Die Welt ruft! Kateryna Babkinas Romandebüt entführt uns auf eine Reise voller Überraschungen quer durch Europa

„Heute fahre ich nach Morgen“: Hunger nach Leben und Antworten ist der Motor, der die bezaubernde Protagonistin des ukrainischen Jungtalents Kateryna Babkina auf ihrer sinnlichen Fahrt ins Unbekannte antreibt. Wir dürfen sie dabei auf dem Rücksitz eines alten Lada begleiten

Die selbstbewusste und abenteuerlustige Künstlerin Sonja genießt ihr Leben in vollen Zügen: Sie ist jung, kreativ und darüber hinaus auch noch wunderhübsch. Sonja saugt alles, was ihr unbeschwertes Leben ihr beschert, in sich auf. Sie tanzt viel, träumt viel, verliebt sich gerne, malt gerne. Ganz ungezwungen, ganz ohne Gedanken an morgen. Warum auch? Schließlich bringt jeder Tag ohnehin etwas Neues, aber doch nichts Aufreibendes, über das man sich große Gedanken machen müsste. Dazu noch eine Liebesgeschichte mit dem aufregenden Luis. Beziehungsstatus? Unbekannt. Aber wieso sich festlegen, wenn es auch so schön und viel unkomplizierter ist.

So könnte es ewig weitergehen, ewig dahinfließen wie die langsam vergehenden und heißen ukrainischen Sommertage … Doch inmitten der leichtfüßigen Idylle nimmt die Sorglosigkeit ein abruptes Ende: Über Nacht wird sie von Luis verlassen. Dann eine Party. Eine Nacht mit einem Unbekannten. Und schließlich die Gewissheit: Sie ist schwanger

Ein Kofferraum voller Fragen, Abenteuerlust und Poesie

Kateryna Babkina, eines der jüngsten, vielseitigsten und vielversprechendsten Talente der Ukraine. Foto: Alina Kondratenko

Das ist der Ausgangspunkt dieser mitreißenden Geschichte, mit der nun erstmals eine deutsche Übersetzung des Romandebüts von Kateryina Babkina vorliegt. Die Autorin, Dichterin und Drehbuchautorin ist eine der jüngsten, vielseitigsten und vielversprechendsten Talente der Ukraine. Selbst vom Lebensgefühl der Generation Y geprägt, kennt sie die Fragen, die sich einer Generation stellen, der zwar alle Türen offenstehen, die aber nicht weiß, was sich in der Welt und Zukunft dahinter verbirgt, nur zu gut. Feinfühlig gelingt ihr die Schilderung der Sinnsuche ihrer Romanheldin von „Heute fahre ich nach Morgen“, auf die sich diese nach dem ersten Schock der Ereignisse einlässt.

Sonja war von der Schwangerschaft derart geschockt, dass sie lange in den hintersten Ecken ihres Inneren kramte, trockene Erinnerungen und feuchte Gefühle, winzige Splitter kleinster Dinge und das leise Stöhnen fremder Geheimnisse durchforstete und trotzdem nicht wusste, wie sie das bewerten sollte, was da gerade mit ihr passierte.

Von der ungeplanten Schwangerschaft überrumpelt, wird Sonja mit ganz neuen Fragen konfrontiert, die sie dazu bringen, sich mit ihren Wurzeln auseinanderzusetzen: Wo will ich hin? Was will ich mit meinem Leben anfangen? Wie bringe ich mich selbst in Einklang mit dem, was da gerade in meinem Bauch heranwächst? Woher komme ich selbst? Und wo zum Teufel steckt eigentlich mein Vater? Angeregt durch ihre Schwangerschaft, will sie den ihr bisher unbekannten Vater endlich finden. Vielleicht wird ihr dann klar, was „Blutsbande“ zwischen Eltern und ihren Kinder sind?

Die ungewohnte Situation ist für Sonja ein grober Einschnitt, aber auch eine neue Perspektive: Die Vergangenheit lässt sich erkunden, aber das alte Leben nicht mehr herstellen. Dafür eröffnen sich ihr bisher unbekannte Wege und Horizonte. Mutig beschließt sie, endlich ins Morgen zu starten.

Von fliegenden Elchen und schlafenden Drachen – die fabelhafte Welt der Sonja

Eine traumhafte Reise: Heute fahre ich nach Morgen

Lebendig und beschwingt erzählt Kateryna Babkina von der Gefühlswelt einer jungen, modernen Frau und würzt ihren Text mit fantastischen Elementen. Auf ihrer Reise begegnen Sonja skurrile Gesichter mit noch skurrileren Geschichten. Da ist zum Beispiel der kleine Besnyk, der zusammen mit seiner Familie in einer versteckten Hochhaussiedlung im Wald vor Sonjas Heimatstadt lebt. Oder das homosexuelle Pärchen Po und Pu, das sie noch aus Schultagen kennt. Und dann erst der geheimnisvolle Kai, der mit seiner ungewöhnlichen Geschäftsidee, Wunder zu verkaufen, durch Europa zieht. Sonjas Reise ist abenteuerlich, traumhaft und erfrischend verrückt!

Kateryna Babkina schafft es, in ihrem Roman die ernsten Lebensfragen einer ganzen Generation zu stellen, auf ungezwungene, humorvolle und poetische Art. Und auf eine ziemlich spritzige noch dazu, denn Sonja macht sich hinter dem Steuer ihres alten Lada auf die Reise. Eine Reise als Selbstfindung, zum Sortieren des eigenen Lebens, der eigenen Ängste, Sehnsüchte, Wünsche und Ziele. Aus der Ukraine nach Polen, von Krakau nach Katowice, in die pulsierende Metropole Berlin, von dort aus nach – aber halt, zu viel wollen wir nicht verraten!

Folge Sonja auf ihrer Reise quer durch Europa und genieße diesen engen Tanz von Poesie und Prosa.

Du interessierst dich besonders für Literatur aus der Ukraine?
Dann bist du bei uns an der richtigen Adresse! Neben Kateryna Babkina haben wir in Zusammenarbeit mit unseren Übersetzer*innen auch andere wundervolle ukrainische Stimmen ins Deutsche gezaubert: Andrej KurkowSerhij ZhadanMaria MatiosOleksij TschupaNatalka Sniadanko, Jurij Wynnytschuk und Oleksandr Irwanez erzählen in ihren Büchern von der Buntheit eines Landes, seiner Bewohner*innen von heute und damals, von seiner Geschichte und dem Hauch Zukunft und Widerstandsgeist, der die literarischen Werke immer umweht. Viel Spaß beim Entdecken!

Schreiben, wo der Puls der Zeit pocht: Das „Logbuch der Gegenwart” von Aleš Šteger

Einmal im Jahr sucht sich Aleš Šteger einen Tag und einen Ort aus, setzt sich dort zwölf Stunden hin und fasst seine Eindrücke in Worte. Stets sind es Orte, an denen der Puls der Zeit besonders spürbar pocht, Orte, an denen er als Schriftsteller den Finger mitten in die Wunden unserer Gesellschaft legen kann. Das ist Literatur in Echtzeit – ungefiltert und einzigartig in ihrer Unmittelbarkeit.

