werden sich die Zähne an mir ausbeißen.
— Du warst es.
— Sie können mich verprügeln, wenn Sie wollen, Sie können mich foltern, es wird sich aber nichts daran ändern, dass ich es nicht war. Deshalb werde ich jetzt meine Pilze nehmen und wieder hinunter ins Tal marschieren. Anschließend werde ich herrlich essen und morgen werde ich mit dem Zug weiter nach Italien fahren.
— Du wirst nicht einfach abhauen.
— Abfahrt ist um elf Uhr siebenundzwanzig. Sie können mich ja begleiten, wenn Sie wollen.
— Warum sollte ich?
— Am liebsten würden Sie mich in der Luft zerreißen, stimmt’s?
— Ja.
— So lange, bis ich Ihnen sage, was Sie hören wollen.
—  Genau.
— Ich darf Ihnen einen Rat geben, mein Lieber. Lassen Sie es gut sein. Wie ich gehört habe, hat Ihr Freund überlebt, er wird das Ganze überstehen und es wird Gras über die Sache wachsen. Und wer auch immer dafür verantwortlich ist, er wird nicht wiederkommen.

Max steht da und schaut. Hört zu. Versucht einzuordnen, was da geschieht, was Fink mit ihm macht. Er nimmt ihm die Fackel aus der Hand, macht ihn wehrlos. Mit welcher Ruhe er dasitzt und ihn entwaffnet, mit einem Lächeln, mit klaren Worten, die keinen Zweifel offen lassen. Konrad Maria Fink ist sich sicher. Nichts kann ihm passieren, keiner außer Max hat ihn gesehen, niemand sonst hat auf ihn geachtet, die Polizei hat alle befragt. Da ist nichts. Nur das, was zwischen Max und diesem Mann ist. Diese Gewissheit, die Max antreibt, die mit jedem Wort größer wird, das aus dem deutschen Mund kommt. Diese Gelassenheit mitten im Wald, diese innere Ruhe, die wehtut. Ich weiß, dass du es warst. Dass du mir drohst. Wenn ich dich nicht in Ruhe lasse, werde ich es bereuen. Du wirst auch mich umbringen. Das willst du mir doch sagen, oder?
Max hat es zwischen seinen Worten gehört. Laut und deutlich. Doch da ist nichts, das es beweisen würde, es sind nur die Gedanken eines kleinen Gemeindearbeiters, die nur er kennt. Von außen ist es nur ein verzweifelter Versuch, einen Schuldigen zu finden, der für das Drama verantwortlich ist. Nichts sonst. Max steht da und schaut zu, wie Fink aufsteht und geht. Einmal dreht er sich noch zu ihm um, einmal lächelt er noch. Dann verschwindet Fink im Wald.

 

 

 

Na? Auf den Aichner-Geschmack gekommen?

Weiter geht’s in „Interview mit einem Mörder“ – und alle Infos zum Buch findet ihr hier.

Kroatien-Krimi: Sonne, Meer und Mord

Alle, denen es im Urlaub nicht spannend genug zugehen kann, sollten Elena Martell in „Mörderhitze” kennenlernen. Anekdoten, Bauwerke, Legenden – die patente Reiseleiterin kennt sie alle, doch wo sie auch hinfährt, mysteriöse Todesfälle und Verbrechen verfolgen sie. Auch an der malerischen Küstenlinie Kroatiens, wo sie diesmal eine Kreuzfahrt organisieren soll, lässt die erste Leiche nicht lange auf sich warten …

Egal ob am Sandstrand von Split, in der Altstadt Dubrovniks, auf Balkonien oder dem heimischen Sofa – Elena Martell bringt Sie in Urlaubsstimmung und lädt ein, den Alltag zu vergessen und sich in wärmere Gefilde entführen zu lassen. Dorthin, wo der Gesang der Zikaden, der schwere Dingač und das sanfte Schunkeln des Bootes für wohlige Stimmung sorgen, und dalmatinisches Flair in der Luft liegt. Doch lassen Sie sich täuschen, auch in diesem Urlaubsidyll dauert es nicht lange, bis der erste leblose Körper im Tunfischbecken treibt.

Hier gibt es Kroatien fürs Handgepäck. Folgen Sie uns – wie auch schon bei Elenas Sizilien-Reise – auf die Stationen einer kleinen literarischen Sightseeing-Tour und werfen Sie mit Autorin Eva Gründel einen Blick auf die ersten Stationen einer lesenswerten Rundreise!

Zadar

Nicht zufällig wusste Giorgio über die verwirrende, blutige Geschichte in diesem Winkel Europas Bescheid. Sein Großvater hatte ihm viel vom alten Zadar erzählt, von der Eleganz der italienischen Palazzi, jeder einzelne eine Verbeugung vor dem venezianischen Lebensstil, dem die Oberschicht in der einstigen Hauptstadt Dalmatiens damals huldigte. Vom bescheidenen Wohlstand und dem eigenen Häuschen, zu dem es selbst ein kleiner Angestellter wie er hatte bringen können. Von der Flucht über die Adria nach Triest, von den Auffanglagern für Abertausende Italiener aus Istrien, die es wie er und seine kleine Familie geschafft hatten, den Massakern zu entgehen.

Die Kornaten

„Worauf du dich verlassen kannst. Die Spur führt in die Kornaten. Ich habe mich schlau gemacht. Die 89 Inseln und Felsen, auf denen heute keiner mehr wohnt, wurden 1980 zum Nationalpark erklärt. Noch in den 70er Jahren war das anders, da lebten einige Familien in dem Archipel. Vom Fischfang und dem, was ihre mit Zisternenwasser mühsam bewirtschafteten Gärten hergaben. Oliven, Feigen und Weinstöcke, dazu ein paar Ziegen und Schafe, wir können uns gar nicht vorstellen, wie arm die Leute waren. Das ganze Gebiet eine einzige Karstlandschaft. Karg ist dafür nur ein Hilfsausdruck. Andererseits ist das Meer blitzsauber und so fischreich wie sonst nirgendwo in der Adria. Und irgendwo liegt da unten auf dem Meeresboden das, was wir finden wollen.“

Split

Nach der Römerzeit wurde der Diokletianpalast in eine bewohnte Festung umgewandelt. Nichts anderes ist bis heute die Innenstadt von Split. Der Palast eines Kaisers. Sehen Sie da drüben das Café Luxor? Hier standen einst drei kleine Tempel. Und dort drüben befanden sich die Eingänge zu den kaiserlichen Gemächern.“
Francesca drehte sich um die eigene Achse und deutete auf die Kathedrale, die Säulen und das Winkelwerk der umliegenden Gassen. „Wenn ich Sie richtig verstehe, war das alles hier ein einziger Palastkomplex? Errichtet für nur einen Mann und sein Gefolge? Unglaublich!“
„Und wenn schon! Dafür brutzelt er jetzt in der Hölle. Der mit den letzten ganz schlimmen Christenverfolgungen, das war doch Diokletian, oder?“ Ausnahmsweise äußerte sich Titus nicht auf Latein.

Mit diesem Kroatien-Krimi kann die Reise starten – sowohl im wörtlichen, als auch übertragenen Sinne – „Mörderhitze” ist Unterhaltung und Information von ihrer spannendsten Seite. Solltet ihr euch Elenas Reisegruppe nach Sizilien in „Mörderküste” noch nicht angeschlossen haben, gibt es hier eine kleine Rundreise für euch!

Next stop – England. Aber das ist eine ganz andere Geschichte