Belgrad, 2. August 2015. Foto: Aleš Šteger

Die Regeln des ‚Spiels’, das ich mir da ausgedacht habe, sind einfach. Den Schreib-Ort vorher auszusuchen. Einen öffentlichen Raum, wenn möglich. Einen Ort, der eine lebhafte, aber unberechenbare Geschichte erzählt. Den Termin für das Schreiben im Voraus festzulegen. Wenn möglich, ein Datum zu wählen, das mit einer bestimmten Menge an Gedenk-Gepäck beladen ist. Die Schreibzeit, in welcher der Text geschrieben werden soll (oder auch nicht), auf nicht mehr als zwölf Stunden zu beschränken. Keine Bücher oder Zeitungen, keine Notizen, die man im Voraus vorbereitet, mitzunehmen, keine grundlegenden Bezugspunkte, keine Interaktion mit der Welt des Internets. Nur ein äußerlicher Inkubationsreiz, um zu schreiben, ein frei Haus geliefertes und fragiles Sicherheitsnetz des Flüchtigen und des Ausgesetzt-Seins. Nur der Glaube an die Zeit, an das Hier und Jetzt. Und an die Worte. Die Worte …“

Fukushima und Minamisōma – 16. Juni 2013. Foto: Aleš Šteger

Es sind seltene Momente der Wachheit, die aus ebendiesen Worten entstehen, eine besondere Art der Wachheit, spürbar auch in den Texten. Für den aktuellsten hat Šteger sich in Belgrad gegenüber der Busstation postiert – jener Busstation, die gleichzeitig die zentrale Stelle ist für syrische Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Ungarn.

Ein weiterer Text entstand nahe des Atomkraftwerks von Fukushima, und zwar in der Bibliothek, wo Familien jetzt ihre Freizeit verbringen, weil der Park kontaminiert ist.

Vor der Bibliothek in Minamisōma steht ein Messgerät, das die Strahlungswerte in der Luft zeigt. Keine Zeit, keine Temperaturanzeige, stattdessen Millisieverts. Diese Uhr ruft eine andere Welt auf als unsere. Selbst wenn die süßeste Musik von Chopin erklingt in dieser Bibliothek, es ist unmöglich, sich vom Gefühl, dass die Zeit hier anders gezählt wird, zu verabschieden, dass mit dem 11. März eine neue Zählung eingesetzt hat, eine Zählung nach der Zeit, als es die Zeit noch gab, das Zählen der Zeit in eine Zeit, die verschoben war, in der wir noch am Leben sind (aber nicht wissen, ob das morgen auch noch der Fall sein wird).

Šteger, „wichtigster slowenischer Schriftsteller seiner Generation“ (DIE WELT, Richard Kämmerlings), leiht uns seine Augen, und er öffnet die unseren für einen exakten und zugleich doch poetischen Blick auf die Welt. So entsteht ein eindringlicher und hochbrisanter literarischer Lokalaugenschein – berührend und aufrüttelnd.

„Es geht um eine doppelte Wachheit. Ein Wachsein in der Sprache. Und wach zu sein als Mensch, der ans Ende von etwas gelangt ist. Ans Ende der Geschichten, ans Ende der Zeit. Eine Idee, die durch Beobachtung und Abstand geboren wird.“

Belgrad, 2. August 2015. Foto: Aleš Šteger

Aus Štegers präzisen Beobachtungen ergibt sich wie aus Mosaiksteinchen ein Bild unserer Zeit, kongenial vervollständigt durch die zahlreichen Fotografien des Autors. Dieses Ausnahmeprojekt ist auf zwölf Jahre angelegt und erscheint bei Haymon in drei Bänden.

In Logbuch der Gegenwart. Taumeln geht Aleš Šteger dorthin, wo die Wunden unserer Zeit klaffen: Nach Ljubljana, zum Platz der Republik, am Tag des prophezeiten Weltuntergangs; nach Minamisōma nahe dem Atomkraftwerk von Fukushima; nach Mexico City während einer Demonstration gegen den Umgang der Regierung mit dem Mord an 43 Studenten; nach Belgrad, Busstation, Zwischenstopp syrischer Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Ungarn – mit einem Blick durch seine Augen führt uns Šteger direkt in das Herz des Phänomens.

Der zweite Band der Reihe – Logbuch der Gegenwart. Aufbrechen führt uns nach Shanghai, wo der slowenische Schriftsteller vom Alltag unter Überwachung durch Künstliche Intelligenz berichtet. Mit den russischen Solowezki-Inseln betritt er heiligen Boden mit traumatischer Gulag-Vergangenheit. Im sächsischen Bautzen besucht er ein ehemaliges Stasi-Gefängnis und wird mit dem Rechtsruck in Politik und Gesellschaft konfrontiert. Ein weiteres Ziel ist das südindische Kochi.

Die ganz große Hundeliebe – Tatjana Kruse in Höchstform

Batman hat Robin, Bonnie hat Clyde – und Pauline Miller hat Radames. Doch während der Proben zur Aufführung der „Turandot“ auf der Bregenzer Seebühne geschieht es: Ein brutaler Dognapper entführt Radames! Kein Wunder, dass Pauline außer sich ist, wird sie doch sonst auf Schritt und Pfötchentritt von ihrem Boston Terrier begleitet. Der gute Radames fällt zwar immer wieder spontan ins Delirium – er leidet an der Schlafkrankheit Narkolepsie und sinkt bei emotionalem Aufruhr sofort in tiefen Schlummer –, ist aber immer an Paulines Seite, stets bescheiden und stumm. Äh. Nun ja. Reden können Hunde eben auch nicht. Aber nun ist Radames trotzdem am Wort – denn Tatjana Kruse gewährt exklusive Einblicke ins Tagebuch des narkoleptischen Hundehelden.

Und den geneigten Leserinnen und Lesern sei verraten: Die Aufzeichnungen enden kurz vor dem Moment von Radames’ Verschwinden!

*Radames Miller, Ray of the Ridgebridge

Aus dem Tagebuch des Radames*

Bregenz am Bodensee, Tag 1

Das beste aller möglichen Leben, ich führe es! Mein geliebtes Frauchen hat mich heuer mit an den Bodensee genommen, was mir sehr entgegenkommt, weil ich doch am liebsten in stehende Gewässer pinkle. Wir wohnen in einer Villa mit vielen Säulen, die ich alle schon der Reihe nach markiert habe. Mehrmals. In letzter Zeit habe ich Probleme mit der Prostata, bin ja auch nicht mehr der Jüngste. Ich darf frei im riesigen Garten herumlaufen. Und wir machen Bootsausflüge nach Bregenz, wo sie mir heute begegnet ist, die Liebe meines Lebens. Sie ist wunderschön, weiß wie der Schnee … und eine Schwänin. Also, ein weiblicher Schwan. Das wird zu hochgezogenen Augenbrauen und Gerede führen, schon klar, aber ich unterscheide nicht nach Rasse oder Religion. Jede Liebe hat ihre Berechtigung! Noch zeigt sich meine Schöne spröde, aber ich werde ihr Herz gewinnen, koste es, was es wolle! Frauchen hat mich schnöde weggetragen, bevor ich mich meiner Liebsten erklären konnte, aber wir sind ja immer mehrere Wochen an einem Ort, mir bleibt also noch genug Zeit für mein Werben. Sorgen mache ich mir keine. Bitte, man schaue mich nur an! Wer könnte auf Dauer schon nein zu mir sagen!

Meinen Liebeskummer konnte ich mit Würstchen im Schlafrock bekämpfen, die ich in einem unbeobachteten Moment von einem Silbertablett im Probenraum des Festspielhauses stibitzte. Bin heute nur zweimal narkoleptisch weggenickt. Das liegt womöglich an den Handauflegungen und Aromatherapiesitzungen dieses ominösen Hunde-Energetikers namens Simian, den Frauchen für mich angeheuert hat. Ich mag ihn nicht! Aber mich fragt ja keiner …

Bregenz, Tag 2

Ich bin heute auf dem Cover der Festspielzeitung. Mit roter Samtschleife um den Hals. Sexiest Terrier Alive, wenn ich das mal selber sagen darf! Ich wünschte, meine wunderhübsche Schwanenfrau könnte mich so sehen. Während mein Frauchen probt, geht ihr Papa mit mir ins Museum. Ich darf den Blindenhund spielen. Großer Spaß! Aber mir fehlt meine geliebte Schwanenprinzessin.

Sexiest Terrier Alive und Covermodel

Bregenz, Tag 3

Vereint, endlich vereint! Ich traute meinen Terrieraugen nicht, als ich sie heute bei der Morgenrunde am Bootshaus traf. Kann es etwas Schöneres geben als Liebe, die erwidert wird?! Sie dümpelte auf den leise plätschernden Wellen des Bodensees, ich lag direkt am Ufer und sah ihr in die liebreizenden, nachtschwarzen Knopfaugen. Und dann: Er war wunderbar – der erste Kuss. Hundeschnauze auf Schwanenschnabel: die pure Ekstase. Lasst es mich in die Welt hinausbellen: Ich liebe diesen Schwan!

Als meine Liebste dann gründelte und Popöchen übers Wasser hob, konnte ich nur noch hecheln. Wuff! Doch dann fiel ich vor Aufregung wieder ins narkoleptische Schlafkoma …

Und wie spektakulär es mit Radames am Bodensee weitergeht, erfahrt ihr in Tatjana Kruses neuem rabenschwarzen Pauline-Miller-Krimi „Glitzer, Glamour, Wasserleiche”.

Leseprobe: „Interview mit einem Mörder” von Bernhard Aichner

Atemlos, gnadenlos, schnell: jetzt testlesen! Der neue Krimi von Shooting-Star Bernhard Aichner.

Exklusiv! Gehören Sie zu den allerersten Lesern des neuen Krimis von Shooting-Star Bernhard Aichner! Der Autor der internationalen Bestseller „Totenfrau“ und „Totenhaus“ hat ein neues Buch geschrieben – und es wird Ihnen den Atem rauben. Kurze Sätze, überraschende Wendungen, geniale Dialoge: Der unverwechselbare Sog, in den Bernhard Aichners Bücher ziehen, machte ihn weltweit bekannt. Aber lesen Sie selbst …

Was bisher geschah: Ex-Fußballprofi Johann Baroni, der sich nach der Sportlerkarriere aufs Wurstbratgeschäft spezialisiert hat, eröffnet einen neuen Würstelstand. Doch mitten in dem ausgelassenen, festlichen Treiben fällt plötzlich ein Schuss – und Baroni sinkt zu Boden.

Sein bester Freund, der Totengräber Max Broll, ist völlig außer sich. Doch an eines kann er sich ganz deutlich erinnern: Er hat den Schützen gesehen! Dessen ist er sich sicher. Fink, den Max verdächtigt, scheint allerdings ein harmloser Tourist zu sein. Und niemand will Max glauben.

Als er den Mörder schließlich entspannt durchs Dorf spazieren sieht, verliert Max die Beherrschung und attackiert Fink auf offener Straße. Und nun beginnt sogar seine geliebte Stiefmutter Tilda, die Polizistin ist und Max bisher immer den Rücken gestärkt hat, an ihm zu zweifeln …

7

— Was du hier machst, hilft niemandem.
— Doch, Tilda.
— Ich habe ihn überprüfen lassen.
— Und?
— Er war es nicht, er hat nichts damit zu tun.
— Das kann nicht sein.
— Er ist nur ein Urlauber aus Wuppertal, ein harmloser Pensionist. Er ist zum Wandern hier.
— Nein, nein, nein.
— Doch, Max. Egal, wie oft du es noch sagst, er war es nicht. Egal, wie dumm du dich noch anstellst, es ist Tatsache, dass er nichts damit zu tun hat. Er war sehr hilfsbereit, hat uns sogar sein Zimmer durchsuchen lassen. Keine Waffe, kein Motiv, gar nichts. Es gibt keinen einzigen Grund, warum er getan haben sollte, was du ihm vorwirfst. Keinen.
— Doch, Tilda.
— Es reicht wirklich, Max. Die Kollegen haben Recht, du hast den Bogen überspannt.
— Ich habe es in seinen Augen gesehen, Tilda.
— Dass er ein guter Mensch ist, oder was? Das ist er nämlich, er hat keine Anzeige gegen dich erstattet.
— Warum nicht?
— Weil er seine Ruhe will. Er hat gesagt, dass er auch schon Dinge gemacht hat, die ihm nachher leidgetan haben. Du hast großes Glück, dass du an ihn geraten bist. Ein anderer würde dich durch Himmel und Hölle klagen.
— Irgendetwas stimmt hier nicht.
— Mit dir stimmt etwas nicht, Max. Dein Freund liegt im Krankenhaus, er braucht dich, und du führst dich hier auf wie ein kleines Kind. Dich kann man keine Sekunde lang allein lassen.
— Es ist traurig, dass du mir nicht glaubst.
— Soll ich dir sagen, was traurig ist, Max?
— Was?
— Dass du nicht erwachsen werden willst.
— Ich weiß, was ich gesehen habe.
— Und ich weiß, dass ich keine Lust mehr habe, ständig Feuerwehr für dich zu spielen. Das ist das Leben, Max, und kein Spiel. Du kannst nicht immer nur tun, was dein Bauch dir sagt.
— Doch, Tilda, das kann ich.

So gerne er sie hat. Er schiebt den Suppenteller von sich und steht auf. So gerne er sie überzeugen würde, er lässt es sein. Kurz umarmt er sie noch, dann geht er. Er muss sich alleine um die Sache kümmern, Tilda wird ihm nicht helfen, ihm nicht glauben, egal, wie laut er noch schreit, dass dieser Mann es war. Konrad Maria Fink. Ein Deutscher, Musiker im Ruhestand, ein Unschuldslamm. Ein Name wie ein Faustschlag. Fink. Was für ein abgebrühter Kerl, was für ein Lügner. Keine Anzeige gegen den Verrückten, der ihn verprügelt hat, keine Probleme mit der Polizei, kein böses Wort. Der Fink will seine Ruhe. Nur ein Tourist.

Max weiß, in welcher Pension er wohnt, er weiß, dass es da keine Vorstrafen gab in seinem Leben, mehr hat er aus Tilda nicht herausbekommen. Der freundliche Konrad Maria Fink hat sie an der Nase herumgeführt, hat alle glauben lassen, es sei Unsinn, was Max sagt. Sinnlose Gewalt, die er ablehne. Konrad Maria Fink hat nichts damit zu tun. Alle sind sich einig. Nur Max sagt etwas anderes.

Er besteht darauf. Weil dieses Bild nicht weggeht. Der Mann mit der Waffe. Konrad Maria Fink in Lederhosen, mit kariertem Hemd. Er war es. Und Max wird dafür sorgen, dass es die Welt erfährt. Tilda, die dämlichen Polizisten, die ihm fast den Arm gebrochen haben, Baroni. Er ist es ihm schuldig. Max wird sich darum kümmern, dass derjenige bestraft wird, der auf Baroni geschossen hat. Warum auch immer Fink es getan hat. Ob er ein Auftragsmörder ist, getarnt als Tourist, oder ein Fan, der in die Geschichte eingehen will, Max wird herausfinden, was dahintersteckt. Warum Baroni Schläuche im Mund hat, warum er nicht von alleine atmet und mit ihm Schnaps trinkt. Kein Wasser, sondern Schnaps. Vertraut mit seinem Freund. Betrunken, umarmt, bald wieder. Max betet dafür, jede Sekunde, in der er an ihn denkt. Bald werden sie die Gläser wieder gemeinsam füllen, im Würstelstand sitzen und hinaus auf den Dorfplatz schauen. Und sie werden lachen über das, was passiert ist. Darüber, dass Baroni dem Teufel von der Schippe gesprungen ist. Dem Mann mit den Wanderstöcken und den kalten Augen.

Konrad Maria Fink. Pension Seerose, auch wenn da weit und breit kein See ist. Fink hat dort ein Zimmer gemietet. Tilda hat ihn zwar angefleht, vernünftig zu sein, nicht noch einmal auszurasten, sich von ihm fernzuhalten, doch Max denkt nicht daran. Er wird Fink besuchen, er wird mit ihm reden und herausfinden, warum das alles passiert ist. Warum er da ist. Geschossen hat. Warum er nicht einfach davonläuft.

Max geht die Dorfstraße hinunter, am Kindergarten vorbei, schnell. Bevor der Fremde abreist, will er es hören. Max will wissen, ob er Recht hat. Er will wissen, warum dieser Fremde Baroni das angetan hat. Mit ihm reden. Max beeilt sich. Nur noch Fink ist wichtig. Wie ein Strohhalm ist er, an dem er sich festhält. Weil der Wind geht. Weil alles rund um ihn herum zusammenbricht.

Weil Baroni dabei ist zu sterben.

 

8

Wieder keine Angst. Wie er auf dem Baumstamm sitzt und Pilze säubert. Ein Korb auf seinem Schoß, ein Taschenmesser in seiner Hand, er ist ganz allein. Da ist niemand, der dem deutschen Wanderer helfen würde, keine Polizisten, keiner, der ihn beschützt. Da sind nur Max und Fink.

Mitten im Wald auf einer Lichtung zwei Männer. Ein Gespräch, keine Gewalt. Fink bleibt sitzen, als er Max sieht, keinen Augenblick lang will er aufspringen und rennen, das Einzige, das ihm wichtig scheint, sind die Steinpilze, um die er sich hingebungsvoll kümmert.

Max hat ihn nicht angetroffen in der Pension, die Wirtin hat ihm gesagt, dass ihr Gast im Wald unterwegs sei. Sie habe ihm Tipps gegeben, wo er Pilze finden könne. Max ist ihm gefolgt, über drei Stunden lang hat er ihn gesucht. Kurz bevor er umkehren wollte, hat er ihn entdeckt. Konrad Maria Fink. Sonnenstrahlen, die auf den moosigen Boden fallen, friedlich wirkt alles, ein älterer Herr, der sich die Zeit vertreibt. Nichts scheint bedrohlich, alles, woran Max beim Aufstieg gedacht hat, klingt plötzlich lächerlich. Dass er auf einen Mörder treffen würde, auf einen Psychopathen, dass es wahrscheinlich zu einem Kampf kommen würde. Nichts davon. Max nähert sich, er geht auf ihn zu, die Beute liegt wehrlos vor ihm, er muss nur noch zubeißen. Keine Waffe, die auf Max gerichtet ist, kein böses Wort. Nur ein deutscher Tourist im Wald. Konrad Maria Fink lächelt. Er macht den Mund auf.

— So sieht man sich wieder.
— Du wirst dich nicht rühren, Fink. Und das Messer bleibt, wo es ist.
— Keine Angst, mein Guter.
— Ich habe keine Angst.
— Dann setzen Sie sich doch. Es ist wirklich schön hier, ein herrliches Fleckchen Erde.
— Was soll das?
— Die Hausdame hat mir gesagt, dass es hier die besten Steinpilze der ganzen Region gibt. Eigentlich ist noch keine Pilzsaison, aber hier findet man schon welche. Sie will sie am Abend für mich zubereiten. Eine reizende Frau ist das.
— Hör auf damit.
— Übrigens ist auch Ihre Mutter ein überaus entzückendes Wesen. Sie hat sich sehr für Sie eingesetzt.
— Aufhören, habe ich gesagt.
— Sie hat mich gebeten, von einer Anzeige abzusehen. Was natürlich gar nicht nötig gewesen wäre, weil ich ja ohnehin nie vorhatte, Ihnen Probleme zu bereiten. Ich denke mir, es muss sich alles um ein großes Missverständnis handeln. Ein Trugschluss, der Sie quält.
— Du weißt, warum ich hier bin.
— Ich vermute, es ist wegen Ihres Freundes. Sehr tragisch, was da passiert ist, ich habe es ja mit eigenen Augen mit ansehen müssen.
— Du hast geschossen.
— Nein, das habe ich nicht.
— Ich habe es gesehen.
— Ihre Mutter sagt, dass Sie wohl etwas durcheinander waren an diesem Tag.
— Ich weiß, was ich gesehen habe.
— Sie sind also davon überzeugt, dass ich auf Ihren Freund geschossen habe.
— Und warum sollte ich so etwas tun?
— Sag du es mir. Irgendeinen Grund muss es geben.
— Egal, wie oft Sie es noch wiederholen. Ich habe nichts damit zu tun.
— Ich kriege dich.
— Sie sind hartnäckig, das gefällt mir. Aber wie gesagt, Sie werden sich die Zähne an mir ausbeißen.
— Du warst es.
— Sie können mich verprügeln, wenn Sie wollen, Sie können mich foltern, es wird sich aber nichts daran ändern, dass ich es nicht war. Deshalb werde ich jetzt meine Pilze nehmen und wieder hinunter ins Tal marschieren. Anschließend werde ich herrlich essen und morgen werde ich mit dem Zug weiter nach Italien fahren.
— Du wirst nicht einfach abhauen.
— Abfahrt ist um elf Uhr siebenundzwanzig. Sie können mich ja begleiten, wenn Sie wollen.
— Warum sollte ich?
— Am liebsten würden Sie mich in der Luft zerreißen, stimmt’s?
— Ja.
— So lange, bis ich Ihnen sage, was Sie hören wollen.
—  Genau.
— Ich darf Ihnen einen Rat geben, mein Lieber. Lassen Sie es gut sein. Wie ich gehört habe, hat Ihr Freund überlebt, er wird das Ganze überstehen und es wird Gras über die Sache wachsen. Und wer auch immer dafür verantwortlich ist, er wird nicht wiederkommen.

Max steht da und schaut. Hört zu. Versucht einzuordnen, was da geschieht, was Fink mit ihm macht. Er nimmt ihm die Fackel aus der Hand, macht ihn wehrlos. Mit welcher Ruhe er dasitzt und ihn entwaffnet, mit einem Lächeln, mit klaren Worten, die keinen Zweifel offen lassen. Konrad Maria Fink ist sich sicher. Nichts kann ihm passieren, keiner außer Max hat ihn gesehen, niemand sonst hat auf ihn geachtet, die Polizei hat alle befragt. Da ist nichts. Nur das, was zwischen Max und diesem Mann ist. Diese Gewissheit, die Max antreibt, die mit jedem Wort größer wird, das aus dem deutschen Mund kommt. Diese Gelassenheit mitten im Wald, diese innere Ruhe, die wehtut. Ich weiß, dass du es warst. Dass du mir drohst. Wenn ich dich nicht in Ruhe lasse, werde ich es bereuen. Du wirst auch mich umbringen. Das willst du mir doch sagen, oder?
Max hat es zwischen seinen Worten gehört. Laut und deutlich. Doch da ist nichts, das es beweisen würde, es sind nur die Gedanken eines kleinen Gemeindearbeiters, die nur er kennt. Von außen ist es nur ein verzweifelter Versuch, einen Schuldigen zu finden, der für das Drama verantwortlich ist. Nichts sonst. Max steht da und schaut zu, wie Fink aufsteht und geht. Einmal dreht er sich noch zu ihm um, einmal lächelt er noch. Dann verschwindet Fink im Wald.

 

 

 

Na? Auf den Aichner-Geschmack gekommen?

Weiter geht’s in „Interview mit einem Mörder“ – und alle Infos zum Buch findet ihr hier.

Kroatien-Krimi: Sonne, Meer und Mord

Alle, denen es im Urlaub nicht spannend genug zugehen kann, sollten Elena Martell in „Mörderhitze” kennenlernen. Anekdoten, Bauwerke, Legenden – die patente Reiseleiterin kennt sie alle, doch wo sie auch hinfährt, mysteriöse Todesfälle und Verbrechen verfolgen sie. Auch an der malerischen Küstenlinie Kroatiens, wo sie diesmal eine Kreuzfahrt organisieren soll, lässt die erste Leiche nicht lange auf sich warten …

Egal ob am Sandstrand von Split, in der Altstadt Dubrovniks, auf Balkonien oder dem heimischen Sofa – Elena Martell bringt Sie in Urlaubsstimmung und lädt ein, den Alltag zu vergessen und sich in wärmere Gefilde entführen zu lassen. Dorthin, wo der Gesang der Zikaden, der schwere Dingač und das sanfte Schunkeln des Bootes für wohlige Stimmung sorgen, und dalmatinisches Flair in der Luft liegt. Doch lassen Sie sich täuschen, auch in diesem Urlaubsidyll dauert es nicht lange, bis der erste leblose Körper im Tunfischbecken treibt.

Hier gibt es Kroatien fürs Handgepäck. Folgen Sie uns – wie auch schon bei Elenas Sizilien-Reise – auf die Stationen einer kleinen literarischen Sightseeing-Tour und werfen Sie mit Autorin Eva Gründel einen Blick auf die ersten Stationen einer lesenswerten Rundreise!

Zadar

Nicht zufällig wusste Giorgio über die verwirrende, blutige Geschichte in diesem Winkel Europas Bescheid. Sein Großvater hatte ihm viel vom alten Zadar erzählt, von der Eleganz der italienischen Palazzi, jeder einzelne eine Verbeugung vor dem venezianischen Lebensstil, dem die Oberschicht in der einstigen Hauptstadt Dalmatiens damals huldigte. Vom bescheidenen Wohlstand und dem eigenen Häuschen, zu dem es selbst ein kleiner Angestellter wie er hatte bringen können. Von der Flucht über die Adria nach Triest, von den Auffanglagern für Abertausende Italiener aus Istrien, die es wie er und seine kleine Familie geschafft hatten, den Massakern zu entgehen.

Die Kornaten

„Worauf du dich verlassen kannst. Die Spur führt in die Kornaten. Ich habe mich schlau gemacht. Die 89 Inseln und Felsen, auf denen heute keiner mehr wohnt, wurden 1980 zum Nationalpark erklärt. Noch in den 70er Jahren war das anders, da lebten einige Familien in dem Archipel. Vom Fischfang und dem, was ihre mit Zisternenwasser mühsam bewirtschafteten Gärten hergaben. Oliven, Feigen und Weinstöcke, dazu ein paar Ziegen und Schafe, wir können uns gar nicht vorstellen, wie arm die Leute waren. Das ganze Gebiet eine einzige Karstlandschaft. Karg ist dafür nur ein Hilfsausdruck. Andererseits ist das Meer blitzsauber und so fischreich wie sonst nirgendwo in der Adria. Und irgendwo liegt da unten auf dem Meeresboden das, was wir finden wollen.“

Split

Nach der Römerzeit wurde der Diokletianpalast in eine bewohnte Festung umgewandelt. Nichts anderes ist bis heute die Innenstadt von Split. Der Palast eines Kaisers. Sehen Sie da drüben das Café Luxor? Hier standen einst drei kleine Tempel. Und dort drüben befanden sich die Eingänge zu den kaiserlichen Gemächern.“
Francesca drehte sich um die eigene Achse und deutete auf die Kathedrale, die Säulen und das Winkelwerk der umliegenden Gassen. „Wenn ich Sie richtig verstehe, war das alles hier ein einziger Palastkomplex? Errichtet für nur einen Mann und sein Gefolge? Unglaublich!“
„Und wenn schon! Dafür brutzelt er jetzt in der Hölle. Der mit den letzten ganz schlimmen Christenverfolgungen, das war doch Diokletian, oder?“ Ausnahmsweise äußerte sich Titus nicht auf Latein.

Mit diesem Kroatien-Krimi kann die Reise starten – sowohl im wörtlichen, als auch übertragenen Sinne – „Mörderhitze” ist Unterhaltung und Information von ihrer spannendsten Seite. Solltet ihr euch Elenas Reisegruppe nach Sizilien in „Mörderküste” noch nicht angeschlossen haben, gibt es hier eine kleine Rundreise für euch!

Next stop – England. Aber das ist eine ganz andere Geschichte

Christoph W. Bauer und Andreas Neeser unter den Lyrik-Empfehlungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung

Zwei Autoren des Haymon Verlags, der Österreicher Christoph W. Bauer und der Schweizer Andreas Neeser, stehen mit ihren aktuellen Gedichtbänden auf der Liste der renommierten Lyrikempfehlungen 2016 – wir freuen uns!

Die Lyrik-Empfehlungsliste erscheint jährlich. Sie wird präsentiert von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der Stiftung Lyrik Kabinett und der Literaturwerkstatt Berlin in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Bibliotheksverband.

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Empfehlung von Michael Krüger

Stromern heißt so viel wie ziellos wandern, sich herumtreiben (statt zu arbeiten), streunen oder strolchen, in Österreich heißt es: strawanzen.

Der aus Innsbruck stammende Dichter Christoph W. Bauer bevorzugt natürlich die erste Bedeutung: die nicht auf ein Ziel hin gerichtete Bewegung. Ersetzt man Bewegung durch Schreiben, hat man die Definition der Poesie, wie sie Paul Valéry gegeben hat.

Bauer, 1968 in Kärnten geboren, hat sich als Begleitung für seine sehr unterschiedlichen Wanderungen den französischen Dichter des Spätmittelalters François Villon gewählt, den großen Dichter von Balladen über die Zweifelhaftigkeit des Ruhms, der Ehre, der Anständigkeit. Mit Villon ist er unterwegs in Kärnten oder Paris, in den Welten der Mythologie und der sehr realen Gegenwart. Bauer ist ein belesener Dichter und ein Kenner der Geschichte der Formen, aber auch ein Eulenspiegel, der vermischen und verwandeln kann:

fremd bin ich eingezogen unter meine haut, beginnt ein Gedicht, das mit der Zeile endet: ich weiß nur eins: fremd zieh ich wieder aus.

Es wäre schön, wenn dieser kluge Vagant bei uns etwas bekannter würde!

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Empfehlung von Daniela Strigl

Andreas Neeser ist kein Freund großer und vieler Worte.

Seine Erkundungen im Zwischenmenschlichen, im Naturraum draußen und drinnen, im Kopf des Ichs, sind beeindruckend konzentriert, wirken wie hingetupft und nehmen doch präzise Gestalt an. Man könnte an Aquarelle denken, aber meist düster getönt:

Seit Jahren mein einziger Bruder / kriech ich beim Rastplatz ans Ufer / im fahleren Licht / bin ich nichts als mein dunkelstes Wort.

(Drei Schwestern)

Im Zyklus Schichten von Haut entblättert Neeser kunstvoll die Zwiebelhäute der Erinnerung, die zusammenhängen wie die einzelnen durch einen jeweils weiterwandernden Vers miteinander verknüpften Gedichte. Die Kindheit ist es, die den Erwachsenen im Halbschlaf bespricht, die handfest und körperlich wird:

ein paar Krautstiele wachsen mir mundartlich / urlaut / im Gaumen / behauptet die Sprache die Herkunft, Geruch und Geschmack.

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Nicht nur in ihren Heimatländern Österreich und Schweiz zählen Christoph W. Bauer und Andreas Neeser zu den wichtigsten Lyrikern. Ihre Dichtkunst bereichert den gesamten deutschsprachigen Raum, was die Wahl auf die renommierte Lyrik-Empfehlungsliste 2016 bestätigt.

Sizilien-Krimi für (ent)spannende Strandlektüre!

Und zu Ihrer Linken sehen Sie: Mord!

Reiseziel Sizilien: Die engagierte und couragierte Reiseleiterin Elena Martell führt in „Mörderküste” durch die Heimat der Cosa Nostra und des Limoncello.

Für alle, die schon sehnsüchtig gen Sommer und Urlaub blicken, sich Sonne und Strand des letzten Jahres noch einmal in den Sinn rufen wollen, oder all jene, die ihren Ausbruch aus dem Alltag schon geplant haben und jetzt noch auf der Suche nach dem Spannungsfaktor im Entspannungsurlaub sind, haben wir den perfekten Sizilien-Krimi!

Urlaubskrimi als Reiseführer

Nicht nur mitreißende Spannung, sondern auch Informationen zu Schauplätzen und Sehenswürdigkeiten; Elena Martell und Eva Gründel begleiten euch an den Strand und durch die Landschaften und Städte Siziliens  – und wir liefern schon mal einen kleinen Vorgeschmack ihrer Reiseroute, der Lust auf Sonne, Strand und mehr macht:

Bergstadt Erice

Sie griff wieder zum Mikrofon, denn in diesem Moment kam das Bergstädtchen Erice erstmals in Sicht. „Wir sprechen später darüber“, bemerkte sie noch, bevor sie mit ihren Erläuterungen über die große Vergangenheit der kleinen Stadt hoch über den Salzgärten von Trapani begann. Auch den Venustempel, einst das begehrte Ziel der Seeleute aus allen Teilen der damaligen Welt, unterschlug sie nicht. Nur die Scherze über die Rolle der Tempelpriesterinnen, die in Wahrheit ein florierendes Bordell betrieben hatten, verkniff sich Elena diesmal. Weil ihr Gelächter im Bus in dieser Situation doch nicht so recht passend erschien, unterschlug sie die pikanten Details und erzählte ausführlicher als sonst die Geschichte des trojanischen Helden Äneas, der mit seinen Argonauten der Legende nach hier gestrandet war.

Selinunte

Ihr Vortrag konnte warten, das milde Licht, in dem die Säulen lange Schatten warfen, hingegen nicht. Eine gute Stunde würde es noch hell genug sein, um ohne zu stolpern zwischen den aufgeschichteten Kapitellen zu spazieren. Im Mittelalter hatte ein Erdbeben die drei Heiligtümer in sich zusammenstürzen lassen. Von den mächtigen Monumenten, die in der Folge vom feinen Flugsand vollständig bedeckt worden waren, war bald nichts mehr zu erahnen gewesen. Erst Jahrhunderte später hatte man die Tempel von Selinunte wieder entdeckt, aber nur einen wieder aufgerichtet. Glücklicherweise, denn ein imposanteres Ruinenfeld war kaum denkbar, wirkten doch die Überreste in Augenhöhe noch gigantischer. Nur wer ein tonnenschweres Kapitell auf dem Boden liegen gesehen hat, kann die Dimensionen der einstigen Tempel wirklich ermessen.

Fresko Bildcredit: By Anachoret (Own work) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons

Fresken in der ehemaligen Kapelle des Palazzo Abatellis

Das Gerippe hoch zu Ross macht keinen Unterschied zwischen Arm und Reich, zwischen Bauer, Bürger, Edelmann. Ob kleiner Priester oder mächtiger Bischof, ob junge Schönheiten oder Verkrüppelte und Ausgestoßene, ausnahmslos holt er sie alle, die unter die Hufe seines gespenstischen Pferdes geraten. Schweigend stand Elena vor dem Fresko aus dem 15. Jahrhundert, das eine ganze Wand in der ehemaligen Kapelle des Palazzo Abatellis ausfüllte. Noch bei keinem Besuch des großartigen Regionalmuseums von Palermo hatte sie sich der bedrückenden Faszination dieses Meisterwerks der frühen Renaissance entziehen können. Diesmal aber traf sie der „Triumph des Todes“ mit voller Wucht. „Grauenhaft. Und in all dem Grauen schaurig schön. Doch wie konnten die Menschen mit solchen Bildern vor Augen leben?“

Also, worauf wartest du noch? Sonnencreme, Strandhandtuch, Bikini oder Badehose eingepackt – und auf zum Strand mit dem perfekten Sizilien-Krimi: „Mörderküste” von Eva Gründel! Und sollte Sizilien nicht ganz deinen Urlaubswünschen entsprechen, haben wir auch Reisen nach Kroatien und England im Angebot – natürlich inklusive charmanter Reisebegleitung!

Von Karl May bis Elfriede Jelinek, von Lwiw bis Berlin – dürfen wir vorstellen: Natalka Sniadanko!

„Chrystyna und Solomija sind jung, klug und selbstbewusst“, heißt es über Natalka Sniadankos Romanheldinnen, und das kann von der Autorin erst recht behauptet werden.

Genauer betrachtet: eine seltene Sprachbegabung, charmante Klugheit und großartiger Humor zeichnen die Lwiwer Schriftstellerin aus. Als Verfasserin von mehreren Romanen sowie Übersetzerin und Journalistin hat sie sich in ihrer Heimat, der Ukraine, ebenso wie in Deutschland und Polen einen Namen gemacht. Unter ihren Übersetzungen aus dem Deutschen und Polnischen finden sich Bestsellerautoren, Klassiker und Nobelpreisträger: von Elfriede Jelinek und Günter Grass bis Franz Kafka und Friedrich Dürrenmatt, von Zbigniew Herbert und Czesław Miłosz bis Judith Hermann und Feridun Zaimoglu. Und nicht zuletzt ist Karl May zu nennen, dessen weltberühmter „Winnetou“ mit Sniadankos Übersetzung erstmals auf Ukrainisch zugänglich ist.

Als Autorin gehört Sniadanko der Generation von Serhij Zhadan und Tanja Maljartschuk an, lange etablierte und international bekannte ukrainische Autoren wie Juri Andruchowytsch und Andrej Kurkow sind hingerissen von Sniadankos erzählerischem Talent – das unter anderem in ihrem Roman „Frau Müller hat nicht die Absicht, mehr zu bezahlen“ zu genießen ist, der 2016 übersetzt von Lydia Nagel bei Haymon erschien.

Natalka Sniadanko, Foto: © Kateryna Slipchenko

Sniadanko, die selbst mehrere Jahre in Deutschland gelebt hat, schickt darin zwei Musiklehrerinnen von Lwiw, dem „Berlin der Westukraine“, ins wahre Berlin. Von ihren Erfahrungen dort, zwischen eigenwilligen Arbeitgebern und komplizierten Liebesgeschichten, weiß Sniadanko auf höchst unterhaltsame, und auch berührende Weise zu berichten. Und wie tief Sniadanko unter die Haut der Stadt Berlin eindringt, bekommt man bei der Lektüre angenehm zu spüren. Ein Leben zwischen zwei vermeintlichen Heimaten also, zwischen zwei Mentalitäten – spannend nicht zuletzt in Zeiten wie diesen, wo es allerorten darum geht, sich in der Fremde einzurichten, sich mit Fremden vertraut zu machen.

Von dieser Erfahrung hat Sniadanko bereits in ihrem Debütroman „Sammlung der Leidenschaften“ furios witzig und geistreich erzählt: Eine ukrainische Studentin in Freiburg im Breisgau, zwischen deutschen Gutmenschen und italienischen Machos – da ist der Culture Clash vorprogrammiert, den die Autorin klug und humorvoll in Szene setzt. In der Ukraine als Kultroman gefeiert, ist der Roman seit 2017 übersetzt von Anja Lutter bei Haymon erhältlich.

Du interessierst dich besonders für Literatur aus der Ukraine?

Dann bist du bei uns an der richtigen Adresse! Neben Natalka Sniadanko haben wir in Zusammenarbeit mit unseren Übersetzer*innen auch andere wundervolle ukrainische Stimmen ins Deutsche gezaubert: Andrej Kurkow, Serhij Zhadan, Maria Matios, Oleksij Tschupa, Kateryna Babkina, Jurij Wynnytschuk und Oleksandr Irwanez erzählen in ihren Büchern von der Buntheit eines Landes, seiner Bewohner*innen von heute und damals, von seiner Geschichte und dem Hauch Zukunft und Widerstandsgeist, der die literarischen Werke immer umweht. Viel Spaß beim Entdecken!

„Es gibt keine kulturelle Identität” – ein Gespräch mit Selim Özdogan

Warum die Weihnachtsbeleuchtung auf der İstiklal Caddesi nie ausgeht, wie es ist, in mehreren Kulturen aufzuwachsen und was das alles mit Heimat zu tun hat – dies und noch einiges mehr haben wir Selim Özdogan zum Erscheinen seines neuen Romans Wieso Heimat, ich wohne zur Miete  gefragt.

Das Gespräch führte Georg Hasibeder, Lektor des Haymon Verlags.

Heimat, was ist das eigentlich? Findet man die Heimat im Reisepass, im Meldeschein oder in der Geburtsurkunde? Oder ist Heimat eher ein Gefühl?

Foto: © Tim Brüning

Für die meisten Menschen ist Heimat ein Ort, mit dem man ein bestimmtes Gefühl verbindet. In diesem Sinne kann ich mit dem Begriff nicht viel anfangen, einfach weil Gefühle von Verbundenheit, Geborgenheit und Sicherheit keine Resonanz gefunden haben in dem Raum, in dem ich aufgewachsen bin.

So ist Heimat für mich frei geworden als Begriff, den ich selber füllen konnte. Mit Literatur, mit Musik und mit Menschen, die mir das Gefühl von Verbundenheit und Kontakt geben können.

Du bist selbst Deutschtürke und zweisprachig aufgewachsen. Empfindest du dich als jemanden, der in, oder zwischen, zwei Kulturen lebt?

Ich habe dieses ‚Zwischen-zwei-Kulturen-leben’ nie ganz verstanden. Jeder Mensch erfüllt verschiedene Rollen in seinem Leben, trotzdem sagt man nie, jemand würde zwischen seinen Rollen leben. Der Arbeitgeber erwartet etwas anderes als der Partner und der etwas anderes als die Kinder und die Freunde wollen etwas ganz anderes. Je nach Zusammenhang benimmt man sich anders. Das ist völlig normal und führt auch schon mal zu Spannungen. Wenn man in mehr als einer Kultur aufgewachsen ist, kommt die Kultur halt noch hinzu.

An deinem neuen Roman hast du u.a. während eines Schreibaufenthalts in Istanbul gearbeitet. Wie hast du die Stadt erlebt?

Ich bin ja kein Freund von Metropolen, die übervoll sind und sich von Menschen ernähren. Aber Istanbul mochte ich sehr gerne, auch weil meine Zeit von vorneherein begrenzt und damit klar war: Ich werde wieder gehen. Das hat dazu geführt, dass ich Widersprüche, Irrsinn, Gentrifizierung, Chaos und Stau ohne Mühe aushalten konnte.

Die Sprache zu können hat sicherlich dazu beigetragen, dass ich mich wohl gefühlt habe. Die Kontaktfreudigkeit in unterschiedlichsten Zusammenhängen hat dazu geführt, dass ich selber offener durch die Stadt gehen konnte. Ich mochte dieses Quirlige, Lebendige, die Kreativität, die Bereitschaft, Pläne und vorgefertigte Muster zu vergessen und nach Lösungen dann zu suchen, wenn man sie braucht.

Gibt es in Istanbul tatsächlich das ganze Jahr über weihnachtliche Beleuchtung? Findet man in der Stadt tatsächlich leichter eine Kirche als eine Moschee? Und begegnet man tatsächlich christlichen Missionaren, die Gratisbibeln verteilen?

Ja, es gibt auf der İstiklal Caddesi tatsächlich das ganze Jahr über Weihnachtsbeleuchtung. Und in Beyoğlu, dem ehemaligen Pera, das hauptsächlich von Europäern bewohnt wurde, gibt es wahrscheinlich tatsächlich mehr Kirchen als Moscheen. Und ja, es gibt Missionare, die in der Fußgängerzone und auf den Prinzeninseln Bibeln verteilen.

Liegt Istanbul (nicht streng geographisch betrachtet) näher an Kars – der ostanatolischen Stadt, aus der Krishnas Vater Recep stammt – oder näher an Freiburg – der deutschen Stadt, in der Krishna später lebt?

Istanbul ist eine Stadt, die auf den ersten Blick modern wirkt, westlich, an manchen Stellen amerikanisch. Somit wäre es näher an Freiburg. Auf den zweiten Blick ist diese Stadt geprägt von einer immensen Zuwanderung der Landbevölkerung in den letzten Jahrzehnten. Ist also deutlich anatolisch geprägt. İzmir, wo es diese Zuwanderung in dieser Form nicht gibt, ist in vielerlei Hinsicht eine modernere, westlichere Stadt als Istanbul.

Proteste am Taksim-Platz 2013. © Fleshstorm (Own work) via Wikimedia Commons

Die gewaltsamen Proteste im Gezi-Park in Istanbul spielen eine wichtige Rolle in deinem Roman. Oberflächlich ging es dabei um den Widerstand gegen die Bebauung einer Grünfläche, aber worum ging es eigentlich?

Es geht um die Richtung, in die das Land seit Jahren steuert: weniger persönliche Freiheit, weniger Demokratie, weniger Selbstständigkeit, mehr Ausbeutung, mehr Gewalt, mehr Chaos, mehr Autorität. Der Park war nur der Auslöser, der das Unbehagen über diese Richtung zum Ausdruck gebracht hat.

Aus deutschsprachiger Perspektive ist das „Phänomen Erdoğan“ nicht leicht zu verstehen. Wer trägt in der heutigen Türkei das System Erdoğans, wer sind seine Gegner?

Erdoğan-Gegner und Gezi-Sympathisanten finden sich quer durch alle Gesellschaftsschichten und Generationen. Wer genau die Befürworter sind und wer die Gegner, lässt sich nicht so leicht in wenigen Sätzen wiedergeben.

Dass die Dinge komplex sind, kann man auch daran ablesen, dass die hiesige Lesart jahrelang war, dass Erdoğan die Demokratisierung des Landes vorantrieb, indem er das Militär schwächte. Und dann hat man sich gewundert, woher denn dieser Autokrat kommt.

Dein Romanheld Krishna Mustafa beschäftigt sich viel mit dem Islam – so viel, dass er schließlich in seiner deutschen Heimat in Verdacht gerät, sich zum gewaltbereiten Islamisten zu radikalisieren. Wo verläuft in Zeiten, wie wir sie aktuell erleben, der Mittelweg zwischen hysterischer Panikmache und berechtigter Vorsicht?

Ich glaube nicht, dass es um einen Mittelweg geht, sondern darum, die Dinge in Relation zu setzen. Eine größere Perspektive zu entwickeln. Das war allerdings nicht das Thema des Romans, hier ging es mir eher darum, die Hysterie als Hysterie darzustellen und nicht als ein Streben nach Sicherheit.

Radikalisierung ist ja kein Problem, das dem Islam innewohnt, auch wenn das gerne behauptet wird. Genauso wenig wie Gewaltbereitschaft. Es gab und gibt scheinbar politisch motivierten Terrorismus, von links wie von rechts, es gab und gibt scheinbar religiös motivierten Terrorismus. Schuld sind aber nicht die Religion oder die Ideologie. Radikalisierung und Gewaltbereitschaft sind in erster Linie psychologische Probleme und nicht politische oder religiöse. Religion und Politik sind hier nur Zuschreibungen, die dazu beitragen, die Empathie der Menschen zu mindern. Wenn ich überzeugt davon bin, dass die andere Gruppe aufgrund ihrer Einstellung, Religion, Hautfarbe, Ethnie oder sonst was tatsächlich anders ist als meine eigene Gruppe, kann ich sie entmenschlichen, kann ich mich innerlich so weit von diesen Menschen distanzieren, dass ich ihnen unmenschlich erscheinende Dinge antue und mir nicht denke: Das sind auch nur Mütter und Väter und Kinder, die Sorgen und Ängste und Nöte und Sehnsüchte haben, genau wie ich auch. Die Würde des Menschen ist unantastbar, sagen wir, aber sie wird antastbar, wenn ich den anderen aufgrund irgendeiner Zugehörigkeit als grundsätzlich anders betrachte als mich selber.

Die für mich interessante Frage ist, warum wir eine Gesellschaft sind, die das Problem der Radikalisierung mitproduziert. Globalisierung meint ja, dass die Grenzen weitgehend offen sind für Informationen, Waren und Geld. Aber nicht für Menschen. Wir sind die Nutznießer dieser Situation. Wir leben in einer Welt, die ungerecht ist. Es geht uns auch deswegen so gut, weil es anderen Menschen woanders schlechter geht. Ungerechtigkeit ist ein Fakt. Das scheint mir ein Ausgangspunkt zu sein, der zur Radikalisierung führen kann. Ich weiß nicht, was wir konkret dagegen tun können, aber es ist ein Gemeinplatz, dass man nicht weiterkommt, wenn man die Schuld immer nur bei den anderen sucht.

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Dein Romanheld Krishna Mustafa ein eigenwilliger Typ, mit einer kindlichen Naivität und Neugier begabt. Wie ist es dir in den Monaten, die du schreibend mit ihm verbracht hat, ergangen?

Ich mag Krishna Mustafa gerne, auch weil er mich anfangs beim Schreiben oft dazu gezwungen hat umzudenken. Er fühlt sich selten persönlich angegriffen, egal, was passiert, er ist fast nie beleidigt und fühlt sich nur in Ausnahmefällen ungerecht behandelt. Er hat in der Regel eine Perspektive, die es ihm ermöglicht, bei Widrigkeiten heiter zu bleiben.

In den ersten Kapiteln hat Krishna häufig so reagiert, wie ich es vielleicht tun würde und wie es auch für natürlich halte. Das musste ich dann streichen und musste diesen Schalter im Kopf finden, den man umlegen muss, damit das Ganze mehr Humor bekommt, Humor in dem Sinne, dass man auch Abstand zu der Situation findet und neue Interpretationsmöglichkeiten für das Geschehene. Dieser Schalter ist mir nach dem Schreiben geblieben und bereichert mich weiterhin.

In Wieso Heimat, ich wohne zur Miete trifft Till Eulenspiegel auf Forrest Gump. In einem leuchtend-bunten Road Trip zu den eigenen Wurzeln jongliert Selim Özdogan mit Pegida, Starbucks, Dschihad und Gezi-Park und gleitet mit spielerischer Leichtigkeit über das Minenfeld der political correctness hinweg.

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Selim Özdogan liest dieses Jahr auf Einladung von Stefan Gmünder bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur und nimmt am Wettlesen um den Ingeborg Bachmann Preis teil!

Alle Informationen und das Videoporträt unseres Autors gibt es hier: Selim Özdogan beim Ingeborg Bachmann Preis 2016.

Vom Mozartkugelmassaker zur Primadonna im Fleischwolf – Krimödien-Queen Tatjana Kruse packt aus

Im herrlich schrägen Krimi „Bei Zugabe Mord!” von Tatjana Kruse darf man sich auf  tragische Komik, komische Tragik, herrlich schräge Figuren und jede Menge Mozartkugeln freuen. Es geht um Schokoholikerinnen, die auf Mozartkugeln starren, um muskulöse Kampfschwimmer, um einen narkoleptischen Hund und um ganz viel Liebe.

Während die Starsopranistin Pauline Miller ihre himmlischen Stimmbänder wohl irgendwo mit einer Flasche Taittinger salbt und Schoßhündchen Radames ein Nickerchen hält, haben wir die Autorin gefragt, wie sie vom strickenden Ex-Kommissar auf die liebenswerte Operndiva gekommen ist und wo all die Ideen für ihre spektakulären Morde herkommen.

Das Nachrichtenmagazin „Focus” nennt Sie nicht ohne Grund Ladykracher unter den deutschen Krimi-Comedians. Gehen Ihnen lustige Texte leichter von der Hand?

Foto: © Jürgen Weller

Ich kam schon lächelnd zur Welt und kann nicht anders. Menschen, die mich mögen, nennen mich heiter, die anderen bezeichnen mich als albernes Huhn.

Ganz ehrlich, das Leben ist doch für jeden von uns – trotz gelegentlicher Highlights – echt schwer genug, da muss es gewisse fröhliche Konstanten wie mich geben. Meine Bücher dürfen gern als Inseln für Eskapismus-Kurzurlaube vom  Alltag betrachtet werden. Das Schmunzeln meiner LeserInnen ist für mich als Autorin der wahre Ritterschlag!

Sie sind im Internet und in sozialen Netzwerken sehr aktiv und stehen so in gutem Kontakt zu Ihren LeserInnen. Inwiefern hat das Einfluss auf Ihr Schreiben?

Es inspiriert mich. Buchstäblich. Ich muss mir beispielsweise bis circa Ende 2031 keine Mordmethoden mehr einfallen lassen, die liefern meine LeserInnen. Ärzte, Apotheker, Jäger, Metzgermeister – Vertreter aller möglichen Berufsstände (meistens Männer) geben mir regelmäßig Tipps, wie man jemanden umbringen könnte. Sogar einige „perfekte Morde“ wurden mir schon anvertraut. Da kann ich aus dem Vollen schöpfen.

Sie haben einmal erwähnt, dass Agatha Christie für Sie als Krimischriftstellerin eine ganz besondere Rolle spielt.

Sie war es, die mich zur Krimiautorin machte! Als junges Mädchen las ich nicht Fünf Freunde oder Hanni und Nanni, sondern schlich mich in der Stadtbücherei meiner Heimatstadt immer zu den Büchern von Agatha Christie in die Erwachsenenabteilung. Ich wurde jedes Mal erwischt und rausgeworfen – zu einer Karriere als Kriminelle würde es nie reichen, das wurde mir damals klar, aber selber schreiben, das sollte gehen. Und es ging!

Nun haben Sie nach Ihrer erfolgreichen Serie um einen stickenden Ex-Kommissar eine neue Krimiheldin, die exzentrische Primadonna Pauline Miller, geschaffen.

Ja, das stimmt. Mein neues Buch ist eine Krimödie um die Liebe und die Folgen ausbleibender Liebe. Es geht um eine liebeskummerkranke Frau und ihren narkoleptischen Hund und ihre kleinwüchsige Agentin und einen feschen Kommissar und durchtrainierte Kampfschwimmer und ganz viele Mozartkugeln …

Und das alles vor der Kulisse der berühmten Salzburger Festspiele, bei denen dann auch dreieinhalb Leichen auftauchen. Die übrigens unschön zu Tode kommen – da sollte man sich als LeserIn ein wenig wappnen. Hier schließt sich der Kreis zur Oper: Wer das Libretto von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ kennt, weiß, mit welchen Mordarten man rechnen muss. Aber es ist fast besser, es nicht zu wissen: Dann erlebt man beim Lesen das Kribbeln der schockierten Überraschung. Und grundsätzlich gilt natürlich auch hier wie bei all meinen Krimis: Bei mir gibt es nichts, was Alpträume beschert – ich liefere nur saubere Leichen!

Sind KrimiautorInnen die besseren Menschen?

Absolut! Wir toben unsere Aggressionen auf dem Papier aus, folglich sind wir im Alltag handzahme, harmoniesüchtige Häschen, pflegeleicht und liebenswert.

Man hört, Sie haben mit Marcel Reich-Ranicki geschlafen. Erzählen Sie uns mehr darüber?

Ja, und ich war mit Arnold Schwarzenegger auf der Herrentoilette eines Luxushotels … Da stecken natürlich Geschichten dahinter! Aber als Dame genieße und schweige ich. Außer auf meinen Lesungen, da plaudere ich – im Rausch des Gruppenhappenings – immer alles aus. Hemmungslos und en détail. Also auf zu einer meiner Lesungen! Und keine Sorge, liebe Eltern, so süffig es klingt, es ist dann doch jugendfrei!